Tierärzteschaft

und Konsumentenschutz

Mag. Dietmar Gerstner
1. Vizepräsident der Österreichischen Tierärztekammer
Delegierter bei UEVP und FVE

In einem Magazin für Tierärztinnen und Tierärzte die Wichtigkeit unseres Berufsstandes für den Konsumentenschutz im Bereich Lebensmittel tierischer Herkunft zu betonen, hieße wohl, Eulen nach Athen zu tragen.

Es soll in diesem Artikel daher auch nicht primär darum gehen, dass wir wichtig sind, das wissen wir ja ohnehin und bemühen uns – seit ich tierärztlich denken kann – redlich, dieses Faktum auch der breiten Öffentlichkeit klarzumachen.

Es geht eher darum, wie wir als Stand gedenken, diese wichtige Rolle auch in Zukunft auszufüllen. Dazu einen Beitrag zu leisten, fühle ich mich als seit Jahrzehnten überwiegend im Bereich der Landwirtschaft inklusive („­kleiner“) Schlachttier- und Fleischuntersuchung tätiger Tierarzt durchaus berufen.

Jahrtausendelang war für die Menschen die „Nutzung“ von Tieren eine Frage des puren Überlebens, zunächst in Form der Fleischbeschaffung durch die Jagd, aber auch in der Gewinnung sonstiger Gegenstände des täglichen Bedarfs wie etwa Fellen und Häuten als Bekleidung und zur Herstellung von Behausungen oder in der Verwendung von Knochenteilen als Werkzeuge oder z. B. Pfeilspitzen. Später, im Zuge der Domestizierung, kam die Nutzung zur Arbeit und zur Gewinnung von Lebensmitteln wie Milch, Eiern oder Honig dazu. 

In all diesen Jahrtausenden war die Frage nach der Qualität dieser Lebensmittel tierischer Herkunft zweifellos sekundär oder wurde gar nicht erst gestellt. Eher wurde noch über deren Unbedenklichkeit für die menschliche Gesundheit nachgedacht, aber selbst diese ­Überlegungen rückten bis in die Not- und Hungerzeiten des letzten Jahrhunderts verständlicherweise immer wieder in den ­Hintergrund.

Mit der Gründung der ersten tierärztlichen Ausbildungsstätten in Europa etwa ab der Mitte des 18. Jahrhunderts (Lyon, Paris und Wien waren die ersten drei) begannen die systematische Erforschung von Tierkrankheiten, insbesondere Seuchen, und die Ausbildung von entsprechenden Fachleuten. Somit ein erster Anfang, denn die Gesundheit der Tierbestände kann wohl per se schon als erster Ansatz in Richtung „Konsumentenschutz“ verstanden werden, ein Begriff, der damals natürlich noch völlig unbekannt war. Weitere Aktivitäten in Richtung „Tierärzteschaft und Konsumentenschutz“ gab es dann rund 70 Jahre später (siehe Zeittafel): Im Jahre 1850 wurde in den Kronländern der österreichisch-ungarischen Monarchie ein „Schlachthofzwang für Großhornvieh“ eingeführt (Quelle: Radio Ö1, 3. 11. 2017) – wohl aus gutem Grund und vermutlich aus der Idee heraus, geordnete Verhältnisse in der Fleischversorgung der Bevölkerung herbeizuführen. 

Wenn man die Ausbildung der Studierenden an unserer heutigen Veterinärmedizinischen Universität Wien bzw. deren Vorgängerinstitutionen „K. (u.) k. Militär-Thier­arznei-Institut“ bzw. „T(h)ierärztliche Hochschule“ in den Schlüsselfächern der Lebensmittelkunde (und des Tierschutzes) betrachtet, ergibt sich – im Zeitraffer – ­folgendes Bild:

1823 Lehrauftrag Veterinärpolizei

1857 Erstmals Vorlesungen über Vieh- und Fleischbeschau

1908 Honorardozentur für Milchhygiene

1912 Fach Fleischhygiene Honorardozentur für Milchhygiene und Fütterungslehre

1915 Milchhygiene und Lebensmittelkunde

1923 Milchhygiene, Lebensmittelkunde und Futtermittelkunde

1946 Ordinariat für Fleischhygiene und tierärztliche Lebensmittelkunde

1946/47 Lehrauftrag Veterinärwesen und Tierschutz

1956/57 Lehrkanzel und Institut für Tierernährung, Milchhygiene und Lebensmittelkunde

Die Bestrebungen, Tierärzte unter anderem zu Fach­leuten im Bereich Lebensmittelhygiene auszubilden, sind also schon fast 200 Jahre alt. Und dennoch, erst seit wenigen Jahrzehnten, etwa seit der Zeit des scheinbar „normalen“ (und ständig zunehmenden) Wohlstands bei uns in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg, kommen stets neue Anforderungen dazu. 

Der Wandel ist enorm. Ich selbst erinnere mich noch, teils aus eigener Berufstätigkeit, teils aus Miterleben der väterlichen Praxis, an Zeiten, wo es eine „Krankschlachtung“ gab, an die Zeiten der „Freibank“, wo minderwertiges –aber gesundheitlich unbedenkliches – Fleisch unter Aufsicht der Gemeinde (!) billig verkauft wurde. An Zeiten, wo Molkereien die Landwirte und Tierärzte ersuchten, „möglichst“ dafür zu sorgen, keine antibiotikabelastete Milch anzuliefern, und die Dokumentation der tierärztlichen Behandlung von Lebensmittel liefernden Tieren noch in den Kinderschuhen steckte.

Heute setzen wir gesundheitliche Unbedenklichkeit, gute Qualität und Rückstandsfreiheit von Fleisch, Milch, ­Honig usw. selbstverständlich voraus. Wir – und damit meine ich die Konsumentinnen und Konsumenten – ­stellen dafür Fragen nach den „Produktionsbedingungen“, damit ganz wesentlich nach Tierwohl und Tierschutz bis hin zum „ökologischen Fußabdruck“ der tierischen Lebensmittelproduktion – Stichworte Treibhausgase, Import von Eiweißfuttermitteln aus Übersee, Regionalität, Überdüngung, Nachhaltigkeit.

Daher ist meiner Ansicht nach der Begriff „Konsumentenschutz“ sehr weit zu fassen und umfasst mittlerweile nicht nur die Klassiker Unbedenklichkeit und gute Qualität, sondern – zu Recht – eben auch die weiteren oben genannten Aspekte, allen voran Tierwohl/Tierschutz und Auswirkungen auf die Umwelt. 

Wobei „Qualität“ im modernen Sinn ohnehin schon sehr viel mit „Tierwohl“ zu tun hat, denn ich bin überzeugt davon, dass gute Haltungsbedingungen von Tieren große Auswirkungen auf die Qualität der Produkte haben – und das nicht nur im philosophischen Sinn.

Mit gewissenhafter Verantwortung

Man mag nun einwenden, was das mit uns Tierärztinnen und Tierärzten zu tun hat, ist es doch immer noch die Landwirtschaft, die Lebensmittel produziert, und nicht wir. Beschränken wir uns doch darauf, als Praktiker unsere Tätigkeit ordentlich zu dokumentieren (ich ­hoffe immer noch, vor allem unsere tierärztliche ARBEIT und nicht „nur“ die Medikamentenabgabe), machen wir unsere Fleischuntersuchung ordentlich, sofern wir damit betraut sind, arbeiten wir ordentlich in unseren Laboren und Unter­suchungsstellen, gehen wir verantwortungsvoll unserer Tätigkeit als Tierärztinnen und Tierärzte im öffentlichen Dienst nach. 

Ich denke, unsere Aufgabe geht sehr viel weiter. Kraft unserer vielseitigen und umfassenden akademischen Ausbildung in allen tierischen Belangen sind wir Meinungsbildner, als Praktikerinnen und Praktiker tagtäglich gegenüber den Landwirten, mit denen wir (hoffentlich) in intensivem Kontakt stehen. Die tierärztliche Präsenz in den Ställen ist einer der Knackpunkte des Konsumentenschutzes im obigen Sinn, das Konzept der tierärztlichen Begleitung – neudeutsch: „from the stable to the table“ – sei hier nur erwähnt.

Was tierärztliche Nicht-Präsenz in den Ställen bedeuten kann, hat eindrucksvoll die noch bis heute andauernde BSE-Krise in Großbritannien gezeigt, dem ersten Land Europas, das die Tierärzteschaft weitgehend aus den Ställen verdrängt hat, da ja offenbar nur mehr das Motto gegolten hat, möglichst viel möglichst billig zu produzieren, egal, wie und mit welchen Folgen.

Darüber hinaus sind wir Tierärztinnen und Tierärzte ­Bürger und Konsumenten. Wenn man bedenkt, dass in unseren Breiten nur mehr ein niedriger einstelliger Prozentsatz der Bevölkerung mit der Landwirtschaft zu tun hat – sogar in ländlichen Gebieten, vom urbanen Raum ganz zu schweigen –, haben wir hier eine wichtige ­Mittler-, ­Erklärer- und Multiplikatorfunktion.

Ich persönlich bin als Tierarzt mit Leidenschaft im Bereich der Landwirtschaft und der Lebensmittelproduktion tätig. Ernährung ist nun einmal das primäre Grund­bedürfnis des Menschen – da mitzuwirken und einen kleinen Beitrag in allen Aspekten zu leisten, die oben skizziert wurden (Gesunderhaltung der Tierbestände, Rückstandsfreiheit der Lebensmittel, Tierwohl und Tierschutz usw.), empfinde ich auch nach vielen Jahren immer noch als extrem spannende Aufgabe. Natürlich ist es oft mühsam, natürlich sind es oft winzige Schritte zur Verbesserung der Verhältnisse, natürlich bewegt man sich ständig in einem Spannungsfeld von wünschenswerten Zielen, praktischer Machbarkeit und wirtschaftlichen Zwängen – siehe meinen Beitrag im letzten Vetjournal zum Thema Anbindehaltung der Rinder –, aber es ist dennoch lohnend.

Was zunehmend Sorgen bereitet – bei uns in Österreich und europaweit, und auch aus unmittelbarer persönlicher Erfahrung –, ist die offenbar ständig abnehmende Bereitschaft der jungen Kolleginnen und Kollegen, ihr Berufsleben der tierhaltenden Landwirtschaft und der Lebensmittelproduktion samt allem, was dazugehört, zu widmen. 

Anstrengung lohnt sich

Dabei ist diese Arbeit nicht nur vielfältig und spannend, sondern es ist damit auch immer noch – allen Unkenrufen zum Trotz – sehr gutes Geld zu verdienen, wenn auch mit hohem Einsatz. Der Ausspruch eines etwa gleichaltrigen Kollegen, „Nutztierpraktiker zu sein ist kein Beruf, sondern eine Lebensform“, beschreibt die Realität sehr gut. 

Für alle Anstrengungen winken allerdings hohe Anerkennung in der lokalen Bevölkerung und das Bewusstsein, einen Mehrwert geschaffen zu haben; in vielfältiger Hinsicht. Diesen Mehrwert zu erhalten und auszubauen, für die Landwirtinnen und Landwirte, die Konsumentinnen und Konsumenten, vor allem für die „Nutz“-Tiere selbst und nicht zuletzt für uns als Tierärztinnen und Tierärzte, das liegt an uns.

Wie immer kann dieser kleine Beitrag keine ­erschöpfende Darstellung des Themas sein, sondern ein Denkanstoß und eine Diskussionsgrundlage.