Tanja Warter
Ausgabe 02/2025
Für die Brunstsynchronisation bei Zuchtsauen ist equines Choriongonadotropin ein häufig eingesetztes Präparat. Für dessen Gewinnung zahlen Stuten im Ausland einen teils schockierend hohen Preis.
Medizinisch gesprochen war es ein Zufallsbefund: Eigentlich wollten Tierschützer*innen der Animal Welfare Foundation und des Zürcher Tierschutzbundes vor einigen Jahren in Südamerika die Produktionskette von Pferdefleisch unter die Lupe nehmen. Bei ihren Recherchen stießen sie in Argentinien und Uruguay unerwartet auf ein zuvor weitgehend unbekanntes Gewerbe: Sie entdeckten Farmen, auf denen Stuten gehalten wurden, denen während ihrer Trächtigkeit und mithilfe radikaler Zwangsmaßnahmen jede Woche rund zehn Liter Blut, manchmal mehr, abgenommen wurden; und das über einen Zeitraum von zehn bis elf Wochen. Die Tiere waren überwiegend in einem katastrophalen Zustand, mager und mit gravierenden Verletzungen. Die Praktiken in Südamerika kommentierte Stephanie Krämer, Professorin für Versuchstierkunde und Tierschutz der Justus-Liebig-Universität Gießen, mit den Worten, „dass es eine mangelnde tierärztliche Versorgung gibt und eine grundsätzliche fehlende Fürsorgepflicht dem Mitgeschöpf Pferd gegenüber“. Rund 10.000 solcher gequälten Stuten dürfte es bis heute in Südamerika geben.
Schauplatzwechsel: Auch in Island gibt es solche sogenannten Blutfarmen mit aktuell etwa 4.000 Tieren. Auch hier werden den trächtigen Stuten, die oft nur sehr wenig an Menschenhand gewöhnt sind, regelmäßig große Mengen Blut abgenommen. Auch in Island entdeckten die Tierschützer*innen dabei teils schockierende Zustände.
Wozu diese Tortur? Hintergrund ist die Gewinnung von equinem Choriongonadotropin, bekannt auch unter der Bezeichnung „Pregnant Mare Serum Gonadotropin“ beziehungsweise PMSG. Dabei handelt es sich um ein Hormon, das vom Pferd zwischen dem 40. und 120. Tag der Gestation gebildet wird. Weil PMSG bei anderen Tierarten das Follikelwachstum stimuliert, wird es vor allem zur Brunstinduktion und -synchronisation bei Zuchtsauen eingesetzt, in Österreich ebenso wie in Deutschland.
Die Vorteile einer synchronisierten Brunst bei Zuchtsauen lägen auf der Hand, erklärt Axel Wehrend, Leiter der Tierklinik für Reproduktionsmedizin und Neugeborenenkunde an der Justus-Liebig-Universität Gießen: „Brunstsynchronisation ist aus zwei Gründen in der Schweinehaltung relevant: Erstens ergibt sich dadurch eine besser steuerbare Arbeitskette – verlaufen die Brunsten synchron, dann gilt das auch für die Besamung, die Geburten und in der Folge alle weiteren Schritte. Der Landwirt kann dann beispielsweise die Eisengabe in einem Durchlauf bei allen Tieren durchführen, er bekommt homogene Ferkelpartien, er kann eine zahlenmäßig definierte Menge Ferkel zeitgleich an einen Mastbetrieb liefern und so weiter. Bis hin zur Schlachtung werden von der Brunst an alle Abläufe planbar. Das ist ein immenser Vorteil. Und zweitens hat es hygienische Vorteile, weil die Tiere in Gruppen zusammengefasst werden können. Das bedeutet, die Ställe werden zwischendurch für die Reinigung auch immer wieder frei.“
Dies unterstreicht auch Thomas Blaha, emeritierter Professor der Tierärztlichen Hochschule Hannover, Außenstelle für Epidemiologie, und Vorstandsmitglied der Tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz e.V.: „Mit der Synchronisation können die Landwirte Ferkelgruppen mit einem einheitlichen mikrobiologischen und immunologischen Status zusammenstellen. Und das funktioniert mit dem Einsatz von PMSG ganz hervorragend.“ Dennoch schränkt er vehement ein – denn da die Produktion von PMSG tierschutzwidrig ist, sei dessen Nutzung „unserer Ansicht nach abzulehnen. Synchronisation generell ist zwar gut, aber das Wie ist entscheidend.“
Beide Experten verweisen als Alternative zu PMSG auf zootechnische Maßnahmen wie angepasste Fütterung, Lichtmanagement und Eber im Stall, durch deren Anwesenheit ebenfalls Brunstsynchronisation erreicht werden kann. Wehrend: „Es gibt große Betriebe, die ökonomisch geführt werden und ohne PMSG auskommen. Je größer der Betrieb, desto leichter ist sogar der Verzicht.“
Der Haken: Die genannten Alternativen sind mit höherem Arbeitsaufwand und daher mit Mehrkosten verknüpft. Schweinefleisch soll aber preiswert bleiben. Und: Die alternativen Maßnahmen sind sehr betriebsspezifisch. Wehrend: „Deshalb können wir leider nicht sagen: ‚Lieber Landwirt, mach bitte erstens das, zweitens dies und drittens das, und dann funktioniert die Brunstsynchronisation auch ohne PMSG.‘ Man muss sich an das jeweils für den Betrieb passende System herantasten.“ Genau darin liege ein weiteres Problem: „Wenn der Tierarzt, die Tierärztin den Verzicht auf PMSG empfiehlt, kann das im Umstellungsprozess mit schweren Einbußen verbunden sein. Und das muss man den Ferkelerzeuger*innen erst mal erklären.“
Blaha sieht daher die Tierärzt*innen zwar für die Aufklärung, aber nicht für die Umstellung in der Verantwortung: „Lösen können das Problem nur die Landwirt*innen selbst.“ Um diesen schwierigen Prozess in Gang zu setzen, fordert die deutsche Tierärztliche Vereinigung für Tierschutz in einer öffentlichen Stellungnahme die Aufhebung der geltenden Zulassungen sowie ein Verbot von Neuzulassungen PMSG-haltiger Tierarzneimittel. Begründung: „Die hohen Blutvolumina, welche wöchentlich entnommen werden, führen zur Beeinträchtigung des allgemeinen Wohlbefindens und einer deutlichen körperlichen Belastung. Dennoch werden die Tiere über einen Zeitraum von acht Wochen mehrfach geblutet.“
Auch Axel Wehrend hat auf die Frage, ob es gerechtfertigt ist, trächtigen Stuten für PMSG Blut abzunehmen, eine eindeutige Antwort: „Nein, es ist nicht gerechtfertigt, weil es ausreichend Beispiele gibt; und da spreche ich nicht von einem Heimatmuseum mit drei Angler Sattelschweinen, sondern von wirtschaftlich erfolgreichen Erzeuger*innen, die beweisen, dass es geht.“ Aber wäre PMSG ohne Pferdeleid eine Alternative? „Die Herstellung von synthetischem PMSG ist derzeit noch sehr teuer und für das Schwein sind entsprechende Produkte bei uns nicht zugelassen“, so Wehrend.
Bleibt noch die Frage, was aus den Fohlen der „Blutstuten“ wird. Aus Island, von wo europäische Pharmakonzerne ihr PMSG nach den Schreckensbildern aus Südamerika mehrheitlich beziehen, heißt es, die Fohlen würden im Wesentlichen in die Tierfutterproduktion gehen. In Südamerika, so soll es weiterhin gängige Praxis sein, würden die Fohlen abgetrieben und entsorgt, um rasch die nächste Trächtigkeit und PMSG-Produktion in Gang zu bringen. Verbraucher*innen können beim Schnitzelkauf nichts über den PMSG-Einsatz erfahren. Einzig: Auf Biobetrieben ist der Einsatz untersagt.