Darf es ein bisschen weniger sein?

Schweinehaltung und Antibiotikaeinsatz

M. Sc. Tzt. Birte Drews
Tierärztin in der Bestandsbetreuung von Schweinebetrieben

Dr. Ursula Friedmann
Fachtierärztin für Schweine

Der Antibiotikaverbrauch für österreichische Schweine ist im internationalen Vergleich geringer, dennoch könnten wir langfristig mit viel weniger auskommen – der vorliegende Artikel gibt Anregungen.

Antibiotika einzusparen ist unter NutztierärztInnen und LandwirtInnen ein Reizthema – insbesondere, wenn es um Schweine geht. In der öffentlichen Meinung hat sich das Bild verfestigt, dass wir überflüssigerweise viel zu viel Antibiotika als Leistungsbooster und zum Aufpäppeln unserer nicht artgerecht gehaltenen Tiere verwenden, mit dieser Praxis das Aufkommen multiresistenter Keime verschulden und damit Menschenleben aufs Spiel setzen.

Dieses grob vereinfachte und ungerechte Bild soll hier nicht weiter diskutiert werden, es würde den Rahmen des Artikels sprengen. Es hilft allerdings nur begrenzt, mit dem Finger auf die Humanmediziner, den globalisierten Personen- und Warenverkehr und die Verlangsamung der Entwicklung neuer antimikrobieller Arzneimittel zu zeigen, wenn man selbst trotzdem noch ausreichend Möglichkeiten hat, vor der eigenen Haustür zu kehren. Schweine in Österreich verbrauchen tonnenweise Antibiotika im Jahr, und auch, wenn wir im internationalen Vergleich zu den sparsamen Nationen gehören, behaupte ich, dass wir mit viel weniger auskommen könnten.

Antibiotikaeinsparungen am Beispiel einer Atemwegserkrankung: Am allerwenigsten lassen sich Antibiotika einsparen, wenn es gilt, hochgradig erkrankte Tiere zu behandeln. Eine bakteriell verursachte fieberhafte Lungenentzündung zum Beispiel muss unmittelbar sowie in ausreichender Dosierung und Länge mit einem wirksamen Antibiotikum behandelt werden, wenn es sein muss, auch mit einem Reserveantibiotikum; alles andere wäre Tierquälerei.

Geringgradig erkrankte Tiere mit leichtem Husten hingegen müssen nicht reflexartig mit Antibiotika versorgt werden – oft reicht es, gar nichts zu tun oder eine Unterstützung mit Krenprodukten oder anderen funktionellen Pflanzenstoffen, z. B. mit Thymian, Salbei und Eukalyptus, zu veranlassen. Das gilt insbesondere dann, wenn die Schweine in der Fressleistung nicht nachgelassen haben, kein Fieber besteht und das Allgemeinbefinden kaum beeinträchtigt ist. Leider nehmen sich manche Tier­ärztInnen zu wenig Zeit für Tierbeobachtung, für einen rudimentären propädeutischen Untersuchungsgang, und LandwirtInnen sind ihrerseits nicht immer bereit, für diese tierärztliche (Nicht-)Leistung etwas zu bezahlen, selbst wenn sie unterm Strich günstiger wegkommen, als wenn ihnen ein klassisches antimikrobiell wirksames Medikament verschrieben und verkauft wird.
Ein weiterer Nachteil: Eine Schweinegruppe, die „sicherheitshalber“ mit einem Breitbandantibiotikum „versorgt“ wurde, macht dem Tierarzt oder der Tierärztin weniger Folgeprobleme als eine Fehleinschätzung der Sachlage oder eine plötzliche Verschlimmerung am nächsten Morgen, die wenige Stunden später mit einigen toten Schweinen einhergehen kann und fast sicher bis zum Ende der Mast Tageszunahmen vermindert und damit Geld kostet; oder im Falle von Zuchtsauen mit Tieren einhergeht, die ein bis zwei Jahre lang weniger Ferkel aufziehen, als sie im Optimalfall könnten, weil sie eine Lungenentzündung mit Verwachsungen des Brustfells davongetragen haben. Wenn man sich in der Sektion eine Lunge nach einer zu spät behandelten Lungen- und Brustfellentzündung, die durch Actinobacillus pleuropneumoniae verursacht wurde, anschaut, fragt man sich mitunter, wie mit diesem zerstörten Organ noch Sauerstoff in den Körper gelangt ist. Und zu spät heißt in diesem Fall bereits 24 Stunden zu spät.

Eine relativ selten umgesetzte Strategie, Antibiotika zu sparen und ihre Wirksamkeit zu erhöhen, besteht darin, Phytotherapeutika mit Antibiotika zu kombinieren. Pflanzliche Wirkstoffe helfen, Biofilme auf den Oberflächen der Bronchien zu verhindern, in denen pathogene Keime vor antibiotischem Wirkspiegel und körpereigener Immunantwort gleichermaßen geschützt überleben. Sie helfen, den zähen Schleim zu lösen (Thymian, Salbei, Eukalyptus), regen die Durchblutung an (Kren) und sorgen dafür, dass sich T-Lymphozyten schneller vermehren (Echinacea purpurea). Somit kann die Behandlungsdauer mit einem Antibiotikum eventuell verkürzt werden bzw. man erreicht mit größerer Sicherheit einen Behandlungserfolg. Immunschwache und länger kranke Schweine sind Brutstätten resistenter Keime und unbedingt zu vermeiden.

Das größte und effizienteste Instrument der Antibiotikaeinsparung ist jedoch die Krankheitsprophylaxe: Dazu gehören natürlich Impfungen, aber diese alleine werden uns nicht retten. Sie sind ein unverzichtbares Instrument, um Schweine gesund zu erhalten und Infektketten zu unterbrechen, und betreffen vor allem die wichtigen und häufig viral verursachten Schweinekrankheiten wie Circovirose, porcines reproduktives und respiratorisches Syndrom, Influenza, Parvovirose usw. usf. Die meisten bakteriell bedingten Erkrankungen beim Schwein sind eher Faktorenerkrankungen, als Sekundärinfektion auf eine Viruserkrankung, als Reaktion auf zu wenig oder die falschen Hygienemaßnahmen, Futter mit Qualitäts­mängeln (Mykotoxine, Keimbelastungen) oder in falscher Zusammensetzung, viel zu fein strukturiert und damit Gift für den Schweine-Magen-Darm-Trakt, der darauf sehr empfindlich reagiert. Das Klima im Schweinestall ist ein eigenes Thema – neben den allseits bekannten Schad­gasen unterschätzen wir möglicherweise stark die Effekte der teilweise irrwitzig hohen Feinstaubmengen auf die Lungengesundheit der Schweine. Wir diskutieren seit Jahrzehnten über die Vor- und Nachteile verschiedener Mycoplasma-hyopneumoniae-Vakzinen und Impfstrategien, statt über die Elefantenherde im Raum zu sprechen, dass wir eigentlich völlig anders konzipierte Schweineställe bräuchten. Coronaviren in Innenräumen werden ab CO2-Indikatorwerten von 1000 ppm relativ leicht übertragen – wir sind schon zufrieden, wenn im Stall im Winter 3000 ppm nicht überschritten werden; bei 24/7-Aufenthaltsdauer, wohlgemerkt. Bio- und Tierwohlställe sind bezüglich der Feinstaubbelastung auch nicht besser dran. Der Bereich Futter- und Wasser­versorgung ist ebenfalls ein Quell schier endloser Möglichkeiten für gravierende Fehler in den Feldern Hygiene, Struktur, Zusammensetzung, Anzahl der Fress- und Tränkemöglichkeiten und ­deren Funktionstüchtigkeit.

Eine große Hoffnung in Bezug auf das Einsparpotenzial von Antibiotika ist auch immer wieder die nachhaltige Era­dikation von Krankheitserregern wie PRRSV, Mykoplasmen, Actinobacillus pleuropneumoniae, Serpulina hyodysenteriae und Räudemilben – und der Aufbau sogenannter hochgesunder Herden. Dazu gehört allerdings der relativ teure Stall in passender Alleinlage mit allen Facetten der Biosecurity: Zaun um das Gelände, (Zwangs-)Dusche, UV-Desinfektion für ankommende Gerätschaften und Materialien, Kadaverhäuschen mit Kühlung an der Betriebsgrenze, am besten eine Durchfahrwanne zur Reifendesinfektion für ankommende Lkws usw. Diese Möglichkeiten haben in Österreich nur sehr, sehr wenige Betriebe; das liegt auch an den vergleichsweise geringen Tierzahlen pro Betrieb: Derartige Kosten lassen sich nicht erwirtschaften. Ohne das ganze Begleitkonzert, also mit der ortsüblichen mangelnden Biosecurity, die sich alleine aus ungewaschenen Tiertransportern (deren Reinigung und Desinfektion sich zwischen den kleineren Betrieben ökonomisch nicht lohnt), TKV-Lagerplätzen mitten am Hof, weil sonst der Nachbar olfaktorische Belästigungen hinnehmen müsste, freundschaftlich geteilten Güllefässern etc. ergibt, ist der hochgesunde Betrieb in Österreich arm dran – immer in Angst vor Reinfektionen und als Ferkelerzeuger zur Direktbeziehung mit ausgewählten Mästern eingeschränkt. Da ist es besser, auf immunstarke Tiere zu setzen, die notfalls ein bisschen mehr aushalten; und um das zu erreichen, hilft am wenigsten ein Festhalten am antibiotischen Medikament, sondern ein kritischer Blick der LandwirtInnen auf den Acker, wo das nächste Futter hoffentlich gesund heranreift. Es helfen all die banalen täglichen „Good Practice“- Handlungen, wie z. B. saubere Futtertröge, der eine Kontrollgang mehr oder der Wille, „split nursing“ in der Abferkelung einzuführen, um jedem Saugferkel einen guten Start ins Leben mit ausreichender Kolostrumaufnahme zu ermöglichen.

Und für TierärztInnen bedeutet die Schweinemedizin: Wenn wir es gut machen wollen, müssen wir uns neben dem medizinischen Fachwissen auch mit technischem Wissen (im Bereich Fütterung und Klimaführung) auseinandersetzen, die Arbeitsabläufe im Betrieb genau kennen (obwohl wir nicht täglich vor Ort sind), kreative Lösungen finden, wenn die ideale Vorgehensweise in der Realität nicht umsetzbar ist, und ökonomische Rahmenbedingungen mitandenken. Ein Überblick über gängige Probleme im Ackerbau oder in der Futterkonservierung und -lagerung, die zu verpilztem Futter führen können, sollte vorhanden sein. Psychologisches Fingerspitzen­gefühl ist genauso gefragt wie Frustrationstoleranz im Umgang mit BetriebsleiterInnen und MitarbeiterInnen und deren eingefahrenen Verhaltensweisen. Ganz schön vielseitig, oder? Je besser man das gesamte Spektrum der Kompetenzen beherrscht, umso leichter fällt es, langfristig Antibiotika einzusparen, dabei trotzdem gesündere Tiere zu produzieren – und bestenfalls sogar dafür bezahlt zu werden.

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