Tierärztin Tanja Warter
Unser Appetit auf Fleisch ist gigantisch. Doch bis Putenbrust und Co. in der Pfanne landen, reisen sie, lebendig oder tot, häufig quer durch Europa. Milliarden Tiere werden weltweit gezüchtet und gemästet.
Die Folgen für das Weltklima und unsere persönliche Gesundheit sind Experten zufolge dramatisch. Schon entschieden? Was kommt heute bei Ihnen zum Essen auf den Tisch? Ein saftiges Steak? Ein Schnitzel? Würstel oder Hühnernuggets für die Kinder? Die Wahrscheinlichkeit, dass es Fleisch gibt, ist hoch. Es schmeckt den meisten Menschen und landet deshalb bei 85 % der Österreicher täglich auf dem Teller.
Fleisch ist ein Massenprodukt, der Sonntagsbraten von früher längst zum Alltagsbraten geworden. In Scheiben geschnitten, faschiert, versiegelt, verarbeitet, verpackt, wissen wir längst nicht auf den ersten Blick, um welchen Teil des Tieres es sich handelt. Seit dem Skandal mit dem nicht deklarierten rumänischen Pferdefleisch in der Lasagne haben wir gelernt, auch den Aufschriften zu misstrauen. Pferd statt Rind, die Industrie kümmert das wenig. Doch die Werbung schafft es bis heute, den Konsumenten eine äußerst rar gewordene Welt zu vermitteln: Ein flauschiges Küken schlüpft nach anstrengendem Kampf aus seinem Ei, eine grunzende Sau wälzt sich wohlig im Schlamm. Was für schöne Bilder entstehen da vor unseren Augen! Mit der Realität haben sie jedoch wenig zu tun.
Hühner schlüpfen nicht unter den Fittichen der Mutter aus ihren Eiern. Sie sehen als Erstes den Brutschrank von innen. Auf Fließbändern beginnt die Reise in den Mastbetrieb. Schnell sollen die Tiere wachsen und sich dabei möglichst wenig bewegen. Hühner mit überdimensionalen Brustfilets können sich in der Folge nicht mehr auf den Beinen halten. Die Fresslust ist ihnen angezüchtet, satt sind sie nie. Je mehr Fleisch sie mit möglichst wenig Futter und in möglichst kurzer Zeit auf die Rippen bekommen, desto besser. Für den Produzenten. Auch der Verbraucher profitiert: Fleisch ist längst für jeden leistbar. Quiekende Schweinderln auf dem idyllischen Bauernhof können wir dafür allerdings vergessen. Wer jetzt erklären möchte, er kaufe nur Bioprodukte von Freilandtieren, dem sei entgegnet: Das ist in der Fleischwelt eine kaum wahrnehmbare Randgruppe. Zwar gibt es in Österreich überdurchschnittlich viele Biobetriebe, aber im Supermarkt schaut der Anteil des Biofleischs, selbst wenn er wächst, in der Gesamtbetrachtung noch mickrig aus. Der Anteil von Bioschweinefleisch oder Biogeflügel erreicht auf dem österreichischen Markt kaum 2 %, Biorindfleisch schafft es immerhin auf 4 %.
Fleischproduktion geht heute selbstverständlich mit der Gabe von Medikamenten einher. Ob therapeutisch oder vorsorglich, neun von zehn geschlachteten Hühnern sind mit Antibiotika behandelt. Untersuchungen in den deutschen Bundesländern Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen brachten ans Licht, dass 77 % der Mastschweine Antibiotika bekommen, bei Mastkälbern sind es in den untersuchten Betrieben sogar 100 %. Angenehmer Nebeneffekt für den Produzenten: Die Mittel fördern auch das Wachstum. Zwar hat die EU 2006 den Einsatz von Antibiotika als Leistungsförderer verboten, zurückgegangen sind die verabreichten Mengen trotzdem nicht. Laut der Weltgesundheitsorganisation WHO werden inzwischen mehr Antibiotika an gesunde Tiere als an kranke Menschen verabreicht.
Weil gerade in der Schweinemast massenhaft Antibiotika eingesetzt werden, stand 2016 beim Frühjahrsempfang der Österreichischen Tierärztekammer das Thema der Antibiotikaresistenzen im Mittelpunkt. Als Vertreter der Humanmedizin stellte Florian Thalhammer, Leiter der Abteilung für Infektionen und Tropenmedizin am AKH Wien, klar, dass man nicht alle Schuld auf die Tierärzte abwälzen könne, auch in der Humanmedizin würden viel zu oft Antibiotika eingesetzt – selbst in Fällen, in denen sie nachgewiesenermaßen nichts nützen. CVO Dr. Ulrich Herzog, beim Bundesgesundheitsministerium verantwortlich für Veterinärwesen und Verbrauchergesundheit, rechnete vor: Aktuell werden in Österreich im Jahr 116,4 mg Antibiotika pro Kilogramm „Lebendmasse Mensch“ verbraucht. Für das Kilogramm „Produktionsmasse Tier“ sind es 144 Milligramm, also deutlich mehr. Es gibt Schätzungen, nach denen die Nutztierhaltung global fast doppelt so viel Antibiotika verbraucht wie die Humanmedizin. In den USA kommen auf ein Kilo Fleisch im Schnitt 300 mg Antibiotika, von China ganz zu schweigen.
Diese Gaben lassen Bakterien immer öfter resistent werden. Die resistenten Bakterien gelangen über das Fleisch, über ins Grundwasser sickernde Exkremente oder die Abluft von Stallanlagen zu uns Menschen. Stecken wir uns mit diesen Erregern an, kann eine kleine Wunde oder eine scheinbar harmlose Halsentzündung lebensbedrohlich werden. Experten der Hamburger Akademie der Wissenschaften schätzen, dass in Europa jährlich 25.000 Menschen an Infektionen mit multiresistenten Keimen sterben, Tendenz steigend. Dass der Verbrauch dringend gesenkt werden muss, darin sind sich Human- und Veterinärmediziner einig. Florian Thalhammer vom AKH zeichnete jedenfalls ein düsteres Szenario: „Im Jahr 2050 werden Infektionskrankheiten wieder dramatisch sein, weil uns einfach die Behandlungsmöglichkeiten fehlen.“ Doch obwohl Ferkel gesund geboren und nur sieben Monate alt würden, scheine der Weg zur antibiotikafreien Schweinemast noch lang und beschwerlich.
Ein weiterer Preis, den wir für billiges Fleisch zahlen, ist der Schaden an unserer Umwelt. Rinder sorgen seit ein paar Jahren immer wieder für Schlagzeilen, weil sie in hohem Maße mitverantwortlich für den Klimawandel gemacht werden. Tatsächlich ist der ökologische Schaden durch Viehhaltung dramatisch. Kurt Schmidinger, ein aus Salzburg stammender Geophysiker und Lebensmittelwissenschafter, hat ausgerechnet, dass ein Kilogramm Rindfleisch aus Brasilien dieselben Emissionen an Treibhausgasen verursacht wie eine 1600 Kilometer lange Autofahrt in einem Mittelklassewagen. Insgesamt führen Experten 18 % der Treibhausgase auf Viehhaltung zurück. Eine WWF-Studie mit dem Titel „Fleisch frisst Land“ kommt zu dem Ergebnis, dass über die Hälfte des weltweit geernteten Getreides als Futter für Masttiere dient. Für ein Kilogramm Rindfleisch werden bis zu 16 Kilogramm Getreide angebaut. Zusätzlich geht jeder zehnte Liter Wasser in die Viehhaltung, und auch die Flächen werden knapp: Es gibt schon Bestrebungen für Hochhäuser, in denen Tiere gehalten und gemästet werden sollen.
Zwei Wege beschreitet die Forschung. Einer davon ist die Entwicklung von Pflanzenfleisch. Soja, Weizen, Erbsen oder Lupinen dienen als Grundlage. Diese pflanzlichen Rohstoffe werden in einem überdimensionalen Fleischwolf gekocht, zu einer breiförmigen Masse gemixt und später in handliche Blöcke geformt. „Der Eigengeschmack der Pflanzen muss nahezu neutral sein, damit Aromastoffe einen Geschmack von Schwein oder Kalb entfalten können“, erklärt der Veggie-Schnitzel-Entwickler Florian Wild vom Fraunhofer-Institut im bayrischen Freising. Das klappte zügig. Schwieriger hingegen war es mit der Textur. Pflanzenfleisch soll nicht nur schmecken wie Fleisch, es soll sich im Mund auch so anfühlen – ein Grund, warum Tofu als Fleischersatz so wenig anerkannt wird. „Mit einer ganzen Reihe von Produkten sind wir nun an eine Textur herangekommen, die Hähnchenfleisch sehr ähnlich ist.“ Für Wild erschreckend: „Echtes Fleisch ist, auch wegen der Subventionen, so billig, dass man mit einem pflanzlichen Produkt, das viel weniger Ressourcen benötigt, kaum gleichziehen kann.“ Tierhaltungsbedingungen zu verbessern und Subventionen zu kürzen sei Sache der Politik, „da hilft die Wissenschaft wenig.“
Der zweite Zugang zu mehr Fleisch bei gleichzeitiger Verkleinerung der Viehbestände besteht darin, echte Muskeln künstlich zu züchten. Das versucht beispielsweise der Holländer Mark Post an der Universität von Maastricht. Die Vision: In einem Behälter mit Nährlösung sollen sich Muskelzellen zu großen Fleischstücken entwickeln. Doch ein Zellhaufen ist noch kein Steak, die künstlichen Muskeln müssen zusätzlich in einer Art Expander bewegt werden. Bindegewebe und feine Blutgefäße wären ebenfalls notwendig. Mark Post sieht sich schon bald in der Lage, zumindest eine für einen Burger ausreichende Menge an Zellen anzüchten zu können. Trotzdem ist gezüchtetes Fleisch noch Zukunftsmusik und bisher unbezahlbar: Nach heutigem Stand der Technik würde ein Kilogramm rund 60.000 Euro kosten. Wem weder bei gerührtem Pflanzenfleisch noch bei Zuchtfleisch das Wasser im Mund zusammenläuft, der sollte über den im Grunde naheliegendsten Lösungsweg nachdenken: Nur regionales und einfach weniger Fleisch essen. Experten empfehlen für den Anfang eine Reduktion um 50 %.
So weit, so zukünftig. Weg von Prognosen, hin zur – äußerst fleischlastigen– Gegenwart und zum heimischen Umgang mit dem Rohstoff Tier. Dass in den westlichen Ländern zunehmend über den Fleischkonsum reflektiert wird, ist bekannt, „allerdings ist dabei immer die Frage, inwieweit dieser Trend ein Nischenphänomen bleibt. Manchmal hat man den Eindruck, die gesamte Debatte um Ethik und Fleischkonsum führt bei vielen Menschen zu einer Sensibilisierung für diese Themen, während andere eine Gegenreaktion zeigen: Fleisch? Jetzt erst recht! Und dann werden die fettesten, größten Steaks im Rahmen von Grillmeisterschaften im Fernsehen zelebriert“, so Christian Dürnberger vom Messerli Institut, das zur Mensch-Tier-Beziehung forscht. Dem Trend zur Besinnung darauf, woher unser Fleisch kommt und unter welchen Bedingungen es produziert wird, wird unter anderem in den Niederlanden schon länger Rechnung getragen.
„Beter leven“ nennt sich das dreistufige Label, dass dem Konsumenten Orientierung bieten soll, unter welchen Umständen und Haltungsbedingungen sein Fleisch den Weg ins Regal gefunden hat. Auch für Deutschland wird es künftig ein solches „Tierwohl“-Label geben. Geplant ist eine mehrstufige Einteilung, mittels derer der Verbraucher entscheiden kann, ob er bereit ist, mehr Geld für Fleisch auszugeben, das zumindest aus besseren Haltungsbedingungen als den gesetzlich vorgegebenen stammt (siehe auch Interview mit Achim Spiller S. 28): Was auch gleich heftig von der Verbraucherorganisation foodwatch kritisiert worden ist: Eine Scheinlösung sei das auf Freiwilligkeit basierende Label, damit würde man sich vom Anspruch, tiergerechte Zustände für alle Nutztiere zu schaffen, verabschieden. Der deutsche Landwirtschaftsminister Christian Schmidt, der es auf der Grünen Woche (internationale Messe für landwirtschaftliche Produkte) vorgestellt hat, will jedenfalls spätestens 2018 damit starten. Schwein und Mastgeflügel sind die ersten Produkte, die damit ausgezeichnet werden. In Österreich scheint der Trend zur Transparenz für Spiller „ein wenig verschlafen worden zu sein“.
Hier hält die AMA dagegen: Es seien sehr wohl freiwillige Module für besondere Haltungsbedingungen in Planung, und die werden voraussichtlich auch 2017 umgesetzt werden – so man potente Partner im Handel findet, die den Mehrpreis mittragen. Nach denen hält man aktuell intensiv Ausschau. Seitens der Bauern sei die Bereitschaft jedenfalls da. Konkret würde die Kennzeichnung für den Konsumenten so aussehen, dass es das bekannte AMA-Gütesiegel gibt – ergänzt um Boni wie „Strohschwein“ oder „Almhaltung“ beim Rind. Was einer, der mit seinen Sonnenschweinen einer tiergerechten Haltung sehr nahe kommt, dazu sagt? „Diese Begriffsdefinition und dieses Wort, ich finde, es wird wieder einmal von allen möglichen Akteuren am Markt nach ihrem Gutdünken verwendet, dabei ist dieser Begriff extrem heikel. Was soll Tierwohl denn bitteschön heißen? Alles, was besser ist als die derzeit üblichen Methoden der Haltung und Schlachtung, bekäme dann ein Tierwohl-Label? Eine genauere Definition wäre hier bitter vonnöten“, so Norbert Hackl, Bauer und Labonca-Gründer. Es bleibt also spannend, wie die deutschen Nachbarn diese Krux lösen werden, und wie der gemeinsame Nenner in Österreich aussehen könnte.