Mars, AniCura, Nestlé, Evidensia:

Deutschlands Tiermedizin wird zum Schlachtfeld der Corporates!

Tierarzt Ralph Rückert
Quelle: www.tierarzt-rueckert.de/blog

Der vorliegende Gastbeitrag gibt ausschließlich die persönliche Meinung des Autors wieder und drückt die tiefe Besorgnis über die aktuelle Attacke international agierender Großunternehmen (Corporates) auf den deutschen Tiermedizinmarkt aus.

Ready Player One! Die Spieler sind auf dem Spielfeld, die Schlacht um den deutschen bzw. europäischen Tiermedi­zinmarkt hat begonnen. Die Anicura Group mit inzwischen ca. 270 Klinik- und Praxisstandorten in ganz Europa ist der Avatar von Mars Petcare, dem weltweit größten Besitzer von Tierarztpraxen und -kliniken.

Nestlé, der große Konkurrent von Mars auf dem hart umkämpften Tierfuttermarkt, steht massiv unter Handlungsdruck und hat sich kürzlich bei IVC Evidensia eingekauft, der nach eigener Aussage „führenden Tiermedizingruppe in Europa mit aktuell 1318 Kliniken bzw. Praxen in zehn Ländern“. Hinter IVC Evidensia steht mit EQT eine Investitionsgruppe, die nach eigenen Angaben die schwindelerregende Summe von etwa 100 Milliarden Euro in Fonds und Vermögenswerten verwaltet.

Und worum geht es? Letztendlich um Sie, die Tierbesitzer, bzw. Ihr Geld. Die internationalen Finanzanalysten haben den Tiermedizinsektor als ausgesprochen lohnendes Investment identifiziert. Das trifft in ganz besonderem Maße für Deutschland zu, das (wie von mir in anderen Artikeln schon mehrfach erwähnt) als tiermedizinisches Billigland mit einem enormen Potenzial für Gebührensteigerungen gesehen wird. Mars manövriert sich schon seit einiger Zeit mittels der strategischen Kombination von Tierfutter und Tiermedizin sehr erfolgreich aus der zu eng gewordenen Schokoriegel- und Kaugummi-Ecke raus.

Dazu kommt natürlich, dass man als Big Player in der Tierfutterbranche mit einer gewissen Berechtigung davon ausgehen kann, die Praxen und Kliniken in seinem Besitz durch „sanften Druck“ dazu bewegen zu können, ausschließlich die konzerneigenen Futtermittel zu empfehlen oder zu vertreiben, was logischerweise einen gewaltigen Synergieeffekt mit sich bringt. Der Einstiegszeitpunkt könnte für die Corporates nicht idealer sein: Sehr viele InhaberInnen und GründerInnen von erfolgreichen Praxen und Kliniken suchen händeringend nach NachfolgerInnen, die sich so etwas auch zutrauen. Finden sie niemanden – was leider mehr als häufig der Fall ist –, bleibt nur der Verkauf an eine der Ketten als letzte Option, um das Lebenswerk zu erhalten und für den Ruhestand zu versilbern. Firmengiganten wie Mars und Nestlé fehlt es natürlich nicht am Geld, um sehr, sehr attraktive Angebote machen zu können.

Und die Generation der potenziellen PraxisnachfolgerInnen mit einem extrem hohen Frauenanteil scheut offenbar aus einer Vielzahl von Gründen den Arbeitsaufwand und das Risiko der Selbstständigkeit und möchte es sich lieber in einem kuscheligen Angestelltenverhältnis gemütlich machen. Genau das erhofft man sich, wenn man sich entschließt, für eine der Ketten zu arbeiten – in meinen Augen fälschlicherweise. So ist ein Klima entstanden, das nach einer kurzen Konsolidierungsphase weitere schnelle Aufkäufe von Kliniken und Praxen sehr wahrscheinlich macht. Wie zügig das gehen kann, zeigt das Beispiel der Anicura in Skandinavien: Innerhalb weniger Jahre hat die Kette in Schweden so gut wie alle Tierkliniken unter ihre Kontrolle gebracht, um sich dann mit rasanter Geschwindigkeit auf die Nachbarländer auszubreiten.

Damit wären wir bei meinem ersten Kritikpunkt, der Monopolbildung, einer Spezialität von Firmen wie Mars und Nestlé. Wir alle wissen, dass Monopole aus Sicht des Verbrauchers eine ganz üble Sache sind. Die Macht des Kunden, das „Abstimmen mit den Füßen“ – also die Möglichkeit, zur Konkurrenz zu gehen –, wird durch ein Monopol effektiv zerstört. Man stelle sich ein Wien vor, in dem es nur noch Starbucks-Filialen gibt, aber kein einziges traditionelles Kaffeehaus mehr – grauenvoll! Nicht viel anders sieht es aber in meiner Region inzwischen in Bezug auf spezialisierte tiermedizinische Leistungen aus: Alle Tierkliniken in erreichbarer Nähe, an die ich als Ulmer Haustierarzt Patienten für spezielle diagnostische oder therapeutische Maßnahmen überweisen könnte, sind in der Hand von Ketten, vorwiegend der Anicura. Sprich: Mars hat über die Tochter Anicura den Markt in unserer Region bereits vollständig in der Hand – und diese Hand nur noch nicht fest zugemacht. Das kann sich aber ganz schnell ändern: Im Dezember 2019 übernimmt Azita Shariati, eine Topmanagerin und laut einem schwedischen Magazin die „mächtigste Geschäftsfrau Schwedens“, die Leitung der Anicura Group. Damit dürfte die kurze Atempause, die nach den schnellen Klinikaufkäufen der Anicura und dem nachfolgenden Verkauf der Kette an Mars entstanden ist, beendet sein.

Was wird passieren?

Was haben Anicura, Mars, Evidensia und – dahinter, noch halb im Schatten verborgen – Nestlé vor? Keiner außerhalb der strategischen Planungsabteilungen der Corporates kann das wirklich wissen. Gerade Mars Inc. ist dafür bekannt und berüchtigt, dass sich die in Familienbesitz befindliche und niemandem Rechenschaft schuldige Firma absolut nie in die Karten schauen lässt. Und Nestlés – gelinde gesagt robustes – Geschäftsgebaren ist für uns informierte Europäer ja auch nichts wirklich Neues.

Also bin ich auf meinen gesunden Menschenverstand als Kind einer kapitalistischen Weltordnung angewiesen. Und dieser gesunde Menschenverstand sagt mir: Es wird Krieg geben, und zwar um Marktanteile und Profitmaximierung! Jeder krallt sich vom Kuchen, was er kann, und zwar so schnell und so viel wie möglich. Ich sehe nicht viele Gründe, die einer weiteren Expansion der Ketten im Wege stehen würden. Ausreichend Geld haben diese Superkonzerne allemal, und es gibt auch beileibe genug Praxen und Kliniken, die keine Nachfolger finden, die überschuldet oder deren Inhaber heillos zerstritten sind, und die demzufolge glücklich über ein Kaufangebot wären, das sie von allen Sorgen befreit.

Letztendlich geht es ganz simpel um Profitmaximierung. Kein Mensch klaren Verstandes wird sich etwas anderes vormachen lassen, trotz der üblichen bedeutungslosen Sprechblasen wie „Shaping the future together“, „Cooperation“ und „A better world for pets“, die Mars und seine Repräsentanten unermüdlich absondern; durchaus auch gegenüber der Tierärzteschaft. Tiermedizin an sich ist bei vernünftiger Unternehmensführung ein gutes Geschäft und erzielt Gewinnmargen, bei denen Konsumgüterkonzerne glänzende Augen bekommen. Und diese Margen lassen sich durch straffe Organisation und Ausnützung von Synergieeffekten auch noch deutlich steigern.

Natürlich will auch ein freier Tierarzt wie ich anständig verdienen mit seiner Arbeit. Profitstreben an sich ist ­definitiv nicht verwerflich und nach wie vor eine gute Motivation, ordentliche und saubere Arbeit abzuliefern. In der Medizin, sei es für Tiere oder für Menschen, hat sich dieses Streben nach Gewinn aber immer und grundsätzlich einer medizinischen Ethik unterzuordnen. Zuerst kommt der Patient, dann die Kohle! Diese Ethik wird ­Medizinern sozusagen mit der Muttermilch eingetrichtert. Logischerweise ist die Tierärzteschaft (wie jeder andere Berufsstand!) ein Abbild der Gesellschaft. Demzufolge muss es auch unter uns zwangsläufig einen gewissen Prozentsatz an Neppern, Schleppern und Bauernfängern geben, die mit der Akzeptanz moralischer Maßstäbe so ihre Probleme haben. Insgesamt ist die vorhin genannte Ethik aber durchaus vorhanden und in berufsinternen Ge­sprächen und im Handeln der allermeisten Kolleginnen und Kollegen auch deutlich zu spüren. Aber können wir eine wie auch immer geartete medizinische Ethik von einem amerikanischen Schokoriegelhersteller erwarten, der versucht, sich einen möglichst großen Teil der Tier­medizin in den USA und Europa unter den Nagel zu reißen? Meiner Meinung nach wäre das mehr als naiv! Es geht trotz aller frommen Sprüche in meinen Augen nur und ausschließlich um die Rendite des eingesetzten Kapitals.

Ethik versus Gewinnmaximierung

Bitte machen Sie sich diesen grundlegenden Unterschied klar: Wir, die freien, ungebundenen Praxisinhaberinnen und -inhaber, kennen Sie, unsere Kunden, und Ihre Tiere, oft seit vielen Jahren. Sie liegen uns am Herzen! Gleichzeitig sind wir InhaberInnen auch die letzte Instanz, was sowohl das ethisch korrekte als auch das geschäftliche Verhalten unserer Praxen angeht. Über uns kommt da nix mehr! Im Gegensatz dazu mag ein im Angestelltenverhältnis stehender tierärztlicher Geschäftsführer einer Anicura- oder Evidensia-Niederlassung persönlich eine noch so intakte ethische Einstellung haben – aber was hilft das, wenn er letztendlich keineswegs nur Ihnen als Kunden verantwortlich ist, sondern immer auch der sich über ihm auftürmenden Konzernstruktur mit berufsfremden Managern, Controllern und Entscheidern, die nur auf eines aus sind, nämlich maximalen Gewinn?

Sobald die Command-and-Control-Strukturen der Corporates mal so richtig implementiert sind, werden sich schnell enorme Datenmengen ansammeln: Zum einen über Sie, also die Kunden, und Ihr Verhalten (Wie viel Geld geben Sie pro Jahr für den Tierarzt aus? Wie sieht das im Vergleich zu anderen Ländern aus; geht da noch was? Wie füttern Sie Ihren Hund? Wie könnte man Sie dazu bewegen, Mars- oder Nestlé-Tierfuttermittel zu bevorzugen?); zum anderen über die angeschlossenen Praxen und Kliniken (Umsatz- und Gewinnzahlen, Auslastung der Technik, Personalpolitik etc.). Man darf sich fragen, ob folgendes Szenario zu pessimistisch bzw. zu zynisch ist oder ob es einfach dem gesunden Menschenverstand und der allgemeinen Lebenserfahrung entspricht: Anicura-Tierklinik A und Anicura-Tierklinik B befinden sich in der gleichen Region und sind auch ansonsten bezüglich Größe und technischer Ausstattung gut vergleichbar. Beide Kliniken verfügen über einen Magnetresonanztomographen (MRT). Klinik A führt pro Jahr 100 MRTs durch, Klinik B nur 50. Würde die übergeordnete Kontroll­instanz der Kette das einfach schulterzuckend akzeptieren? Oder kann es sein, dass alsbald ein paar Anzugträger aus den oberen Etagen in Klinik B auftauchen würden, um ein ernstes Wörtchen mit dem Geschäftsführer zu reden? Und das wäre dann genau der Punkt, an dem die tiermedizinische Ethik so richtig den Bach runtergeht, denn wenn Geschäftsführer B sich unter Druck von oben dazu entschließen müsste, tiermedizinisch nicht wirklich angezeigte MRTs anzuordnen, um seine Sollzahlen zu erfüllen, würde er damit definitiv die Interessen seiner Kunden und damit die medizinische Ethik verletzen.

Kann man beweisen, dass solche Szenarien tatsächlich der Realität entsprechen? Nein! Man hört in den Netzwerken allenfalls einzelne Stimmen und Gemunkel. Womit wir bei einem weiteren schwerwiegenden Kritikpunkt wären: Je mehr Standorte ein Multi unter seiner Kontrolle hat, je höher die Marktdurchdringung ist, desto fester wird auch der Würgegriff gegen das Personal. In persönlichen Gesprächen wurde mir durchaus schon berichtet, dass man es sich als angestellte Tierärztin/als angestellter Tierarzt in Schweden bzw. in ganz Skandinavien besser nicht mit Anicura oder Evidensia verdirbt, weil man sonst so leicht keinen Job mehr findet. Was echte Insiderinformationen angeht, werden wir also in Zukunft allenfalls auf vereinzelte Whistleblower hoffen können – was aber natürlich keineswegs bedeutet, dass wir in herziger Naivität fest an das Gute im Handeln von Corporates und Großinvestoren glauben müssten.

Bisher merken Sie als Tierbesitzer nicht viel von dieser Entwicklung. In vielen der aufgekauften Kliniken sind die GründerInnen und ehemaligen InhaberInnen nach wie vor als GeschäftsführerInnen tätig, und da es für eine zentralisierte Kontrolle noch zu früh ist, macht bisher auch jede Ketten-Klinik in Bezug auf Gebühren und Gehälter, was sie für richtig hält. Das wird sich aber meiner Meinung schnell ändern, und dann wird es für die in Deutschland aktuell sowieso auf breiter Ebene steigenden Behandlungsgebühren nur noch einen Weg geben, nämlich den steil nach oben. Keiner kann mir erzählen, dass die Anicura mit ihrer nun antretenden (schwedischen) Chefin Azita Shariati nicht das „leuchtende Beispiel“ von Schweden mit seinem um das Drei- bis Vierfache höheren Gebührenniveau als hier in Deutschland vor den glänzenden Augen hätte.

Ein weiterer Effekt, der meiner Meinung im weiteren Verlauf auch für Sie als Tierhalter bedeutsam werden wird, ist für mich als Insider leider jetzt schon bemerkbar: Beileibe nicht in allen, aber doch in manchen Anicura-Kliniken scheint die früher vorhandene Motivation flöten zu gehen. Ich finde das auch nicht wirklich verwunderlich: Es ist einfach etwas anderes, ob man eine Praxis oder Klinik betreibt, die einem gehört, oder ob man als angestellter Geschäftsführer arbeitet. Frühere GründerInnen und InhaberInnen, für die es vormals ganz normal war, sich in 60- bis 80-Stunden-Wochen einen Wolf zu arbeiten, um alle Kunden und Überweisungspraxen zufriedenzustellen, wirken auf mich inzwischen ein wenig so, als ob sie nach dem Motto „Vorsicht, Kunde droht mit Auftrag!“ agieren würden.

Wie wird das erst werden, wenn alle Corporate-Standorte von angestellten Geschäftsführern bzw. Geschäftsführerinnen geleitet werden? Machen wir uns nichts vor: Die großen Praxen und Kliniken wurden gegründet und aufgebaut von extrem hart arbeitenden, hoch kompetenten und oft genug kantig-charismatischen Persönlichkeiten. Viele von ihnen waren und sind Stars unseres Berufs­standes. Ihre Praxen und Kliniken wurden natürlich nicht zufällig sehr erfolgreich. Werden die zukünftigen Stars der Tiermedizin sich als Geschäftsführer für die Corporates verdingen? Wohl eher nicht! Lässt man sich als GeschäftsführerIn anstellen, um sich dann für den Profit eines Konzerns einen Wolf zu arbeiten? Wohl eher nicht! Ziehen Sie selbst Ihre Schlüsse, was das für Sie als Kunde und Tierhalter bedeutet.

Denken Sie bitte auch daran, was passiert, wenn mal was nicht so gelaufen ist, wie es hätte laufen sollen. Wenn Sie bezüglich meiner Praxis eine Beschwerde haben oder (Gott bewahre!) gar wegen eines Fehlers Klage führen wollen, dann bin ich, der Inhaber, Ihre ohne irgendwelche Umwege erreichbare Anlaufstelle, also die Ihnen einzig und allein verantwortliche Person. In einer Praxis oder Klinik unter der Kontrolle von Mars oder Nestlé dürfen Sie sich mit einer ernsthaften Beschwerde höchstwahrscheinlich erst mal nach oben durchfragen, bis sich eventuell jemand (den Sie noch nie gesehen haben) für zuständig erklärt. Und bei juristischen Auseinandersetzungen werden Sie wohl das Vergnügen mit den Rechtsabteilungen von Ani­cura oder Evidensia bekommen. Außerdem stellt sich die noch lange nicht abschließend geklärte Frage, inwiefern eine Praxis oder Klinik im Besitz eines internationalen Konzerns überhaupt nationalen rechtlichen Regelungen wie der Berufsordnung oder der Gebührenordnung unterliegt.

Was aber tun?

Ein Pharmamanager sagte neulich auf einem tiermedizinischen Kongress, dass die geschilderte Entwicklung ein Tsunami wäre, bei dem es nur darum gehen könne, irgendwie über Wasser zu bleiben; an einen Richtungswechsel sei aber nicht mal ansatzweise zu denken. Stimmt das wirklich? Ist die Monopolisierung der Tiermedizin, das Ende des FREIEN Berufs Tierarzt und der Untergang Ihrer Wahlmöglichkeiten als Kunde wirklich nicht mehr aufzuhalten? Mag schon sein! Die hinter dem Angriff der Konzerne stehende finanzielle Power ist wirklich überwältigend. Trotzdem: Sie als Kunden sind noch (noch!) nicht völlig machtlos ausgeliefert. Natürlich können Sie, wie weiter oben schon erläutert, in einer Region wie hier bei uns im Schwäbischen wenig dagegen machen, wenn Ihr Haustierarzt Sie wegen eines besonderen Problems an eine Anicura-Klinik überweist. Soll Ihrem Tier geholfen werden, werden Sie das wohl zähneknirschend hinnehmen müssen. In anderen Regionen aber, in denen die Ketten noch keine Monopolstellung erreicht haben, sollten Sie sich meiner Meinung nach anlässlich einer Überweisung unbedingt alternative Einrichtungen nennen lassen, die noch frei und nicht an Ketten gebunden sind. Sie entziehen damit den Ketten-Kliniken (und damit den dahinter stehenden Konzernen) das Geschäft, geben es an freie Praxen und Kliniken und sorgen dadurch für deren Weiterbestehen – und indirekt natürlich auch für den Erhalt Ihrer Wahlmöglichkeiten als Tierbesitzer.

Was Sie (wieder meiner Meinung nach) überall in Deutschland und ungeachtet irgendwelcher Klinikmonopole tun können und auch dringend tun sollten: Frequentieren Sie keine Mars- und Nestlé-Kliniken als Stammkunden, die da wegen jedem Problem inklusive Jahresimpfungen aufschlagen! Fragen Sie sich immer, ob Sie die nachgesuchte tiermedizinische Leistung nicht auch in einer freien Praxis oder Klinik bekommen können. Wenn Sie sich diesbezüglich nicht konsequent verhalten, werden Sie die deutsche Tiermedizin in zehn Jahren nicht wiedererkennen. Die bisher vorhandene und für jedermann ausreichende Wahlmöglichkeiten zulassende Vielfalt an Praxis- und Klinikmodellen wird dann unwiederbringlich verloren sein.

Mein persönlicher Traum wäre, dass Mars und Nestlé sich in zehn Jahren verwundert und verärgert die Augen reiben über die sturen und freiheitsliebenden Deutschen, die sich nicht so leicht auf diese elende Ketten-Tiermedizin einlassen wie die Amerikaner, die Skandinavier und die Briten. Mit diesem Traum vor Augen hat sich vor einigen Monaten die Gesellschaft Für Freie Tiermedizin (GFT) gegründet, deren Mitglieder alle InhaberInnen freier und kettenungebundender Praxen und Kliniken sind, die den Corporates Widerstand entgegensetzen und die Freiheit unseres Berufsstandes so lange, wie es irgendwie geht, verteidigen wollen. Achten Sie als Kunden in Zukunft auf die Abkürzung GFT – sie soll über kurz oder lang zum stolzen Zeichen von Praxen und Kliniken werden, die frei und inhabergeführt sind. Um Ihnen, den Tierbesitzern, aber nicht die alleinige Verantwortung für die Zukunft aufzubürden, an dieser Stelle auch noch ein paar persönliche Worte an meine Kolleginnen und Kollegen:

Den InhaberInnen noch freier Praxen und Kliniken, die für die Corporates interessant wären, will ich erst gar nicht ins Gewissen zu reden versuchen. Ich kann jeden verstehen, der an eine Kette verkauft, weil er keine Nachfolgerin/keinen Nachfolger findet. Ob man für sein Lebenswerk am Ende einen angemessenen Betrag bekommt, kann halt (etwas plakativ ausgedrückt) den Unterschied zwischen einem Ruhestand in der Dreizimmerwohnung im Plattenbau und einem Lebensabend im Eigenheim am Waldrand bedeuten. Ich kann nicht erwarten oder gar fordern, dass Selbstaufopferung und Prinzipientreue so weit gehen.

Die jungen Kolleginnen und Kollegen, die eher noch am Anfang ihres Berufslebens stehen, sollten sich aber in meinen Augen dringend fragen, ob es wirklich notwendig und nicht etwa ein Stück weit Verrat am eigenen Berufsstand ist, für Mars, Anicura, Nestlé, EQT und Evidensia zu arbeiten, vor allem angesichts der aktuellen Lage auf dem Arbeitsmarkt und der häufig ausgesprochen miesen Bezahlung, mit der Kettenkliniken immer wieder auffällig werden. Es gibt zurzeit wirklich mehr als genug gut dotierte Stellenangebote in freien Praxen und Kliniken, sodass man beileibe nicht gezwungen ist, sich von diesen Totengräbern unseres Berufsstandes anheuern zu lassen. Jetzt habt Ihr (ähnlich wie die Tierbesitzer) noch die Wahl – in zehn Jahren wahrscheinlich nicht mehr, denn dann haben die Corporates uns alle, Kunden und Tierärzte, so richtig schön am Haken. Ich bin dann im Ruhestand oder schon tot, Ihr aber habt endgültig verloren, weil Ihr jetzt nicht aufgepasst habt, weil Ihr Euer Erbe leichtfertig verspielt und Eure Freiheit billig verkauft habt! Nach meiner Auffassung haben rein profitorientierte Großkonzerne und Investoren in der Medizin (ob nun für Menschen oder für Tiere) absolut nichts zu suchen!

Abschließend noch eine Klarstellung:

Verwechseln Sie bitte nicht meine strikte Ablehnung von Großinvestoren-Tiermedizin mit einer Abneigung gegenüber den Kolleginnen und Kollegen, die im Moment für Anicura oder Evidensia arbeiten. Die meisten von ihnen sind innerhalb kürzester Zeit zweimal buchstäblich verkauft worden, wie Leibeigene ohne jedes Mitspracherecht. Ich selbst käme sehr schlecht damit zurecht, wenn ich erst bei einem Gründer bzw. Inhaber angeheuert hätte und dann plötzlich über zwei Ecken ein Angestellter von Mars Inc. wäre. Ich kenne so einige der momentan für Ketten-Kliniken arbeitenden Kolleginnen und Kollegen persönlich, sogar bis dahin, dass wir per Du sind. Sorgen muss man sich um sie keine machen, auch wenn viele Tierhalter meinen Anregungen folgen sollten. Das sind gute Leute, die bei der momentan herrschenden Personalnot in unserer Branche nicht die geringsten Probleme hätten, woanders gut bzw. besser unterzukommen. Wer sich allerdings angesichts dieser bedrohlichen Entwicklungen in Zukunft ohne wirkliche Not auf ein Arbeitsverhältnis mit den Ketten einlässt, sollte gründlich darüber nachdenken, was sie/er tut!

Mit diesem Artikel geht es mir mal ausnahmsweise nicht nur um Aufklärung für meine echten Kunden, sondern für alle Tierbesitzer. Ich finde, dass Sie über diese Entwicklungen und ihre Hintergründe informiert sein müssen. Es ist verblüffend, wie viele Tierhalter nicht den blassesten Schimmer haben, was sich hinter Anicura und Evidensia verbirgt. In diesem Sinne bin ich bei diesem Thema tatsächlich mal scharf auf möglichst viel Reichweite. Sie tun mir also einen großen Gefallen, wenn Sie den Artikel fleißig teilen und weiterverbreiten – vielen Dank!

Bleiben Sie uns gewogen und machen Sie bitte einen möglichst großen Bogen um kettengebundene Praxen und Kliniken, solange Sie das noch können!