Tierärztin Tanja Warter
Forschungsergebnisse des Messerli-Instituts lassen uns staunen: Marianne Wondrak, Leiterin des Clever Pig Lab, zeigte dem Vetjournal, dass Schweine taktieren können und bestechende Persönlichkeiten haben.
Sie hören auf ihre Namen und sind – abhängig von der Tagesform – fast immer leicht für Experimente zu haben: 30 Kilometer südlich von Wien leben 39 Kunekune-Schweine in einer großen, gemischtgeschlechtlichen Gruppe. Alle stammen von drei Muttersauen ab, alle wurden auf dem Gelände geboren und dürfen dort bis zum Ende ihres Lebens bleiben. Die Tiere leben auf acht Hektar Wiese und einem Hektar Wald in ganzjähriger Freilandhaltung. Marianne Wondrak leitet dort das Clever Pig Lab des Messerli Forschungsinstituts der Vetmeduni Wien.
Wie haben Sie im Lauf Ihrer bisherigen Arbeit das Zusammenleben der Schweine erlebt?
Wir analysieren dazu unter anderem die sozialen Netzwerke. Wer ist im Zentrum der Gruppe, wer eher eine Randerscheinung? Und wer unterhält welche Verbindungen zu wem? Das ist entscheidend, da uns auch zum Beispiel die Informationsübertragung, also das soziale Lernen, interessiert. Es gibt bei den Schweinen definitiv Sympathien und Antipathien. Manche Tiere verbringen fast den ganzen Tag zusammen, manche innerhalb der Gruppe haben kaum etwas miteinander zu tun. Manche sind immer gern im Pulk unterwegs, es gibt aber auch Schweine, die einfach gern allein sind. Die Eber sind nicht kastriert, denn wir wollen herausfinden, welche sozialen Dynamiken in den Gruppen entstehen. Sie sollen eine möglichst natürliche Rolle einnehmen. Nachwuchs wollen wir aber auch keinen mehr, darum sind sie vasektomiert. Uns interessieren besonders das soziale Netzwerken und die sozialen Taktiken.
Wenn es Vorlieben – man möchte fast sagen: Freundschaften – gibt: Wie wirkt sich das aus?
Unter den Ebern finden wir richtige Kameradschaften. Befreundete Tiere helfen sich sogar gegenseitig. Wir können immer wieder beobachten, wie Tiere in Rangeleien eingreifen. Wenn zum Beispiel unser Eber Zeppelin mit einem anderen Tier rauft, kommt sofort Zacharias angetrabt, um sich einzumischen. Zacharias ist nämlich Zeppelins bester Freund und unser ranghöchster Eber. So kann es Zeppelin auch mit Tieren aufnehmen, die eigentlich stärker sind als er – aber nur, wenn Zacharias in der Nähe ist und aufpasst.
Dann haben Allianzen also einen Nutzen für den sozialen Status in der Gruppe?
Bei Zeppelin erkennen wir eine gewisse Schlitzohrigkeit. Früher war er nämlich der beste Freund von Eber Zeus. Dann gab es in der Struktur der Gruppe deutliche Änderungen: Zacharias ist zum obersten Eber aufgestiegen und hat den vorigen Chef, Zampano, von seinem Platz verdrängt. Besonders spannend aber war Zeppelins Rolle: Kaum hatte er gespürt, dass sich die Machtverhältnisse ändern, ließ er seinen alten Kumpel Zeus links liegen und suchte immer stärker die Nähe von Zacharias. Ich hatte den Eindruck, er verhalf ihm sogar in die neue Position, indem er sich in Rangkämpfe eingemischt und seinerseits Zacharias unterstützt hat.
Und was wurde aus Zeus?
Zeus ist für Zeppelin jetzt abgehakt, er ignoriert ihn beinahe. Zeus ist jetzt häufig alleine unterwegs und sucht gern mal die Nähe zu uns Menschen. Ich bin aber sicher, dass er bald einen neuen besten Freund finden wird.
Die Schweine haben also unterschiedlichste Persönlichkeiten?
Absolut. Manchmal komme ich mir vor wie in einer Schulklasse. So unterschiedlich wie die Kinder sind auch unsere Schweine. Es gibt ganz ehrgeizige und strebsame unter ihnen, rabiate Tiere, aber auch Faulenzer und Kuschelbären. Und man darf sich durch die Optik nicht täuschen lassen: Einer unserer stärksten und größten Eber ist ein solcher Kuschelbär! Außen wie ein Elefant, innerlich ein Miezekätzchen.
Was haben Sie bei Ihren jüngsten Experimenten am Touchscreen untersucht?
Wir wollten wissen: Können Schweine mit rein visuellen Reizen Bilder in Kategorien einteilen? Das ist schon deswegen interessant, weil der Sehsinn bei den Schweinen ja nicht besonders ausgeprägt ist. Am wichtigsten ist der Rüssel; Riechen und Tasten kommen vor dem Sehen. Aber es war trotzdem erstaunlich, denn die Schweine konnten das unglaublich gut. Wir haben ihnen sehr unterschiedliche Bilder von menschlichen Gesichtern gezeigt, also verschiedene Haarfarben, Frisuren und Hautfarben und verschiedene Altersklassen. Die Schweine konnten diese Bilder dennoch hoch signifikant in die Klasse „Gesicht“ einordnen und von der Klasse „Hinterkopf“ unterscheiden. Einige Tiere haben zu 100 Prozent richtig gewählt!
(Anmerkung: „Pigs (Sus scrofa domesticus) categorize pictures of human heads“; Marianne Wondrak, Elin Conzelmann, Ariane Veit, Ludwig Huber; Applied Animal Behaviour Science).
Mit Hunden hat man diesen Test auch gemacht. Wer war besser, Schwein oder Hund?
Vergleiche zwischen den Arten sind extrem schwierig, aber nach diesem Versuch muss man in Summe sagen: Die schenken sich nichts. Das Training am Touchscreen ist aber mit den Schweinen eine Spur einfacher, denn sie reagieren extrem schnell, wollen gefallen und alles richtig machen. Verblüffend, wie offen sie für die Wünsche von Menschen sind.
Was wissen Sie bislang über die Fähigkeit der Schweine, zu taktieren?
Abgesehen von dem anekdotischen Freundschaftsbeispiel von Zeppelin machen wir beispielsweise folgenden Versuch: Wir zeigen einem Schwein, wo wir Futter deponieren. Dann lassen wir ein zweites Schwein in die Arena und schauen, was passiert. Interessant ist, dass das Verhalten des ersten Schweins davon abhängt, welche Position innerhalb der Gruppe das zweite Schwein besetzt. Ist es niedriger im Rang, dann geht Schwein 1 gezielt zum Fressen, denn Schwein 2 ist keine Konkurrenz. Ist Schwein 2 aber höherrangig, stellt sich Schwein 1 ahnungslos, beginnt zu grasen und versucht alles, um dem Gegner keinen Hinweis zu geben. Meist läuft es nach dem Motto: Wenn der andere schaut, lenke ich ab; schaut er weg, bewege ich mich schnell Richtung Futter.
Das erfordert ein gehöriges Maß an Impulskontrolle …
Ja, das stimmt. Für Schweine, die ja unglaublich verfressen sind, ist das eine echte Leistung.
Webtipps:
www.europeankunekunepigsociety.eu
www.vetmeduni.ac.at/de/messerli/forschung/forschung-kognition/haustiere/pig-lab/
Zur Person:
Marianne Wondrak studierte Agrarwissenschaften an der TU München in Weihenstephan (Diplom 2007) und Tiermedizin an der LMU in München (Examen 2012). Während ihrer Arbeit in der tierärztlichen Praxis für Schweine und Rinder wurde ihre Faszination für Schweine und ihre häufig unterschätzten Fähigkeiten geweckt. Wondrak wechselte alsbald in den Tierschutz und arbeitete als Fachreferentin für Tiere in der Landwirtschaft beim Deutschen Tierschutzbund. Im Frühjahr 2014 begann sie am Messerli Forschungsinstitut ein PhD-Studium und war im Zuge dessen intensiv am Aufbau der Freilandschweinehaltung an der Forschungsstation Haidlhof, der Zucht und Aufzucht der Tiere sowie an der praktischen Durchführung der Forschungsarbeiten beteiligt. Seit 2016 leitet Wondrak als Universitäts-assistentin das Clever Pig Lab und beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit den sozio-kognitiven Fähigkeiten von Kunekune-Schweinen (Sus scrofa domesticus).