Die Tatsache, dass Tiere sich nicht verbal artikulieren können, stellt keine Einschränkung dar: Schmerz bedeutet für Tiere eine subjektive und komplexe multidimensionale Erfahrung, die im Gehirn stattfindet, nachdem das Signal eines schmerzhaften Stimulus über komplexe neuronale Mechanismen von peripheren Nocizeptoren über das Rückenmark entlang von Nervenbahnen ins Gehirn übertragen wird.
Schmerz als physiologisches Phänomen warnt das Individuum, erzwingt eine Reaktion auf den schmerzhaften Stimulus und schützt so vor weiterem Schaden. Gewebeschaden, der zu einer Entzündung führt, verursacht in der Intensität unterschiedlich starke akute Schmerzen. Auch dieser Schmerz „erzwingt“ eine Reaktion des Individuums, z. B. durch Verhaltensänderungen mit dem Ziel, die Körperintegrität zu bewahren, weiteren Schaden abzuwenden und die Heilung zu fördern. Verliert der Schmerz den Bezug zum ursprünglichen Stimulus (z. B. Hufschlag) oder dem Heilungsprozess, sondern ist vielmehr eine sensorische Entwicklung, bedingt durch die den Gewebeschaden begleitenden Entzündung (entzündlicher Schmerz) und/oder Veränderungen im Nervensystem (neuropathischer Schmerz), spricht man von chronischem Schmerz. Chronischer Schmerz durch z. B. Osteoarthrosen oder Rückenmuskelprobleme muss sich nicht mit einer akuten und gut sichtbaren Phase ankündigen, sondern beginnt häufig schleichend und unerkannt. Diese Schmerzform führt bei langer Dauer zu Leiden und einer Reduktion der Lebensqualität.
Schmerzassoziiertes Verhalten
Schmerz – welcher Art auch immer – führt zu einer Reaktion des Tieres mit Veränderungen in Verhalten und emotionalem Status. Deutliche Zeichen sind speziesabhängig Flucht- und Rückzugsverhalten und dort, wo dies nicht möglich ist, Abwehrverhalten und Aggression. Schonhaltung und Ausgleichsbewegung dienen der Verhinderung von weiterem Schaden und der Förderung der Heilung.
Speziesspezifische allgemeine Schmerzanzeichen lassen keinen Rückschluss auf Art, Ursache und Intensität zu. Zu diesen allgemeinen Schmerzanzeichen zählen Rastlosigkeit ebenso wie Abgeschlagenheit mit verminderter Aktivität, verminderter Appetit und reduziertes Interesse an der Umwelt.
Pferde, die sich vorwiegend im hinteren Teil der Box mit abgesenktem Kopf zur Seitenwand oder Rückwand aufhalten und verzögert bis gar nicht auf ihre Umwelt reagieren, sind etwa hochverdächtig, unter Schmerzen zu leiden. Schmerzspezifische Anzeichen wie z. B. Scharren und Wälzen bei der Kolik des Pferdes oder veränderte Gewichtsbelastung einer Extremität bei orthopädischen Ursachen deuten eindeutiger auf die Ursache bzw. Lokalisation hin.
Wann immer Tiere Verhaltensänderungen und/oder Leistungsveränderungen anzeigen, muss an das Vorliegen von schmerzhaften Veränderungen gedacht und die Ursache gesucht werden. Veränderte Reiteigenschaften des Pferdes, die plötzlich oder auch schleichend auftreten, finden ihre Ursache in entzündlichen Veränderungen in der Rückenmuskulatur und Wirbelsäule (Jeffcott et al 1982). Rückgang der Milchleistung, Gewichtsverluste und geringere Gewichtszunahme bei landwirtschaftlichen Nutztieren sind ebenfalls Indikatoren. Verändertes und ungewöhnliches Gruppenverhalten, plötzliche Aggression gegenüber Artgenossen: All das sind häufig emotionale Reaktionen auf eine unangenehme Empfindung, sprich Schmerz, unabhängig von Intensität und Ursache.
Die Liste von Verhaltensänderungen bei Hund und Katze, die immer mehr in Bezug zu schmerzhaften Erkrankungen gesetzt werden, ist lang. Eine Katze, die nicht mehr auf den Tisch springt, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit unter Osteoarthrose leiden, ohne dass eine deutliche Lahmheit sichtbar sein muss. Gerade bei diesen subklinischen bzw. chronischen Schmerzen ist der Tierarzt bzw. die Tierärztin aufgefordert, diese scheinbar unauffälligen Anzeichen ernst zu nehmen und als Reaktion des Organismus auf etwas Unangenehmes bzw. Schmerzhaftes wahrzunehmen. Die Fähigkeit, Schmerzen zu erkennen, ist bei vielen Tierärzten intuitiv vorhanden.
Wir müssen uns aber von dem Gedanken verabschieden, dass immer eine eindeutige Diagnose bzw. erkennbare Erkrankung hinter diesen Anzeichen/Veränderungen stecken muss und diese als alleiniger Beweis für das Vorliegen von Schmerzen gelten. Das Tier/der Patient sagt uns, dass etwas nicht stimmt, auch wenn wir die Ursache dafür nicht finden können.
Die zuverlässige Beurteilung von Schmerzzuständen ist eine Grundvoraussetzung für die Einleitung einer adäquaten Schmerztherapie und die Anpassung der Dosierung bzw. Medikation im Verlauf der Therapie. Die Einschätzung der sich verändernden Schmerzintensität im Verlauf einer Erkrankung ist – ohne objektive Kriterien – schwierig. Auch eine nachvollziehbare Dokumentation der Schmerzintensität erfordert die Anwendung objektiver und möglichst standardisierter Methoden zur Schmerzbestimmung.