Unmenschliche

Doppelbelastung

Mag. Angelika Kramer
Redakteurin Wirtschaftsmagazin „trend“

Der Beruf des Tierarztes unterliegt einem starken Wandel. Erfolgreich zu sein bedeutet, hohe Einsatzbereitschaft sowie Flexibilität mitzubringen – also Allrounder in allen Lebenslagen zu sein.

Eigentlich würde Klaus Fischl gerne viel mehr Zeit mit seinen Ponys verbringen. Öfter Ausfahrten mit der Kutsche oder gar Kutschenrennen – egal, nur einfach häufiger raus aus den Mühen des Alltags. Aktuell findet er nur gelegentlich am Sonntagnachmittag Zeit, sich seinen Lieblingen zu widmen. 

Der Tierarzt wirkt ein wenig gestresst, als das Vetjournal ihn in seiner Heimat, im burgenländischen Königsdorf, erreicht. „Eigentlich bin ich nicht nur Tierarzt, sondern Steuerberater, Rechtsanwalt, Personalberater und Mediator – alles in einem“, sagt der Veterinär, der vor 18 Jahren als Einzelkämpfer im burgenländischen Königsdorf gestartet ist. Schon als Tierarzt allein hätte er genug zu tun, aber mit all den Zusatzaufgaben hatte er während seines Studiums in seinen kühnsten Träumen nicht gerechnet. Was ihn am meisten belastet: immer wiederkehrende Querelen unter den Mitarbeitern und Konflikte mit seinen Klienten. Das ist dann natürlich alles Chef­sache. „Die unguten Angelegenheiten wie Geld eintreiben bei langjährigen Kunden bleiben natürlich für den Chef über“, sagt Fischl etwas resignativ. 

Beruflicher Allrounder

Auch sein Kollege Clemens Mahringer, der eine Pferdeklinik im oberösterreichischen Tillysburg betreibt, kann all das nur unterstreichen. Mahringer, der seine Pferdeklinik im Jahr 1995 gegründet hat, hadert vor allem mit der unzureichenden Ausbildung während des Studiums. „Man hat uns im Studium auf all die unternehmerischen Herausforderungen nicht vorbereitet.“ Jeder Lehrling würde heutzutage mehr über Betriebswirtschaft lernen als junge Tiermediziner. Wie also geht er mit all diesen Aufgaben um? Buchhaltung, Personalführung, welche Versicherung muss abgeschlossen werden, Verhandlungen mit der Pharmabranche und Geld eintreiben – all das kommt zum eigentlichen Beruf noch dazu. „Ich beschäftige regelmäßig einen Steuerberater, den Rest habe ich mir im Laufe der Jahre über Kurse angeeignet“, erläutert Mahringer, der mit drei tierärztlichen Angestellten und acht nicht tierärztlichen zu den Großen in der Branche zählt. Hat er während des Lernprozesses auch gröbere Fehler begangen? „Nein, eigentlich nicht. Aber natürlich verliert man im Laufe der Zeit das eine oder andere Mal Geld. Man lernt, für wen man arbeiten kann und für wen nicht.“

Dabei hatte Mahringer noch Glück, er musste nicht alles von der Pike auf erlernen. Er startete in seine berufliche Karriere in einer bereits bestehenden Gemeinschaftspraxis, wo er ein wenig unternehmerische Luft schnuppern konnte, ehe er sich fünf Jahre später selbstständig machte. „Ich würde jedem Anfänger empfehlen, dass er nicht ganz allein startet“, sagt Mahringer. Dieser Rat kommt für Klaus Fischl zu spät. Als er vor 18 Jahren sein Business allein auf den Weg brachte, wollten sich noch rund 80 Prozent der Uniabsolventen selbstständig machen, heute sind es viel weniger geworden. „In den letzten Jahren sind die Auflagen immer mehr geworden und die Rahmenbedingungen für selbstständige Tierärzte haben sich nicht unbedingt verbessert. Das wollen sich eben nicht mehr viele antun“, glaubt Fischl. Vor allem Frauen, die mittlerweile die Mehrheit der Absolventen stellen, würden verstärkt in ein Angestelltenverhältnis drängen. Das würde ihnen auch Teilzeitmodelle und bessere Vereinbarkeit mit Kindern ermöglichen. Etwas, wovon Fischl nur träumen kann. „Ich habe in diesen 18 Jahren keine zwei Monate Urlaub gemacht“, konstatiert er sehr nüchtern. 

Hürden im Alltag

Beispiele, wie ihn die Bürokratie in seiner eigentlichen Beschäftigung bremst, kennt er zur Genüge. So sei es etwa so, dass schwangere Mitarbeiterinnen – speziell in Tierarztpraxen aus Angst vor Infektionsgefahr – so gut wie gar nichts mehr anfassen dürfen. Bezahlt werden müssen sie aber trotzdem bis zum siebenten Schwangerschaftsmonat. Auch mit den Arbeitszeitgesetzen hat der Burgenländer so seine liebe Not. „Mit den erlaubten acht Stunden am Tag geht sich die Rund-um-die-Uhr-Bereitschaft nicht aus“, sagt er. Die Arbeitsinspektoren würden aber bei den Angestellten penibelst auf die Einhaltung der Arbeitszeiten achten. Die Folge für Fischl: „Ich musste den Klinikstatus der Praxis aufgeben. Denn dieser Status würde die Bereitschaft erfordern.“ Aber unter Tierärzten gilt es auch als offenes Geheimnis, dass gelegentlich mal andere Zeiten als die eigentlich geleisteten eingetragen werden. 

Insgesamt braucht Fischl, der regelmäßig in der Woche 80 bis 100 Stunden arbeitet, täglich zumindest vier Stunden für administrative Angelegenheiten. Aktuell ist er am Überlegen, ob er nicht ein paar seiner Aufgaben an einen Unternehmensberater auslagern soll. Speziell das Eintreiben von Außenständen macht dem Tierarzt sehr zu schaffen. „Die Hälfte der Außenstände wird frühestens nach einem halben Jahr bezahlt. Was das an Zeit kostet, diese einzutreiben!“, seufzt er. 

Mahringer hat ähnliche Probleme mit Bürokratie und zahlungsunwilligen Kunden. Er opfert administrativen Tätigkeiten von insgesamt 60 Wochenstunden rund ein Drittel. „Statt Vereinfachungen durch den Gesetzgeber wurde es in den letzten Jahren immer mehr“, bemängelt der Oberösterreicher. Speziell die exzessiven Arbeitszeitaufzeichnungen und die seit heuer geltende Registrierkassenpflicht machen ihm zu schaffen. „Die Dokumentation im Zusammenhang mit der Registrierkasse haut uns das ganze EDV-System zusammen“, sagt er. „Das ist völlig undurchdacht.“ Aber auch Meldungen an das Statistische Zentralamt kosten viel von seiner wertvollen Arbeitszeit. 

Bei all dem Aufwand: Ist es wenigstens lukrativ, eine Tierarztpraxis zu führen? „Reich wird man als Tierarzt in Österreich sicher nicht“, beantwortet Mahringer die Frage prompt. Mit anderen akademischen Berufen sei der Verdienst nicht vergleichbar. So würden Humanmediziner mit demselben Arbeitseinsatz das Doppelte bis Dreifache eines Veterinärs verdienen. 

Studie ermittelte Einkommen

Eine Untersuchung des Wirtschaftsforschungsinstituts WIFO aus dem Jahr 2012 gibt ihm recht. Während damals für selbstständige Tierärzte ein ­durchschnittliches Jahreseinkommen von 24.500 Euro ermittelt wurde, kamen Allgemeinmediziner auf mehr als 70.000 Euro. An der Relation dürfte sich bis heute nichts geändert haben, allerdings liegt das Medianeinkommen für Tierärzte heute bei 30.000 Euro jährlich. Für Fischl kommt beim Verdienst ein weiteres Problem hinzu. Seine Praxis befindet sich in unmittelbarer Nähe zur ungarischen Grenze. Und dort liegen die Preise oftmals deutlich unter jenen in österreichischen Kliniken. „Man hört schon, dass die Leute mit ihren Tieren vereinzelt nach Ungarn fahren. Aber die Zufriedenheit hält sich in Grenzen“, berichtet er. Das Glück für sein Business: „Manchem Tierbesitzer ist der Preis weniger wichtig als die Qualität der Leistung.“ Und die bekannt gute Leistung heimischer Tierärzte bedingt sogar mitunter den gegenteiligen Effekt, sagt Fischl. „Einige Österreicher und Deutsche, die in Ungarn einen Zweitwohnsitz haben, kommen zu uns in die ­Praxis“, berichtet der Veterinär stolz. 

Aber Konkurrenz erwächst Mahringer und Fischl auch im eigenen Land. „Speziell die Jungen trauen sich oft nicht, die üblichen Preise zu verlangen. Wir versuchen dennoch nicht, preislich mit ihnen zu konkurrieren“, sagt Mahringer. Er ist auch so mit dem Umsatzwachstum seiner Klinik zufrieden. 

Klaus Fischl ist aktuell auf der Suche nach einer Ordinationsgehilfin. Seit einer Woche ist die Stelle schon ausgeschrieben, aber keine einzige Bewerbung ist dafür eingegangen. „Es ist sehr schwer, Personal zu finden“, berichtet er. Dabei würde er sogar eine Wohnung für die neue Gehilfin zur Verfügung stellen, sie kann also auch von weiter her kommen. Die jungen Leute wollen aber lieber in den Großstädten bleiben, vermutet er. Dort sei die Konzentration an Tierarztpraxen zuweilen so groß, dass sie wieder zusperren müssten. Im Burgenland hingegen würde noch Potenzial bestehen. Personalmangel ist für Fischls Kollegen Mahringer kein Problem: „Der Pferde­bereich ist sehr ‚in‘. Wir haben eigentlich immer genug Bewerber.“ Schwieriger, so Mahringer, sei es hingegen im Nutztierbereich, gute Leute zu finden. 

Was dabei wohl eine große Rolle spielt: Die Arbeit in einer Tierarztpraxis ist eine sehr anspruchsvolle, zeitlich herausfordernde Tätigkeit. Das hat sich auch unter Uniabsolventen herumgesprochen. Burn-out ist in der Branche keine Seltenheit. Das bestätigt auch Veterinär Mahringer: „In unserer Branche ist das ein großes Thema.“ In seiner Klinik ist es aber gelungen, die Situation zu entschärfen. Mahringer hat sich mit Partnern in einer GmbH & Co. KG zusammengeschlossen. „So können wir uns die Arbeiten auch besser aufteilen.“ Sein Kollege Fischl ist lieber sein eigener Chef, auch weil es in der Region kaum Allrounder wie ihn gibt. „Es gibt nicht so viele Kollegen, die das gesamte Spektrum abdecken“, berichtet er. Und: „Tierarzt ist eben auch ein Vetrauensberuf.“ Soll heißen: Tiere gewöhnen sich an einen bestimmten Tierarzt und reagieren mitunter empfindlich auf neue Personen. Aber Fischl arbeitet eben auch immer sehr nahe am Burn-out: „Manchmal, wenn einfach wieder alles schiefläuft, frage ich mich schon: Macht das alles noch Sinn?“ Aber wenn er dann ein paar Stunden mit seinen Ponys verbringen kann, sind derlei Gedanken wieder wie weggeblasen. Eine neue 80-Stunden-Woche kann kommen.