Suizid unter Tierärzt*innen

Mag. Claudia Zimmermann, MSC

Die schönen Momente im Berufsleben von ­Tierärzten und Tierärztinnen sind allgemein bekannt, die Schatten­seiten hingegen weniger. Ein zutiefst bestürzendes Phänomen ist oft auch für jene kaum sichtbar, die in dieser Profession ­arbeiten: Die Berufsgruppe der Tierärzt*innen weist eine alarmierend hohe Suizidrate auf.

Viele internationale Studien kommen zu der Schluss­folgerung, dass Tierärzt*innen im Vergleich zur All­gemeinbevölkerung und sogar zu anderen Gesundheitsberufen ein deutlich erhöhtes Suizidrisiko aufweisen. Zudem liefert die Forschung Hinweise darauf, dass dieses erhöhte Risiko nicht primär auf die Eigenschaften jener Menschen zurückzuführen ist, die sich für den Tierarztberuf entscheiden, sondern mit vielschichtigen Risiko­faktoren der tierärztlichen Tätigkeit zusammenhängt. Einige davon – wie etwa finanzieller Druck, lange Arbeitszeiten oder hohe Stressbelastung – stellen auch in anderen Berufen eine Herausforderung dar; auch die häufige Konfrontation mit Leid, Tod oder tragischen Extrem­situationen betrifft mehrere Gesundheitsberufe. Manche Faktoren sind jedoch primär in der Tiermedizin zu finden, wie spezielle emotionale Belastungen im Zusammenhang mit Euthanasie und im Umgang mit Tier­besitzer*innen und deren Erwartungen. 

Ein besonders wichtiger beruflicher Risikofaktor für Suizid ist der Zugang zu letalen pharmazeutischen Substanzen, der auch für die Tierärzteschaft eine besonders folgenschwere Rolle spielt. Der berufsbedingt leichtere Zugang zu hochwirksamen Medikamenten und das entsprechende toxikologische Fachwissen machen Vergiftungen zu einer tödlicheren Methode des Suizids, was sehr wahrscheinlich auch zur erhöhten Suizidsterblichkeit der Tierärzt*innen beiträgt.

Wie hoch ist das Suizidrisiko nun für Tierärzte und Tier­ärztinnen in Österreich? In einer an der Medizinischen Universität Wien durchgeführten Studie1 wurden die Suizidraten von mehreren hoch qualifizierten Berufsgruppen mit der Allgemeinbevölkerung unter 65 Jahren verglichen. Durch die Unterstützung der Tierärztekammer konnten auch die österreichischen Tierärzt*innen in diese Analyse miteinbezogen werden. Die Ergebnisse für den Zeitraum von 1986 bis 2020 gleichen denen der internationalen Studien: Männliche Tierärzte sterben rund doppelt so häufig durch Suizid wie Männer der Allgemeinbevölkerung, Tierärztinnen verglichen mit Frauen allgemein sogar dreimal so häufig. Für den Zeitraum seit 1986 bedeutet das, dass im Durchschnitt jedes Jahr ein Tierarzt oder eine Tier­ärztin an Suizid gestorben ist.

Auch im Vergleich mit anderen Gesundheitsberufen, die ebenfalls eine erhöhte Suizidsterblichkeit aufweisen (wie etwa Ärzt*innen oder Apotheker*innen), sind die Suizidraten der Tierärzte und Tierärztinnen deutlich höher. Die untersuchten Gesundheitsberufe weisen jedoch auch eine klare Gemeinsamkeit auf: Bei einer überdurchschnittlich hohen Anzahl von Suizidfällen wurden Vergiftungen als Todesursache festgestellt, und die Schlussfolgerung liegt nahe, dass die dafür verwendeten Substanzen im Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit stehen. 

Diese hohen Suizidraten unter Tierärzten und Tier­ärztinnen sind auch aus einem anderen Grund besonders auffallend: Die Gesamtsterblichkeit der unter 65-Jährigen in dieser Berufsgruppe liegt nämlich trotz des ­erhöhten Suizidrisikos deutlich unter dem Niveau der Allgemeinbevölkerung. Das ist primär auf Todesursachen zurückzuführen, die in der Tierärzteschaft seltener auf­treten, wie Krebserkrankungen oder bestimmte Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Diese an sich erfreulichen Ergebnisse verdeutlichen jedoch den Kontrast zur Problematik der Suizide, die letztendlich als eine vermeidbare Todesursache angesehen werden können. 

Da Suizide nur die Spitze des Eisbergs darstellen, ist der Blick auf die psychische Gesundheit der Tierärzteschaft naheliegend. Eine kürzlich erschienene Studie2 der Vete­rinärmedizinischen Universität Wien und der Sigmund-Freud-Privatuniversität stellte durch die Untersuchung einer Stichprobe fest, dass österreichische Tierärzt*innen deutlich häufiger von klinisch relevanten Symptomen im Kontext von Depression, Angst- und Schlafstörungen betroffen sind als die allgemeine Bevölkerung. Eine deutsche Studie3 kam in Hinblick auf Depression zu einem ähn­lichen Ergebnis und untersuchte zudem auch das Auftreten von suizidalen Gedanken. Auch hier zeigte sich eine deutlich höhere Belastung für Tierärzt*innen, die verglichen mit der Allgemeinbevölkerung rund viermal so häufig von ­suizidalen Gedanken betroffen waren. 

Weitere Untersuchungen notwendig

In Hinblick auf speziellere Ursachen und Einfluss­faktoren auf das erhöhte Suizidrisiko für Tierärzt*innen gibt es noch viel Forschungsbedarf, insbesondere in Hinblick auf potenziell nützliche Interventionsmaßnahmen. Auch zu spezifischen Schutzfaktoren und positiven Einflüssen auf die psychische Resilienz von Tierärzt*innen gibt es noch relativ wenige Ergebnisse.
Basierend auf bisherigen Erkenntnissen erscheint es jedenfalls sinnvoll, das Bewusstsein für dieses erhöhte Suizidrisiko bei denjenigen zu schärfen, die primär davon betroffen sind: Neben den Personen, die als Tier­ärzte und Tierärztinnen tätig sind, betrifft dies auch jene, die mit ihnen zusammenarbeiten, sie in welcher Kapazität auch immer professionell unterstützen oder physische wie ­psychische Gesundheitsfürsorge leisten. Auch wenn es wenige spezifische Suizidpräventionsstrategien für Tierärzt*innen gibt, so bietet sich dennoch der Einsatz von diversen grundlegenden Methoden und Maßnahmen an, die sich für andere Risikogruppen bereits bewährt haben: Dazu gehören etwa ein verbessertes Angebot an niederschwelliger psychologischer Unterstützung in Krisen- oder Belastungssituationen, Initiativen zur Förderung psychischer Gesundheit sowie Restriktionen bei Zugang, Abgabemengen und Aufbewahrungsmöglichkeiten von letalen pharmazeutischen Substanzen.
Eine wesentliche Investition in die Zukunft betrifft die nachfolgenden Generationen an auszubildenden Tier­ärzten und Tierärztinnen: Wichtige Themen wie psychische Selbstfürsorge, Coping-Strategien und beruf­liche Risiken für die psychische Gesundheit werden an den ­ve­terinärmedizinischen Fakultäten wenig thematisiert. Psychische Belastungen und Suizidalität stellen nach wie vor ein Tabuthema dar, welches auch in Gesundheits­berufen häufig mit Stigmatisierung verbunden ist. Die daraus resultierende Isolation der Einzelnen kann dazu führen, dass das eigene Bedürfnis nach psycho­sozialer Unterstützung als Zeichen von Schwäche angesehen wird – was eine zusätzliche Barriere für die Inanspruchnahme von Hilfe und Beratung darstellen kann. 

Psychische Krisenerfahrungen werden von den Betroffenen nur selten geteilt, folglich fehlt dann auch der notwendige Austausch zu erfolgreichen Bewältigungs­strategien und hilfreichen Unterstützungsangeboten. Genau das wäre jedoch notwendig, um Perspektiven und Wege zur Überwindung von psychisch herausfordernden Lebens- und Arbeitssituationen zu vermitteln – damit diese für ­andere sichtbar und wirksam werden können. „Never alone“ lautet deshalb das Motto des gemein­nützigen ­Verbands „Not One More Vet“ (www.nomv.org), der sich für die psychische Gesundheit von Tierärzten und Tier­ärztinnen einsetzt. Insofern liegt es an uns allen, zu einem offenen Gesprächsklima in Hinblick auf psychische Gesundheit und Suizidalität beizutragen – und das Suizid­risiko der Tierärzteschaft nachhaltig zu senken.


Hilfe im Krisenfall

Berichte über Suizide können bei Personen, die sich in einer Krise befinden, die Situation verschlimmern. Die Sozialpsychiatrische Notdienst bietet unter 01/313 30 rund um die Uhr Rat und Unterstützung im Krisenfall. Die österreichweite Telefonseelsorge ist ebenfalls ­jederzeit unter 142 gratis zu erreichen.


https://doi.org/10.1016/j.psychres.2023.115170
https://doi.org/10.1038/s41598-024-64359-z 
3 https://doi.org/10.1136/vr.105430