Wissen über Zusammenhang zwischen Milch

und Geburt von Kälbern schwach ausgeprägt

Mag. Silvia Stefan-Gromen

Wissensvermittlung, Förderung der Nachfrage und Unterstützung durch die Politik: Dies sind nach Erkenntnissen der Universität Hohenheim in Stuttgart nur ­einige Ansätze, um das sogenannte Kälberproblem zu lösen – denn die zunehmende Produktion von Biomilch führt dazu, dass immer mehr Bio-Kälber geboren werden. 

Es ist ein Zusammenhang, der vielen Menschen gar nicht bewusst ist, so das Ergebnis einer Untersuchung der Universität – noch weniger verbreitet ist jedoch das Wissen, dass für diese Bio-Kälber so gut wie kein Markt existiert. Die Folge: Die Tiere werden größtenteils an konventionell arbeitende Betriebe verkauft.
Zusammen mit der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen (HfWU) haben Hohenheimer Forschende im Projekt „WertKalb“ Lösungen für dieses Kälberproblem erarbeitet. Die Zunahme der Milchproduktion führt dazu, dass immer mehr Kälber geboren werden, denn um kontinuierlich Milch zu geben, müssen Kühe einmal im Jahr ein Kalb zur Welt bringen. „Diese Kälber erfahren weder unter ethischen noch ökonomischen Aspekten eine Wertschätzung“, bedauert Prof. Dr. Mizeck Chagunda vom Fachgebiet Tierhaltung und Tierzüchtung in den Tropen und Subtropen an der Universität Hohenheim.
Vor allem männliche, aber auch überzählige weibliche Jungtiere, die nicht zum Erhalt des Bestands an Milchkühen benötigt werden, werden im Alter von wenigen Wochen verkauft und nach Norddeutschland oder ins Ausland transportiert, um dort gemästet zu werden. In besonderem Maß trifft dies auf ökologisch wirtschaftende Milchviehbetriebe zu: Aktuell werden etwa auf Bio­betrieben in Baden-Württemberg jährlich über 22.000 überzählige Kälber geboren. Für die Tiere bedeutet dies nicht nur lange Transporte, sie verlassen in der Regel auch die regionale Bio-Wertschöpfungskette, da sie meist an konventionell arbeitende Mastbetriebe verkauft werden – sowohl für Bio-Landwirt*innen als auch für Menschen, die Bioprodukte kaufen, eine unbefriedigende Situation.

Suche nach Lösungsansätzen

Nach den Erkenntnissen der Forschenden liegt die Hauptursache in der Spezialisierung der Milchviehbetriebe: „Sie hat zu einer Entkopplung des riesigen Milchmarkts und des vergleichsweise winzigen Fleischmarkts geführt: Die Nachfrage nach Biomilch ist ungleich höher als nach Bio-Kalb- und -Rindfleisch“, erklärt Josephine Gresham, Koordinatorin des Projekts „Innovative Strategien für eine ethische Wertschöpfung der Kälber aus der ökologischen Milchviehhaltung“, kurz „WertKalb“.
Doch wie kann dieses Problem gelöst werden? Gemeinsam mit Bio-Landwirt*innen, Bio-Verbänden, Erzeuger- und Absatzgemeinschaften und einzelnen Fachleuten haben Forschende der Universität Hohenheim und der HfWU Strategien entlang der gesamten Wertschöpfungskette der Milchviehhaltung entwickelt; angefangen bei der Tierzüchtung über die Tierhaltung bis zur Vermarktung.
„So ein Vorhaben kann nur gelingen, wenn alle an einem Strang ziehen und bereit sind, konstruktiv zusammenzuarbeiten“, betont Projektleiter Prof. Dr. Chagunda. Insgesamt beteiligten sich 21 Betriebe und Organisationen an dem Verbundprojekt. Der Fokus lag dabei auf den Bio-Musterregionen Ravensburg, Biberach, Hohenlohe und Freiburg. 
Die Forschenden erarbeiteten einen ganzen Katalog an Maßnahmen, angefangen bei Wegen, erst gar nicht so viele Kälber zu erzeugen: „Wenn in rund 13 Prozent der baden-württembergischen Betriebe die Zeit zwischen den einzelnen Geburten nur um drei Monate erhöht würde, kämen circa sieben Prozent weniger Kälber auf die Welt, ohne dass die Milchleistung wesentlich verringert wird“, so Josephine Gresham. Dies ließe sich noch steigern: „Es könnten sogar 14 Prozent weniger sein, würde die Zeit um sechs Monate erhöht.“
Es folgen Ansätze, um die Mast interessanter zu machen. Dies können unter anderem Zweinutzungsrassen sein, die sowohl Milch als auch Fleisch liefern, aber auch sogenannte Gebrauchs- oder Kreuzungszüchtungen, bei denen die Kälber schneller an Gewicht zunehmen und eine bessere Fleischqualität aufweisen. Eine stressfreie Schlachtung im Herkunftsbetrieb verbessert die Fleischqualität zusätzlich.

Hier geht' zum Maßnahmenkatalog!

Problematik in der Bevölkerung weitgehend unbekannt

Ein entscheidender Punkt bei allen Maßnahmen sind jedoch die Verbraucher*innen: Nur wenn sie das Fleisch kaufen und konsumieren, können sich die Aufzucht der Kälber und weitere Investitionen für die Landwirt*innen lohnen. Information und Aufklärungsarbeit sind nach Erkenntnissen der Forschenden ein wichtiger Schlüssel dazu.
„Vielen Menschen scheint der Zusammenhang zwischen Milch und Rind- respektive Kalbfleisch nicht bewusst zu sein“, sagt Studienautorin Mareike Herrler vom Fachgebiet Angewandte Ernährungspsychologie der Universität Hohenheim. „Eventuell verdrängen sie diese Tatsache aber auch, um Schuldgefühle beim Kauf von Milch­produkten zu vermeiden.“

Wissen vermitteln – Nachfrage fördern

Gezielte Informationen über die Problematik und zu möglichen Lösungen fördern die Kaufbereitschaft für ethisch hergestellte Milch- und Fleischprodukte: „Die Menschen sind durchaus gewillt, ihren Teil zum Tierwohl beizutragen, aber sie brauchen Anreize und die richtige Form der Informationen“, erklärt Prof. Dr. Nanette Ströbele-Benschop vom Fachgebiet Angewandte Ernährungspsychologie. So erwartet die Kundschaft bei Kalbfleisch beispielsweise vor allem helles, zartes Fleisch – doch qualitativ hoch­wertiges Fleisch von Kälbern, die nach geltenden Tierwohlstandards aufgezogen werden, ist deutlich rot gefärbt. 
„Hier muss darauf hingewiesen werden, dass rotes Kalbfleisch sogar ein Qualitätsmerkmal ist“, sagt Prof. Dr. Chagunda, „denn es enthält mehr ungesättigte Fett­säuren und besitzt eine wertvollere Proteinstruktur als helles Fleisch.“
Einen guten Ansatzpunkt, um die Nachfrage nach Bio-Kalbfleisch zu erhöhen, sehen die Forschenden in der Betriebsgastronomie, wie beispielsweise in Kantinen, Mensen und Cafeterien. Hier bietet sich die Möglichkeit, bereits verarbeitete Gerichte aus Bio-Kalbfleisch zu probieren und sich gleichzeitig zu informieren. 
In einem Pilotversuch wurde das Angebot gut angenommen und die Kantinenleitung will auch in Zukunft bevorzugt Bio­produkte anbieten. „Trotzdem ist es wichtig, dass das Fleisch auch im Supermarkt um die Ecke zu finden ist“, unterstreicht Mareike Herrler.


Quellen: 

https://www.uni-hohenheim.de/pressemitteilung?tx_ttnews%5Btt_news%5D=61601&cHash=866579421154fbd0e15fdbcabfa24fc0 

Kontakt: 

Prof. Dr. Mizeck Chagunda, M. sc. Josephine Gresham, beide Universität Hohenheim, Fachgebiet Tierhaltung und Tierzüchtung in den Tropen und Subtropen 
Prof. Dr. Nanette Ströbele-Benschop, M.sc. Mareike Herrler, beide Universität Hohenheim, Fachgebiet Angewandte Ernährungspsychologie