Das Trockenstellen ist eine notwendige und höchst sinnvolle Maßnahme im Jahreszyklus einer Milchkuh. Im Besonderen muss der Einfluss auf die Eutergesundheit hervorgehoben werden. Einerseits besteht in dieser Zeit eine bessere Möglichkeit, bestehende Euterkrankheiten auszuheilen, andererseits aber müssen alle Maßnahmen zur Verhinderung von Neuinfektionen ergriffen werden. Selbst Euterentzündungen in den ersten Wochen nach der Geburt haben häufig ihre Ursache in Infektionen in der Trockenstehzeit.
Die hohe Milchleistung der Kühe zum Zeitpunkt des Trockenstellens bedeutet eine Herausforderung für Mensch und Tier. Das Infektionsrisiko nimmt zu und es kommt durch den ansteigenden Euterdruck nach dem Ende des Melkens zu einer messbaren Stressbelastung der Kühe. Das Niveau an Stresshormonen liegt bei Kühen mit einer Leistung von 20 Litern zum Zeitpunkt des Trockenstellens um über 60 % höher als bei Kühen unter 15 Litern. Nicht nur deshalb hat sich eine Diskussion über das „Durchmelken“ entwickelt. Fehlendes Kolostrum und reduzierte Milchleistung in der nächsten Laktation sind jedoch Argumente gegen diese Vorgehensweise.
Vorgang des Trockenstellens
Beim Trockenstellen der Kühe sollte sich der Verschluss des Strichkanals durch Verklebung idealerweise möglichst rasch nach der letzten Melkung einstellen. Dieser Verschluss wurde bisher immer sehr bildlich als Keratinpfropf bezeichnet. In der Praxis kann jedoch nicht von einem Pfropf, sondern von einer mehr oder weniger stark ausgebildeten Schicht keratinhaltiger, klebriger Massen gesprochen werden. Keratin ist mit unserem Ohrenschmalz vergleichbar und erfüllt seine Aufgabe durch Verkleben der Strichkanalschleimhaut.
Nach der letzten Melkung kommt es durch die weiter anhaltende Milchproduktion zu einem Anstieg des Euterdrucks und bei vielen, insbesondere hochleistenden Tieren, zum sogenannten „Laufenlassen“ der Milch. Ab einer individuell unterschiedlichen Druckhöhe kommt es dabei zu einer Dehnung des elastischen Ringes, zur Entfaltung der Strichkanalschleimhaut und zum Austreten von Milch. Die für die Überwindung des Widerstands des elastischen Rings notwendige Druckhöhe ist sehr unterschiedlich und kann als Entfaltungsdruck bezeichnet werden. Nach dem Erreichen des Entfaltungsdrucks öffnet sich der Strichkanal. Durch die auslaufende Milch wird der Druck auf ein niedrigeres Niveau abgebaut. Ein Restdruck, der niedriger als der Entfaltungsdruck ist, bleibt erhalten und kann als Erhaltungsdruck bezeichnet werden. Solange der Erhaltungsdruck durch nachgebildete Milch aufrecht erhalten bleibt, rinnt Milch aus.
Bei Messungen konnten sowohl beim Entfaltungsdruck als auch beim Erhaltungsdruck große Unterschiede festgestellt werden. Die gemessenen Werte lagen für den höheren Entfaltungsdruck zwischen 34 und 75 cm Hg und für den Erhaltungsdruck zwischen 21 und 45 cm Hg. Der somit sehr unterschiedliche Widerstand des elastischen Rings, der für den Zitzenverschluss verantwortlich ist, kann genetisch oder durch das Alter des Tieres bedingt sein.
Jede Eröffnung des Strichkanals bewirkt eine Entfaltung der keratinbedingten Schleimhautverklebung und in weiterer Folge den sogenannten offenen Strichkanal. In Zusammenhang mit dem Trockenstellen einer Kuh ist ein offener und damit als Eintrittspforte dienender Strichkanal wesentlich problematischer zu sehen, zumal ein Ausschwemmen von eingedrungenen Infektionserregern durch das periodische Melken wegfällt.
Der durch die anhaltende Milchproduktion entstandene Euterdruck wirkt als Gegendruck und vermindert so die Sekretionsleistung in den Alveolen und im Euterparenchym, wodurch der Euterdruck mit der Zeit abfällt. Fällt er unter die Schwelle des Erhaltungsdrucks, der die Milch auslaufen lässt, so wird durch den Zug des elastischen Rings das Laufenlassen der Milch beendet, der Strichkanal geschlossen und durch Keratinverklebung das Euter vor eindringenden Keimen geschützt.
Die frühe Phase des Trockenstellens mit offenem Strichkanal bei „laufendem Euter“ stellt somit eine Risikophase dar. Ebenso wird der Strichkanal in der Zeit unmittelbar vor der Geburt durch die beginnende Milchproduktion mit steigendem Euterdruck wieder geöffnet. Die Phase vor der Geburt stellt mit wieder offenem Strichkanal die zweite Risikophase der Trockenstehzeit dar. Die Zeit dazwischen ist aufgrund des verklebten Strichkanals durch sehr geringe Infektionsraten charakterisiert. Die Länge der beiden Risikophasen ist in erster Linie von der Elastizität und dem dadurch bedingten Widerstand des elastischen Rings und von der Milchleistung abhängig. Bei Kühen mit hohen Milchleistungen zum Zeitpunkt des Trockenstellens bleibt der Strichkanal durch die auslaufende Milch länger offen und das Infektionsrisiko steigt stark an.