Trockenstellen –

Chance und Risiko

Dr. Franz Kritzinger
Rinderpraktiker

Die Trockenstehzeit ist ein sehr bedeutender Faktor für die Eutergesundheit. Der vorliegende Bericht gibt Ihnen einen Überblick über die zugrunde liegenden Herausforderungen für Mensch und Tier.   

Das Trockenstellen ist eine notwendige und höchst sinnvolle Maßnahme im Jahreszyklus einer Milchkuh. Im Besonderen muss der Einfluss auf die Eutergesundheit hervorgehoben werden. Einerseits besteht in dieser Zeit eine bessere Möglichkeit, bestehende Euterkrankheiten auszuheilen, andererseits aber müssen alle Maßnahmen zur Verhinderung von Neuinfektionen ergriffen werden. Selbst Euterentzündungen in den ersten Wochen nach der Geburt haben häufig ihre Ursache in Infektionen in der Trockenstehzeit.

Die hohe Milchleistung der Kühe zum Zeitpunkt des Trockenstellens bedeutet eine Herausforderung für Mensch und Tier. Das Infektionsrisiko nimmt zu und es kommt durch den ansteigenden Euterdruck nach dem Ende des Melkens zu einer messbaren Stressbelastung der Kühe. Das Niveau an Stresshormonen liegt bei Kühen mit einer Leistung von 20 Litern zum Zeitpunkt des Trockenstellens um über 60 % höher als bei Kühen unter 15 Litern. Nicht nur deshalb hat sich eine Diskussion über das „Durchmelken“ entwickelt. Fehlendes Kolostrum und reduzierte Milchleistung in der nächsten Laktation sind jedoch Argumente gegen diese Vorgehensweise.

 

Vorgang des Trockenstellens

Beim Trockenstellen der Kühe sollte sich der Verschluss des Strichkanals durch Verklebung idealerweise möglichst rasch nach der letzten Melkung einstellen. Dieser Verschluss wurde bisher immer sehr bildlich als Keratinpfropf bezeichnet. In der Praxis kann jedoch nicht von einem Pfropf, sondern von einer mehr oder weniger stark ausgebildeten Schicht keratinhaltiger, klebriger Massen gesprochen werden. Keratin ist mit unserem Ohrenschmalz vergleichbar und erfüllt seine Aufgabe durch Verkleben der Strichkanalschleimhaut.

Nach der letzten Melkung kommt es durch die weiter anhaltende Milchproduktion zu einem Anstieg des Euterdrucks und bei vielen, insbesondere hochleistenden Tieren, zum sogenannten „Laufenlassen“ der Milch. Ab einer individuell unterschiedlichen Druckhöhe kommt es dabei zu einer Dehnung des elastischen Ringes, zur Entfaltung der Strichkanalschleimhaut und zum Austreten von Milch. Die für die Überwindung des Widerstands des elastischen Rings notwendige Druckhöhe ist sehr unterschiedlich und kann als Entfaltungsdruck bezeichnet werden. Nach dem Erreichen des Entfaltungsdrucks öffnet sich der Strich­kanal. Durch die auslaufende Milch wird der Druck auf ein niedrigeres Niveau abgebaut. Ein Restdruck, der niedriger als der Entfaltungsdruck ist, bleibt erhalten und kann als Erhaltungsdruck bezeichnet werden. Solange der Erhaltungsdruck durch nachgebildete Milch aufrecht erhalten bleibt, rinnt Milch aus.

Bei Messungen konnten sowohl beim Entfaltungsdruck als auch beim Erhaltungsdruck große Unterschiede festgestellt werden. Die gemessenen Werte lagen für den höheren Entfaltungsdruck zwischen 34 und 75 cm Hg und für den Erhaltungsdruck zwischen 21 und 45 cm Hg. Der somit sehr unterschiedliche Widerstand des elastischen Rings, der für den Zitzenverschluss verantwortlich ist, kann genetisch oder durch das Alter des Tieres bedingt sein. 

Jede Eröffnung des Strichkanals bewirkt eine Entfaltung der keratinbedingten Schleimhautverklebung und in weiterer Folge den sogenannten offenen Strichkanal. In Zusammenhang mit dem Trockenstellen einer Kuh ist ein offener und damit als Eintrittspforte dienender Strichkanal wesentlich problematischer zu sehen, zumal ein Ausschwemmen von eingedrungenen Infektions­erregern durch das periodische Melken wegfällt.

Der durch die anhaltende Milchproduktion entstan­dene Euterdruck wirkt als Gegendruck und vermindert so die Sekretionsleistung in den Alveolen und im Euter­parenchym, wodurch der Euterdruck mit der Zeit abfällt. Fällt er unter die Schwelle des Erhaltungsdrucks, der die Milch auslaufen lässt, so wird durch den Zug des elastischen Rings das Laufenlassen der Milch beendet, der Strichkanal geschlossen und durch Keratinverklebung das Euter vor eindringenden Keimen geschützt.

Die frühe Phase des Trockenstellens mit offenem Strichkanal bei „laufendem Euter“ stellt somit eine Risikophase dar. Ebenso wird der Strichkanal in der Zeit unmittelbar vor der Geburt durch die beginnende Milchproduktion mit steigendem Euterdruck wieder geöffnet. Die Phase vor der Geburt stellt mit wieder offenem Strichkanal die zweite Risikophase der Trockenstehzeit dar. Die Zeit dazwischen ist aufgrund des verklebten Strichkanals durch sehr geringe Infektionsraten charakterisiert. Die Länge der beiden Risikophasen ist in erster Linie von der Elas­tizität und dem dadurch bedingten Widerstand des elastischen Rings und von der Milchleistung abhängig. Bei Kühen mit hohen Milchleistungen zum Zeitpunkt des Trockenstellens bleibt der Strichkanal durch die auslaufende Milch länger offen und das Infektionsrisiko steigt stark an.

Schutz der Kühe

In der Diskussion um das selektive Trockenstellen der Kühe geht es um den Schutz eutergesunder Tiere. Euterkranke Tiere sollten mit Langzeitantibiotika trockengestellt werden, wobei durch die längere Persistenz der eingesetzten Wirkstoffe die Mastitiserreger eliminiert werden sollen. Andererseits muss das Antibiotikum bei der Geburt aus Gründen der Wartezeit wieder abgebaut sein. Da aber mit einer antibakteriellen Wirksamkeit ab einer bestimmten Mindest-Antibiotikakonzentration gerechnet werden kann, sind somit die Tiere in der Phase vor der Geburt (zweite Risikophase) wieder ungeschützt. Ein zweiter Nachteil von antibiotischen Trockenstellern ist das Auslaufen gemeinsam mit der Milch. Wegen ähnlicher Konsistenzen kommt es nach der Applikation in der Zitzenzisterne zu einer Durchmischung von Milch und Medikament. Steigt nach dem Trockenstellen der Euterdruck bis über den Entfaltungsdruck an, so tritt Milch aus und mit der auslaufenden Milch gehen auch große Teile des applizierten Medikaments verloren. Daher ist eine prophylaktische Anwendung von antibiotischen Trockenstellern bei gesunden Tieren nicht zu empfehlen. Auch zahlreiche statistische Auswertungen können bei gesunden Tieren keinen oder einen nur sehr geringen Schutz nachweisen.

Zitzenversiegler

Das Laufenlassen der Milch bei offenem Strich-kanal (= Infektionsrisiko) ist durch den steigenden Euterdruck gleich nach dem Trockenstellen und in der Zeit vor der Geburt in diesem Zusammenhang ein Risikofaktor. 

Eine Alternative zum prophylaktischen Einsatz von Antibiotika (Trockensteller) sind Zitzenversiegler. Da bei Anwendung von antibiotischen Trockenstellern diese auch auslaufen, ist in diesem Zusammenhang das Verhalten des Zitzenversieglers von großem Interesse. Der in den Versieglern enthaltene Wirkstoff Bismutnitrat ist in einer zähen weißen Masse gelöst und soll, in den Strichkanal eingebracht, den Kanal verschließen und so den natürlichen Verschluss mit Keratin ersetzen. Nach der Applikation des Versieglers kommt es aufgrund der unterschiedlichen Konsistenz von Versiegler und Milch zu keiner Durchmischung der beiden Komponenten. Der Versiegler liegt pfropfartig in der Zitze. Außerdem haftet der Versiegler nicht an der feuchten Zisternenschleimhaut an, sodass sich bei zunehmendem Euterdruck die von oben kommende Milch am Versiegler vorbei Richtung Zitzenspitze bewegen kann. Der Vorteil des Versieglers ist, dass – anders als der antibiotische Trockensteller – auch noch in der zweiten Risikophase kurz vor der Geburt seine Wirkung erhalten bleibt.

• Der Zitzenversiegler baut sich nicht ab. Er muss nach der Geburt ausgemolken werden. Das kann teilweise sogar mühsam sein. Antibiotika aus dem Trockensteller bauen sich aus Gründen der Wartezeit ab und sind in der zweiten Risikophase vor der Geburt nicht mehr wirksam.

• Zitzenversiegler laufen beim Tröpfeln der Milch bei zunehmendem Euterdruck nach dem Trockenstellen und vor der Geburt nicht oder nur sehr selten aus. Trockensteller jedoch rinnen mit der Milch aus. Der Zitzenversiegler vermischt sich kaum mit der Milch und haftet nicht an der Zisternenschleimhaut an. Dadurch fließt die Milch am Versiegler vorbei und tritt an der Zitzenspitze aus. So wird der Euterdruck wieder abgebaut. Nach dem Abbau des Zitzendrucks ist der Versiegler noch in der Zitze und kann den Strichkanal wieder verschließen.

In Auswertungen der Neuinfektionsraten trockenstehender Kühe zeigt sich eine Überlegenheit des Versieglers gegenüber antibiotischen Trockenstellern. Die Überlegenheit des Versieglers beruht nicht nur auf dem Fehlen jeglicher Wartezeit, sondern auf einer im Vergleich zum antibiotischen Trockensteller wesentlich niedrigeren Neuinfektionsrate bei eutergesunden Tieren. Die Ursache dafür ist, dass der Versiegler auch in der zweiten Risikophase der Trockenstehzeit in den Tagen vor der Geburt, wenn der Strichkanal sich schon wieder öffnet, das Euter vor eindringenden Keimen schützen kann. Im Gegensatz dazu bietet der antibiotische Trockensteller nur in der ersten Risikophase nach dem Trockenstellen, bevor sich der Strichkanal schließt, einen gewissen Schutz.

Sobald der Euterdruck abfällt, kann der verbliebene Versiegler den Strichkanal verschließen! Dies erklärt, warum auch bei „rinnenden Eutern“ die Schutzwirkung des Versieglers erhalten bleibt. Kühe, die den Versiegler auslaufen lassen, sind in Praxisbeobachtungen und Rückmeldungen von Landwirten extrem selten.

Zusammenfassend kann gesagt werden:

• Versiegler sind eine sinnvolle und wirksame Alternative beim Trockenstellen eutergesunder Kühe.

• Tierärzte können in Zusammenhang mit der Antibiotika-diskussion aktiv auf die Landwirte einwirken und beim Trockenstellen der Kühe zur Antibiotikareduktion beitragen.

• Die dafür nötige Aufklärung muss auf ein Verständnis der Vorgänge beim Trockenstellen hinzielen.

• Auf das verbleibende Restrisiko bei Zitzenversieglern muss im Vorfeld hingewiesen werden: Es gibt auch bei Versieglern Neuinfektionen. Sie sind jedoch nach den jetzigen Praxiserfahrungen sehr selten und stehen oft in Zusammenhang mit unsauberer Applikation (z. B. bei schlagenden Tieren).

• Auch Versiegler können ausrinnen, jedoch sehr selten.

• Können Versiegler in einem gewissen Umfang das Ausrinnen verhindern? Hierzu sind sicher noch weitere Arbeiten aus der Wissenschaft nötig.

• Im Zusammenhang mit der Applikation muss immer wieder auf die notwendige Sauberkeit bei der Verabreichung hingewiesen werden.