Chirurgischer Eingriff bei einem Süsswasserstechrochen

(Potamotrygon leopoldi)

Dr. Heinz Heistinger
Landesstellenpräsident Niederösterreich

Martina Stritzl
Tierklinik Lilienfeld

Der vorliegende Fall einer die Leibeshöhle perforierenden Stichverletzung bestätigt, dass Fische trotz lebensbedrohlicher Verletzung unmittelbar wieder das normale Futterverhalten und die normale Aktivität zeigen.

 

Süßwasserstechrochen (Potamotrygonidae) in Aquarien zu halten hat einen ganz besonderen Reiz. Der Umgang mit den Rochen ist aber nicht ohne Risiko, denn mit ihrem giftigen Stachel können sie dem Besitzer oder dem Operateur äußerst schmerzhafte Verletzungen zufügen – und manchmal verletzen sie sich leider auch selbst …

Anamnese 

Mit dem Vorbericht einer Stachelperforation durch die ­craniale Leibeshöhle wurden wir Anfang 2019 um eine ­Visite und Abklärung, ob denn eine Behandlung sinnvoll und möglich sei, ersucht. Das weibliche, geschlechtsreife und circa zwei Kilo schwere Tier wurde dabei in einer Schaubeckenanlage eines Friseurbetriebs mit 1.000 ­Liter Wasservolumen gemeinsam mit einem männlichen, ­etwas kleineren Exemplar gehalten. Das Bodensediment bestand zum Zeitpunkt der Visite aus circa acht bis zehn Zentimeter hohem, fein gekörntem Sand, in dem einige Wurzelstöcke und vereinzelte Wasserpflanzen eingesetzt waren (Abb. 1).

Lebende Fossilien aus dem Uramazonas 

Süßwasserstechrochen (Potamotrygonidae) sind eine in Südamerika beheimatete Familie von Knorpelfischen mit fünf Gattungen und über 30 Arten. Ihre ­Entwicklungsgeschichte geht auf den Uramazonas zurück, als dieser noch in den Pazifik floss. Erst durch die Auffaltung der Anden vor etwa 150 Millionen Jahren wurden sie von ihrem bisherigen ­Lebensraum abgeschnitten und entwickelten sich durch die Reduzierung der Rektaldrüse sowie Anpassung des Harnstoffgehalts im Blut zu Süßwassertieren. Eine Bezeichnung als „lebende Fossilien“ ist aufgrund dieser lang zurückliegenden Entwicklungsgeschichte und eines seit der Kreidezeit gleich gebliebenen Bauplans sicherlich gerechtfertigt. 

Potamotrygonidae werden vergesellschaftet gehalten, die weiblichen Tiere sind, wie die meisten Rochen, ovovivipar. Maul, Nasenöffnung und die Kiemenspalten liegen auf der Unterseite des Körpers. Die Körper sind platt und gehen an der Seite in die großen Brustflossen über. Die Tiere haben weder Rückenflossen noch eine Schwanzflosse. 

Der Schwanz ist klar vom Körper abzugrenzen und hat ­dorsal gelegen einen oder mehrere Giftstacheln, die mit Giftdrüsen in Verbindung stehen. Obwohl Süßwasserstechrochen friedliche Tiere sind, können sie in Stresssituationen schwere Verletzungen auslösen. Schreckt oder quetscht man die Tiere, wird durch einen Reflex der Schwanz nach oben und vorne geschnellt. Der Stachel dringt dabei tief ein, hitzelabiles Gift wird abgegeben und der Stachel bricht anschließend aufgrund seiner stark ausgebildeten Widerhaken und seiner Porosität ab. Alle sechs bis zwölf Monate wächst auch ohne Stechakt ein neuer Stachel nach. Der alte Stachel wird dabei vom neuen Stachel aus der Stachelscheide nach außen geschoben und sinkt zu Boden. Die abgeworfenen Stachelreste der Süßwasserstechrochen bleiben lange Zeit im Sand vergraben und verlieren weder Härte noch Form. Insbesondere die Widerhaken bleiben sehr spitz (siehe Abb. 2).

 
Klinische Untersuchung

Zur genauen Abklärung von Stichwunden, Stichkanal und Stachelaustritt wurde das verletzte Tier unter Schonung der Schleimhaut mit einem knotenlosen Netz gekeschert und sofort in ein vorbereitetes Narkosebad übergeführt. Zur Einleitung der Narkose wurden 30 ml Ethylenglykol-Monophenylether (erhältlich unter dem Namen „Phenoxy-ethanol 99 %“) mit fünf Litern Aquarienwasser in einer Wanne gemischt und der Patient bis zum Einstellen von Kiemenspalten- und Flossenbewegungen in dem Gemisch belassen. Anschließend wurde das Tier unter ständiger Fixation des caudalen Körperdrittels auf eine befeuchtete Unterlage gelegt und untersucht. 

Dabei stellte sich heraus, dass der Stachel von ventral in craniodorsale Richtung eingedrungen war und Kiemenarterien und Herz des Tieres nur knapp verfehlt hatte (siehe Abb. 3 und 4). Der Stachel wurde in Eintrittsrichtung vorsichtig vorgelagert und entfernt, wobei dorsal ein geringfügiger Blutaustritt zu verzeichnen war. Dieser wurde per Kauterisierung gestillt. Anschließend wurden hintereinander die Eintrittswunde sowie die Austrittswunde mittels zweier feiner Pean-Klemmen gespreizt und die so freigelegten Wundkrater mit einem Pulvergemisch aus Tyrothricinum, Clotrimazolium und zerriebenen Malachitgrünkristallen gefüllt. Abschließend erfolgte ein Wundverschluss mit wasserunlöslichem Chlorhexidingel. Unter Fixierung des bestachelten Schwanzendes sowie des Kopfes wurde der Fisch anschließend in das Becken zurückgesetzt und in vorsichtig wiegenden Bewegungen so lange hin und her bewegt, bis Kiemen- und Flossenaktivität wieder einsetzten. Eine klinische Nachkontrolle 24 Stunden p. o. erfolgte wiederum unter Narkose. Dabei wurden die Wunden nochmals desinfiziert und neuerlich mittels wasserunlöslichem Chlor-hexidingel verschlossen. Auf eine systemische Antibiose wurde verzichtet. Eine Woche p. o. waren die Wunden geschlossen. Der Fisch zeigte normale Schwimmbewegungen und nahm wieder Futter auf.

Abklärung der Verletzungsursache

Nachdem der verletzte Süßwasserstechrochen nur mit einem weiteren Potamotrygon vergesellschaftet war und dieser noch bestachelt war, konnte zunächst nur vermutet werden, dass sich der Patient mit einem alten, abgeworfenen Stachel selbst verletzt hatte. In der Fachliteratur und in Aquazoo-Foren wird mehrfach darauf hingewiesen, dass sich Süßwasserrochen durch ihre enorme Muskelkraft bei den fächer- bis wellenförmig durchgeführten Flossen-bewegungen während des Eingrabens durch spitze Dekorationsgegenstände und auch alte, nicht entfernte Stachelreste selbst verletzen können. Demzufolge wurde in unserem Fall der Sandboden des Schaubeckens auf weitere alte Stachel untersucht. Tatsächlich steckte ein weiterer loser Stachel von etwa acht Zentimetern Länge im Bodensediment. Der Besitzer wurde darauf hingewiesen, dass der Beckenboden regelmäßig (alle vier bis sechs Monate) auf abgeworfene Stachel zu prüfen sei, damit so weitere perforierende Verletzungen vermieden werden können. 

Anmerkung zur Schmerzwahrnehmung

Der vorliegende Fall einer die Leibeshöhle perforierenden Stichverletzung bestätigt die gängige wissenschaftliche Meinung, dass Fische trotz lebensbedrohlicher Verletzung oder nach einer Operation oder invasiven Behandlung unmittelbar wieder das normale Futterverhalten und die normale Aktivität zeigen. Die typischen, bei Säugetieren für die Wahrnehmung von quälendem Schmerz verantwortlichen Nervenfasern des sogenannten C-Typs kommen bei Knorpelfischen nach derzeitigem Kenntnisstand nicht vor. A-delta-Rezeptoren, die wahrscheinlich eine schnelle neurale Übertragung von weniger schädlichen Verletzungen bewerkstelligen und Flucht- und Vermeidungsverhalten auslösen, wurden bei Knorpelfischen ebenfalls bisher nicht gefunden. Deswegen zeigte auch der von uns behandelte Süßwasserstechrochen trotz Leibeshöhlenperforation keinerlei Verhaltensauffälligkeiten. Die Durchtrennung einer der Kiemenbögenarterien durch die sägenden Bewegungen der Widerhaken am eingedrungenen Stachel hätten bei Nichtbehandlung den plötzlichen Tod durch Verbluten des Tieres herbeigeführt.