Unternehmen

„Tierpflege“

Mag. Angelika Kramer
Redakteurin Wirtschaftsmagazin „trend“

Für TierärztInnen ist es oft schwierig, den Spagat zwischen Idealismus und wirtschaftlichem Arbeiten zu meistern. Manchen fällt es schwer, sich selbst und die eigene tierärztliche Arbeit gut zu verkaufen - Selbstmarketing muss aber dennoch sein!

Begonnen hat alles mit Schokolade. Im Jahr 1911 ­verkaufte Frank C. Mars erstmals Schokoriegel, erzeugt in seiner ­eigenen Küche in Tacoma, Washington. Das Schoko-Business wuchs und brachte der Welt Kalorienhaltiges wie „Milky Way“, „Snickers“ oder „M&Ms“. Bis heute steht das Unternehmen Mars im Eigentum der gleichnamigen Familie, und mehr als 100 Jahre nach der Gründung zählt Mars Inc. zu den größten Familienunternehmen der Welt, mit einem geschätzten Umsatz von 35 Milliarden US-Dollar in 75 Ländern und rund 100.000 Mitarbeitern. 

Doch was viele Konsumenten weltweit nicht wissen: Mars steht mittlerweile für viel mehr als bloß klebrige Schokoriegel, ist weit mehr als der größte Süßwarenproduzent der Welt. Neben der Süßigkeitensparte, die auch Kaugummimarken wie Wrigley’s oder Orbit umfasst, beheimatet das Unternehmen mit Sitz in Virginia auch eine Nahrungsmitteldivision mit Marken wie Uncle Ben’s, eine Getränkesparte und die sogenannte „Petcare“-, also ­Tier-Pflege-Division. Und was noch viel weniger Konsumenten wissen: Diese Petcare-Sparte ist mittlerweile die mit Abstand größte im ganzen Konzern. Rund die Hälfte des Gesamtum­satzes, also sagenhafte 17 Milliarden Dollar, werden hier bereits generiert.

Die Geschichte von Mars Petcare reicht auch schon fast 100 Jahre zurück und begann mit der Produktion von Chappi-Dosenfutter im Jahr 1935. ­Milliardenschwere Tierfuttermarken wie Pedigree, Whiskas oder Royal ­Canin gehören heute alle zu Mars und haben mittlerweile einen viel höheren Wert als die bekannten Süßigkeitenmarken. Nicht weniger als 42 Marken rund ums Tier ­finden sich unter dem Firmendach von Mars Inc. Das macht Mars zum weltweit zweitgrößten Tierfutterverkäufer ­hinter Nestlé. 

Seit rund zehn Jahren gehört nicht nur Tierfutter jeder Art zum Portfolio des US-Multis, sondern auch Tier­kliniken. Der Einstieg in dieses neue Business erfolgte 2007 mit dem Kauf der Banfield-Kliniken, wurde fortgesetzt mit den Übernahmen von VCA, Blue Pearl und Pet Partners und gipfelte kürzlich in Europa in den Zukäufen der britischen Klinikkette Linneaus und des schwedischen Unternehmens Anicura. Damit nimmt Mars nach nur elf Jahren im Tiergesundheitsgeschäft mit mehr als 2.000 Tierkliniken den weltweit ersten Platz ein. Dabei scheut das ­Milliardenunternehmen auch keine Kosten: VCA wechselte um neun Milliarden Dollar den Besitzer, für Anicura soll Mars kürzlich beinahe zwei Milliarden Euro hingeblättert haben. 

In dieser Tonart wird es vermutlich weitergehen, lauscht man den jüngsten Aussagen von Mars-Managern. In ­einem Interview mit „Business Insider“ sprach Mars-Eigentümervertreter Stephen Badger von einer „großen Portfoliotransformation“ bei Mars: hin zu mehr Tier­pflege. Denn dieses Business wächst deutlich schneller als das Geschäft mit der Schokolade. Zucker ist out – die Zahl der Singles und Geschiedenen wächst dagegen, und mit ihnen die Zahl jener, die bereit sind, viel Geld für ihren tierischen Liebling auszugeben. Allein in den USA sind die Ausgaben für ­Tiere im vergangenen Jahr um mehr als vier Prozent auf 62,8  Milliarden Dollar gewachsen. Dazu passt, dass Mars im heurigen Frühjahr bekannt gegeben hat, 100 Millionen Dollar in eine neue Generation der Tierpflege investieren zu wollen, also vor allem Start-ups in dem Bereich finanziell unter die Arme greifen zu wollen. Schon jetzt betreibt das Unternehmen ein eigenes Forschungszentrum für Tiernahrung. 

All diese Zukäufe und Aktivitäten stehen unter der von Mars selbst ausgerufenen Prämisse „eine bessere Welt für Tiere“. Doch genau das sehen nicht alle so, hat es doch in der jüngsten Vergangenheit auch viel Kritik an der Fließbandarbeit vor allem in den Banfield-Kliniken gegeben. Rasche Erledigungen, Profit und nicht die Zuwendung zum Tier stünden an erster Stelle, der Kunde müsse für Leistungen bezahlen, die er gar nicht benötigt, und die Versorgungssicherheit im ländlichen Raum spiele für große Ketten wie Banfield keinerlei Rolle: So oder so ähnlich lautet die Kritik, die man im Netz öfters zu lesen bekommt.

Nun, wo Mars also auch bei Anicura eingestiegen ist, kommt all das auch nach Österreich? Wird es für österreichische Tiere und Tierbesitzer auch „amerikanische Verhältnisse“ geben? Immerhin hat Anicura auch hierzulande zuletzt vier Standorte (Hollabrunn, Korneuburg, Wien-Aspern, Wien-Breitensee) betrieben. Nicolas Haas, Country Manager von Anicura für die DACH-Region, stellt das im Gespräch mit dem Vetjournal klar in Abrede: „Für uns ist die Übernahme durch Mars ein Glücksfall. Mars ist ein langfristiger, stabiler strategischer Eigen­tümer. Das heißt, wir erwarten auch verstärkt ­strukturelle Investitionen und einen Erfahrungsaustausch mit den ­Ärzten der anderen zum Konzern gehörigen Kliniken.

österreichischer Markt soll autonom bleiben

Darüber hinaus, so Haas, wurde Anicura von Mars Eigenständigkeit hinsichtlich der Marke und der Behandlung der Tiere zugesichert. Die hohe Qualität der Behandlung durch Anicura bleibe, so Haas, also erhalten. 

„Wir sehen uns als Qualitätsführer und wollen diese -medizinische Führungsposition auch weiter behaupten“, sagt Haas. Rechnet er denn damit, dass in den Kliniken nun auch Futter von Mars empfohlen werden muss? „Nein, auch hier wurde uns Unabhängigkeit von Mars zugesichert. Wir können weiter das Futter empfehlen, das wir für richtig halten“, berichtet der Anicura-Manager.

In der DACH-Region ist Anicura zuletzt ungefähr um eine Klinik pro Monat gewachsen und betrieb zuletzt 41 Kliniken mit einem durchschnittlichen Umsatz von zwei bis fünf Millionen Euro im Jahr. Rund 200 Kliniken mit mehr als 4.000 Mitarbeitern waren es in ganz Europa. Es ist zu erwarten, dass die Expansion auch mit dem neuen Eigentümer zügig voranschreitet. „Wir rechnen damit, dass wir uns in Österreich in den nächsten Wochen weiter vergrößern werden“, kündigt Haas an. Die großen Ketten seien dafür verantwortlich, dass kleine Tierarztpraxen – vor allem am Land – langsam wegsterben, wird immer wieder von Kritikern angemerkt. „Ich denke, es ist für uns alle Platz“, sagt Haas dazu. Dass manche Tierärzte aber froh darüber sind, dass ihnen in einem größeren Verbund wie Anicura lästige bürokratische Hürden abgenommen werden, bestreitet er nicht. 

In der Tierärztekammer sieht man die wachsende „Verkettung“ der Branche kritisch, zumal sie in anderen Ländern zu einer Verteuerung der Leistung und Gefährdung der Versorgungssicherheit im ländlichen Raum geführt habe. In Großbritannien etwa seien die Preise nach Öffnung des Marktes für Kapitalgesellschaften um 40 Prozent gestiegen, merkt ÖTK-Präsident Kurt Frühwirth kritisch an. In Österreich hat man sich deshalb bislang standhaft gegen Mehrheitsbeteiligungen durch Kapitalgesellschaften bei Tierarztpraxen gewehrt. Das hat dem Land auch eine Klage durch die EU-Kommission beim Europäischen Gerichtshof eingebracht. Mit einer Entscheidung ist aber frühestens in ein bis zwei Jahren zu rechnen.

Bis dahin werden wohl auch in Österreich noch einige Anicura-Kliniken mithilfe des neuen, großen Eigen-tümers entstehen. „Am Ende entscheidet der Kunde, wo er sich besser aufgehoben fühlt“, glaubt Anicura-Mann Haas. Es bleibt angesichts der rasanten Expansionspolitik von Mars zu hoffen, dass der Kunde in einigen Jahren noch die Wahlmöglichkeit hat.