Von der (Rinder-)Pest über die spanische Grippe zur COVID-19-Pandemie –

Seuchen bei Mensch und Tier und wie sie in den letzten Jahrhunderten bewältigt wurden

Dr. med. vet. Elisabeth Reinbacher

Die Covid-19-Pandemie hat unser aller Leben grundlegend verändert. Epidemien und Pandemien begleiten aller­dings sowohl Mensch als auch Tier seit Jahrhunderten. Wie wurde im Laufe der Geschichte damit umgegangen?

Für die meisten Menschen kam die Coronapandemie völlig unerwartet, liegen doch die letzten großen Epidemien so lange zurück, dass sie aus dem kollektiven Gedächtnis verschwunden sind. Jahrhundertelang beherrschten große Seuchen wie Pest, Pocken, Cholera oder auch die Spanische Grippe unsere Welt, und uns heute gut bekannte Maß­nahmen zur Seuchenbekämpfung wurden eingesetzt: Grenzschließungen, Handelsbeschränkungen, Verbote großer Menschenansammlungen, Quarantänebestimmungen oder das Tragen von Masken sind keine Erfindungen der aktuellen Situation, sondern lang bewährte Strategien, welche schon in der Frühen Neuzeit eingesetzt wurden. Auch Tierseuchen hatten immer schon einen bedeutenden Stellenwert – Nutztiere und Pferde sowie Lasten- und Arbeitstiere waren unerlässlich zur Lebensmittelversorgung, und deren Verlust konnte den gesamten Lebensunterhalt einer Familie oder den Ausgang eines Krieges infrage stellen.

Wien im Jahr 1679: Die Pest, der Schwarze Tod – die Krankheit schlechthin, welche man mit dem Begriff ­Epidemie in Verbindung bringt – kostete etwa ein Fünftel der Bevölkerung das Leben. Die bakterielle Infektionskrankheit wurde durch den Biss von Rattenflöhen auf Menschen übertragen und hat Europa während des Spätmittelalters und in der Frühen Neuzeit in mehreren Wellen heimgesucht. Verordnungen wurden erlassen, die Grenzen zu betroffenen Gebieten geschlossen, Reisende und Kaufleute sollten examiniert und in Quarantäne geschickt werden, Erkrankte und ihre Kontaktpersonen wurden isoliert. Gaststätten mussten schließen, was sicher nicht nur dem lieben Augustin, der die Gäste des Griechen­beisls sonst bei Laune hielt, einen wirtschaft­lichen Nachteil brachte.

„Zur Zeit der Pest solle niemand in die Wein- oder Branntweinhäuser eingelassen werden, sondern es solle ein jedweder dergleichen Getränk in seinem Haus vorrätig haben“: ein wohl auch aktuell gut anwendbarer Merksatz aus dieser Zeit. Kaiser Leopold I. floh mitsamt seinem Hofstaat aus Wien; diese Reisegruppe sollte sich aber im Anschluss als Superspreader herausstellen, denn entlang der Fluchtroute breitete sich die Pest besonders stark aus.

 

Pest: Massengräber vor der Hauptstadt

In Wien herrschten schreckliche Zustände. Tote, aber auch noch lebende Kranke wurden auf die Straße geworfen, um danach in Massengräbern vor den Stadttoren begraben zu werden. Um eine weitere Ausbreitung zu vermeiden, wurden die Leichen mit Kalk überschüttet.

Die Pestsäule am Wiener Graben erinnert uns heute noch an diese Pestepidemie, (der wieder zurückgekehrte) Kaiser Leopold  I. ließ sie zum Dank an die Heilige Dreifaltigkeit errichten; er selbst ist in demütig kniender Position darauf zu erkennen. Auch die berühmte Schnabelmaske, welche heute noch in abgeänderter Form im venezianischen Karneval zu finden ist, stammt aus dieser Zeit. Ärzte trugen diesen schnabelartigen Schutz, der ein mit Duftstoffen gefülltes Futteral hatte, allerdings wahrscheinlich nur im südeuropäischen Raum, für die deutschsprachigen Länder gibt es keine Hinweise darauf. Rätselhaft blieb in diesen Zeiten zwar die Ursache der Seuche – was man aber früh wusste, war, dass sich die Krankheit entlang der Handelsrouten verbreitete.

In Venedig wurden bereits im 14. Jahrhundert die ankommenden Schiffe 40 Tage lang auf einer Insel vor der Stadt festgehalten; der heute wieder omnipräsente Begriff Quarantäne bezieht sich auf diesen Zeitraum. Auch das Wort Isolation lässt sich auf diese in Venedig angewandte Maßnahme zurückverfolgen, wurden die betroffenen Menschen doch auf einer Insel festgehalten. Erwähnenswert ist, dass die Pest nicht nur Menschen, sondern auch Tiere befiel: Tausende Pferde, Rinder, Ziegen und Schafe verendeten, was wiederum Hungersnöte nach sich zog.

Im 18. Jahrhundert war eine weitere Seuche gefürchtet: die Pocken. Kinder wie Erwachsene starben oder hatten mit Entstellungen durch Narben zu kämpfen. Auch der kaiserliche Hof blieb nicht verschont: Maria Theresia (die aufgrund des Todes ihres Onkels, welcher an den Pocken gestorben war, überhaupt erst in die Thronfolgelinie kam) verlor zwei ihrer 16 Kinder an die Krankheit und steckte sich nach einer Umarmung ihrer sterbenden Schwiegertochter selbst damit an. Doch Maria Theresia hatte Glück, sie überlebte und setzte sich gegen die Empfehlung ihres berühmten Leibarztes Gerard van Swieten für die äußerst umstrittene Pockenimpfung ein. Die Variolation, benannt nach dem lateinischen Namen der Pocken, Variolae, war seit einigen Jahrzehnten in der Studienphase: Menschliches Pockensekret wurde gesunden Menschen gespritzt, um sie vor der Infektion zu schützen – ein riskantes Verfahren, denn viele starben an den Komplikationen der Impfung, der Impfstoff hätte heutzutage wohl größere Probleme im Zulassungsverfahren. Doch diese waren in damaliger Zeit nicht gar so streng und kontrolliert wie heute. Der Impfstoff wurde in Wien Waisenkindern verabreicht – keiner der Probanden verstarb und Maria Theresia beschloss, einige ihrer eigenen Kinder impfen zu lassen; mit Erfolg. Daraufhin wurde ein Inokulationshaus errichtet und die Bevölkerung hatte kostenlosen Zugang zur Pocken­impfung, doch die Impfskepsis blieb sehr groß.

Die Anfänge der Schutzimpfung

Erst 1796 gelang dem englischen Arzt Edward Jenner der Durchbruch bei der Schutzimpfung: Er verimpfte ein Serum mit Kuhpocken, eine für den Menschen sehr milde Verlaufsform der Pocken, welche aber gleichzeitig Schutz vor den menschlichen Pocken bot. Geboren war die Vakzination, welche ihren Namen vom lateinischen Wort für Kuh, -Vacca, erhielt. Trotz großer Angst der Menschen davor, dass mit dem Kuhserum animalische Eigenschaften auf den Menschen übergehen könnten, war der Grundstein für eine Erfolgsgeschichte gelegt: 1979 erklärte die Weltgesundheitsorganisation WHO die Pocken für ausgerottet – bislang die einzige Erkrankung, bei der dies durch Impfungen gelang.

Nun zur Veterinärmedizin, denn auch Tierseuchen ver-ursachten zu dieser Zeit verheerende Verluste. Hier muss die Rinderpest unbedingt erwähnt werden, der im 18. Jahrhundert europaweit etwa 200 Millionen Rinder zum Opfer fielen. Dieses Massensterben führte zur Gründung von veterinärmedizinischen Ausbildungs-stätten (etwa jener der Veterinärmedizinischen Universität in Wien 1765). Obwohl der virale Erreger der Rinderpest erst viel später entdeckt wurde, konnten mithilfe von Beobachtungen der Verbreitung und Übertragung bereits früh seuchenrechtliche Bestimmungen erlassen werden, welche auch heute noch die in der Tierseuchenbekämpfung üblichen Maßnahmen beinhalteten: Anzeigepflicht, Sperrung von Beständen, unschädliche Beseitigung toter Tiere und Desinfektionsmaßnahmen, welche wesentlich zur Eindämmung der Erkrankung beitrugen.

Der päpstliche Leibmedikus Giovanni Maria Lancisi forderte im Auftrag von Papst Clemens XI. Bekämpfungsmaßnahmen, die er in seinem Buch „De bovilla peste“ 1715 publizierte. Er führte die Keulung erkrankter Rinder ein und ließ die Tierkörper anschließend mit ungelöschtem Kalk vergraben. Zusätzlich verfügte er die Quarantäne befallener Bestände, ein Verbot von Tiertransporten und eine systematische Fleischbeschau. Es wurde auch ein Handelsverbot mit infizierten Tieren erlassen, welches bei Missachtung mit Tod durch Enthauptung geahndet werden konnte.

Und auch Wien leistete bedeutende Beiträge zur Seuchenbekämpfung: Johann Gottlieb Wolstein, Gründer des „K. k. Thierspitals“, verfasste ein Buch über die Viehseuchen in Österreich, welches als Standardwerk für den alltäglichen Gebrauch in den Habsburgerländern eingeführt wurde. Um 1800 etablierte Ignaz Pessina, ein Wissenschaftler am Wiener Tierspital, eine Impfung gegen die Rinderpest, was großen Erfolg in der Bekämpfungsstrategie zeigte. Heute gilt die Rinderpest durch gezielte Impf-, Keulungs- und Monitoringprogramme seit 2011 als ausgerottet.

 

Tierseuchen waren kriegsentscheidend

Auch in den Kriegen früherer Jahrhunderte konnten Tierseuchen das Blatt hinsichtlich des positiven oder negativen Ausgangs für das jeweilige Land wenden. Der Ausbruch einer Pferdeseuche im Bestand der für das Militär eingesetzten Pferde konnte verheerende Folgen haben, mit erheblichem Einfluss auf den weiteren Verlauf des Krieges. Millionen von Pferden wurden im Ersten Weltkrieg eingesetzt – ihr Immunsystem war durch die harte Arbeit sehr geschwächt und die gefürchtetste Pferdeseuche war der durch das Bakterium Burkholderia mallei hervorgerufene Rotz. Die Erkrankung war nicht nur durch hohe Infektiosität und Letalität gekennzeichnet, sondern auch wegen ihres zoonotischen Potenzials gefürchtet.

Zu den Seuchenbekämpfungsmaßnahmen zählte nun auch die Entwicklung von Nachweisverfahren: Die Mallein-probe – bei der Pferden Mallein ins Auge getropft wird, was bei infizierten Pferden zu Fieber und eitriger Konjunktivitis führt – war ein paar Jahre vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs vom Tierarzt Josef Schnürer an der Tierärztlichen Hochschule in Wien erfunden worden. Erkrankte Tiere wurden sofort getötet und unschädlich beseitigt, zugekaufte Tiere sollten in Quarantäne gestellt werden. Veterinäroffiziere waren dafür zuständig, verendete Tiere pathologisch zu untersuchen und Rotz-Fälle zu melden. Allein in den Jahren 1916 und 1917 wurden über 2.200 Pferde in Österreich aufgrund von Rotz oder Rotzverdacht getötet.

Ein weiteres sehr interessantes Faktum im Zusammenhang mit Rotz ist die Verwendung der Erreger als biologische Waffe. Im Ersten Weltkrieg traf dies sowohl auf Rotz- als auch auf Milzbranderreger zu. Das Deutsche Reich setzte sie zu Sabotagezwecken ein: Agenten wurden beauftragt, die Pferde und Rinder der feindlichen Armeen mit den Erregern zu infizieren, indem diese in die Nasenlöcher eingegeben oder unter das Futter gemischt wurden. Der deutsche Botschafter im neutralen Spanien ließ sich Rotz- und Milzbranderreger versteckt in Seifenstücken aus Berlin schicken, um spanische Tiere, welche an die englischen und französischen Truppen geliefert werden sollten, damit zu infizieren. Ähnliches passierte in den (bis 1917 neutralen) USA: Schiffe voll mit infizierten Pferden, welche für die Briten bestimmt waren, mussten in den Atlantik entleert werden.

Die letzte Pandemie vor Covid-19 war die Spanische Grippe. Zwischen 1918 und 1920 forderte das Influenzavirus weltweit rund 50 Millionen Todesopfer. Die Spanische Grippe kam ursprünglich aus den USA, amerikanische Soldaten brachten das Virus im Zuge des Ersten Weltkriegs nach Europa. Die Erkrankung war extrem ansteckend und der kurze, heftige Verlauf betraf vor allem junge Menschen.

Die amerikanischen und europäischen Regierungen waren bemüht, Presseinformationen über die Pandemie zu unterdrücken, um die Bevölkerung zu Kriegsende nicht zu beunruhigen. Nur im neutralen Spanien, wo die Presse nicht (wie in den kriegführenden Staaten) der Zensur unterlag, wurden Berichte veröffentlicht, was der Erkrankung auch schließlich ihren Namen gab. Österreich-Ungarn zögerte lange, um Panik zu vermeiden, doch im Oktober 1918 musste gehandelt werden: Wien ver-zeichnete binnen einer Woche 2.500 Tote, das Gesundheitssystem brach zusammen und es gab weder freie Spitalsbetten noch Medikamente. So wurden nun (nachdem sich die Bevölkerung wochenlang mit allen Mitteln dagegen gewehrt hatte) strikte Maßnahmen verhängt: Es kam zu einem harten Lockdown – zumindest würden wir es heute so benennen: Schulen, Theater und Gaststätten wurden geschlossen, alle Veranstaltungen abgesagt und die Menschen sollten zu Hause bleiben. Dies zeigte nach einigen Wochen seine Wirkung und die Infektionszahlen konnten eingedämmt werden.

Viele Seuchen sind weltweit – selbst durch weit fortgeschrittene Erkenntnisse in Prophylaxe, Diagnostik und Behandlung – immer noch von großer Bedeutung, ganz abgesehen von der Covid-19-Pandemie. Bemerkenswert ist, dass die meisten der heute angewandten Verfahren und getroffenen Maßnahmen sehr ähnlich oder gar identisch zu jenen sind, die schon vor Hunderten von Jahren bereits bekannt waren. Jahrhundertelang erprobt – denn Seuchen sind wohl seit Tausenden von Jahren unsere Begleiter.