"Holt mich hier raus!"

Neues Projekt untersucht das helfende Verhalten von Schweinen

Isabel Haberkorn

Schweine sind bekannt für ihre Intelligenz und ihre soziale Natur. Können sie erkennen, wann ein Artgenosse Hilfe benötigt, und einander aktiv unterstützen? Diesen Fragen wird ein wegweisendes Projekt am Forschungsinstitut für Nutztierbiologie (FBN) in Dummerstorf (D) nachgehen.
Das Projekt mit dem Titel „Lass mich raus! Proximative ­Faktoren, die helfendes Verhalten bei Schweinen vermitteln“ wird mithilfe eines innovativen Verfahrens unter­suchen, ob Schweine einander aus Empathie oder egoistischen Gründen helfen. Es wird in enger Zusammenarbeit mit Forschern der Veterinärmedizinischen Universität 

Wien durchgeführt und mit Mitteln der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) am FBN und des Österreichischen Wissenschaftsfonds (FWF) an der Vetmeduni Wien finanziert. Die Gesamt­finanzierung beläuft sich auf 736.089 Euro für drei Jahre.
Dr. Liza R. Moscovice vom FBN und ihr Kollege Prof. Jean-Loup Rault von der Veterinärmedizinischen Universität Wien haben eine neuartige Methode entwickelt, um das Hilfsverhalten von Schweinen zu analysieren. Dabei werden Schweine in ihren normalen sozialen Gruppen innerhalb ihrer üblichen Stallumgebung einer für sie neuen Situation ausgesetzt: In ihrem Stall befinden sich zwei identische Abteile, jedes Abteil hat ein Fenster und eine Tür, die nur von außen geöffnet werden können. Dafür muss ein Griff hoch genug angehoben werden, um einen Riegel zu lösen. Ein Schwein wird kurz aus seiner Bucht genommen und dann in eines der beiden Abteile gesetzt. Die anderen Schweine können dann frei und ohne jegliche Anleitung entscheiden, ob sie eine Tür öffnen wollen, und wenn ja, ob sie die Tür öffnen, hinter der das gefangene Schwein ist, oder die Tür des leeren Abteils.

„Im ersten Teil des Projekts untersuchen wir den Einfluss von Verwandtschaftsbeziehungen, Dominanzverhältnissen und persönlichen Erfahrungen, eingeschlossen zu sein, auf die Entscheidung, zu helfen“, erklärt Dr. Liza R. Moscovice. „So können wir erste Erkenntnisse darüber gewinnen, inwieweit diese Faktoren die Entscheidungen der Schweine beeinflussen. Im zweiten Teil werden wir mit nicht invasiven Methoden messen, wie sich das Verhalten auf körperlicher Ebene bei den helfenden und den nicht helfenden Schweinen auswirkt. Mittels Speichel­proben wird getestet, ob das Level des Stresshormons Cortisol steigt oder sinkt, zudem wird die Herzfrequenz überwacht. So werden Rückschlüsse gezogen, um zu verstehen, wie Entscheidungen über das Helfen die Physiologie der Schweine beeinflussen.“

Sind Schweine in ihrem helfenden Verhalten dem Menschen ähnlich?

Bei der Erforschung des Hilfsverhaltens von Tieren werden generell häufig Nagetiere als Modelltiere herangezogen, aber Schweine sind in ihrer Physiologie und ihrer Gehirnstruktur dem Menschen sehr viel ähnlicher. „Unsere Ergebnisse werden uns helfen, zu verstehen, ob Schweine empathisch auf den emotionalen Zustand anderer reagieren und ob ihr Hilfsverhalten auf ähnlichen Mechanismen beruht wie beim Menschen“, führt Dr. Moscovice aus.
Erste Ergebnisse, die in der renommierten Fachzeitschrift „Proceedings of the Royal Society B“** veröffentlicht wurden, zeigen, dass Schweine Türen häufiger und schneller öffnen, um gefangenen Gruppenmitgliedern zu helfen, als sie Türen zu leeren Abteilen öffnen. Darüber hinaus wurde gefangenen Schweinen, die mehr Notsignale gaben, schneller geholfen. Dennoch sind weitere Untersuchungen erforderlich, um die Beweggründe für dieses Verhalten zu ermitteln.
Ein tieferes Verständnis des prosozialen Verhaltens von Schweinen sowie ihrer emotionalen Verfassung und Gruppendynamik kann einen bedeutenden Beitrag zum Tierschutz leisten. Schweinehalterinnen und -halter können mithilfe dieser Erkenntnisse ein positives Gruppen­verhalten fördern, indem sie den Schweinen beispiels­weise mehr Kontrolle über ihre Umgebung geben.

 

* *Originalpublikation:
„Spontaneous helping in pigs is mediated by helper’s social ­attention and distress signals of individuals in need“
„Proceedings of the Royal Society B“, Publ.: August 2nd, 2023
https://doi.org/10.1098rspb.2023.0665https://royalsocietypublishing.org/doi/10.1098/rspb.2023.0665 

Projektleitung: Dr. Liza R. Moscovice *
* Haberkorn und Moscovice sind Mitarbeiterinnen des ­Forschungsinstituts für Nutztierbiologie (FBN), Wilhelm-­
Stahl-Allee 2, 18196 Dummerstorf, Deutschland.