Risiko

für Naschkatzen

Tierärztin Tanja Warter

Wenn Katzen an Diabetes leiden, handelt es sich in etwa 80 Prozent der Fälle um einen Diabetestyp, der dem Typ-2-Diabetes des Menschen sehr ähnlich ist. Übergewicht ist die Hauptursache.

In der Humanmedizin ist der Trend eindeutig: Die Zahl der Diabetiker nimmt rapide zu. In der Veterinärmedizin fehlt es für die Katze bislang an entsprechenden Statistiken. Claudia Reusch, Direktorin der Klinik für Kleintiermedizin an der Vetsuisse-Fakultät der Universität Zürich, geht davon aus, dass etwa ein Prozent der Katzenpopulation betroffen ist – hinzu kommt eine möglicherweise hohe Dunkelziffer, weil keiner weiß, wie viele Katzen mit Diabetes nie bei einem Tierarzt vorgestellt werden. Ein Gespräch über Haltungsbedingungen, Therapiefahrpläne, Vergleiche mit dem Hund und neue Messgeräte für den Blutzucker.

Frau Professorin Reusch, Sie beschäftigen sich seit gut 30 Jahren mit Diabetes und gründeten 2005 die Forschungsgruppe Diabetologie in Zürich. Wie hat sich das Thema „Diabetes bei der Katze“ im Lauf der Zeit verändert?  
Gravierend. Am Beginn meiner Laufbahn habe ich viel mehr Hunde mit Diabetes gesehen, aber das Verhältnis hat sich vollständig umgekehrt. Wir sehen heute viel mehr Katzen mit Diabetes als Hunde. Die meisten Endokrinologen gehen davon aus, dass die Prävalenz innerhalb der Katzenpopulation in den letzten zehn bis 20 Jahren deutlich angestiegen ist. Wir kennen ja vor allem die ­sogenannte Spitalprävalenz, also das, was wir als Tierärztinnen und Tierärzte sehen. Gut möglich, dass Katzen heutzutage öfter vorgestellt werden, weil sie als Haustiere und Sozialpartner an Bedeutung gewonnen haben und die Besitzerinnen und Besitzer eher bereit sind, für sie Geld auszugeben. Aber aufgrund des Diabetestyps glaube ich tatsächlich, dass die Zahlen angestiegen sind.

Welcher ist denn der vorherrschende Typ bei der Katze?
Bei der Katze ist die Situation ähnlich wie bei uns ­Menschen: Typ-2-Diabetes ist mit Abstand am häufigsten. Über den Daumen gepeilt kann man sagen: Etwa 80 Prozent der Katzen mit Diabetes haben einen Diabetestyp, der dem Typ-2-Dia­betes des Menschen sehr ähnlich ist.

Sie sind also krank, weil es ihnen fütterungsmäßig zu gut geht.
Ja, Übergewicht ist tatsächlich eine der Hauptursachen. Neben dem Typ-2-Diabetes gibt es jedoch auch andere ­Typen, früher als sekundärer Diabetes bezeichnet. Bei diesen spielt Übergewicht keine Rolle, sondern es gibt eine andere Grunderkrankung. Recht häufig ist zum Beispiel die ­Akromegalie: Von zehn Katzen mit Diabetes haben ein bis zwei eine ­Akromegalie. Wenn man große Probleme bei der Therapie des Diabetes hat, könnte die Akromegalie dahinterstecken.
 
Und die anderen acht bis neun von zehn Katzen?
Von denen sind schon die meisten übergewichtig. Laut ­einer amerikanischen Studie steigt das Risiko einer Diabetes­erkrankung bei übergewichtigen Katzen um den Faktor vier. Viele Katzen leben als Wohnungskatzen, haben wenig Bewegung und müssen sich auch kein Futter mehr erjagen. Im Gegenteil: Sie bekommen es oft im Übermaß vorgesetzt. Manche sind einfach immer am Betteln.

In Zahlen: Wie hoch ist der Anteil übergewichtiger Tiere bei den Diabetikerkatzen?
In unserer Klinik sind es 60 bis 70 Prozent.

Und wie viel wiegen die Tiere?
Wir hatten schon welche mit 15, 16 Kilo. Das sind unglaubliche Brummer – aber das sind Ausnahmen. Die meisten Katzen mit Diabetes wiegen zwischen sechs und acht Kilo. Sie sind also übergewichtig, aber nicht monströs.

Woher kommen all die Kohlenhydrate, die die Katzen so dick machen?
Es gibt keinen Beweis dafür, dass eine kohlenhydratreiche Nahrung per se zu Diabetes führt, auch wenn sich umgekehrt bei der Therapie eine kohlenhydratarme Diät extrem positiv auswirkt. Ursache ist die zu hohe Energiezufuhr insgesamt, egal, aus welchem Baustein, und in der Folge die Zunahme an Körperfett. Fett führt zu Insulinresistenz und ist metabolisch sehr aktiv.

Aber dicke Hunde gibt es ja genauso. Warum sind trotzdem Katzen so oft von Typ-2-Diabetes betroffen?
Das ist wirklich ein spannendes Feld. Einen Hund können Sie so dick füttern, wie Sie wollen, er wird keinen Diabetes Typ 2 entwickeln. Es kann sein, dass Katzen aufgrund ihres genetischen Hintergrunds eher dazu veranlagt sind; vielleicht, weil sich die Katze früher das Futter erjagen musste und dabei immer Zeiten durchlebt hat, in denen sie nicht erfolgreich war. Dann musste der Blutzucker ja trotzdem konstant gehalten werden. In solchen Situationen ist eine gewisse Insulinresistenz, bei der die Glukose nicht gleich in die Zelle verschwindet, durchaus sinnvoll. Es gibt fachliche Diskussionen in diese Richtung.

Wie schützt sich denn der Hund?
Beim Hund ist es so: Wenn er dick wird, dann kompensieren die β-Zellen, indem sie mehr Insulin ausschütten. Bei der Katze funktioniert das nur bis zu einem gewissen Grad, dann geht die Insulinproduktion zurück. Warum, das wissen wir nicht genau. Im Lauf der Zeit stellen die β-Zellen ihre Funktion ziemlich ein. Wir sprechen hier von Glukosetoxizität durch einen hohen Blutzuckerspiegel.

Also sollte man zum Schutz der β-Zellen möglichst rasch handeln?
Ja, denn wenn man schnell behandelt und den Blutzuckerspiegel schnell wieder in die Nähe des Normalbereichs bringt, reduziert man damit die Glukosetoxizität. Die Schädigung der β-Zellen kommt dann zu einem gewissen Stillstand. Sie können sich auch zum Teil wieder erholen. Wir arbeiten unter anderem an diesem Thema. Ich finde die Möglichkeit der β-Zellen-Regeneration faszinierend – ein wichtiger Aspekt für die Therapie der Zukunft!

Wie sieht Ihr Fahrplan für eine „Diabeteskatze“ aus?
Wir starten bei allen Katzen mit Insulin. Die Chance auf eine Remission ist damit am größten. Darum ist es am wichtigsten, den Besitzern die Angst vor der Injektion zu nehmen. Der zweite Baustein ist die Umstellung auf eine kohlenhydratarme Diät innerhalb von ein paar Tagen.

Zusätzlich müssen die Besitzer ja auch ihren Tagesablauf an die Katze anpassen …
Allerdings. Insulin sollte zweimal täglich im Abstand von zwölf Stunden plus/minus zwei Stunden gespritzt werden. Man muss also nicht um Punkt 8 Uhr und 20 Uhr zur Stelle sein, aber groß ist der Spielraum nicht. Eine beachtliche Leistung, wenn jemand das auf sich nimmt!  

Nochmals zur Remission: Wie groß ist das Zeitfenster, bis man weiß, ob der Diabetes in Remission geht?  
In den meisten Fällen passiert das in den ersten drei Monaten. Ich titriere die Insulindosis ziemlich schnell nach oben und schaue, dass die Einstellung gut ist, weil damit die Chance auf Remission steigt. Insgesamt liegt die Remissionsrate zwischen 20 und 30 Prozent. Die Besitzer dürfen eine Remission aber nicht als Heilung missverstehen – wir raten dazu, die Diät lebenslänglich fortzusetzen und auf das Gewicht zu achten.    

Wenn es aber zu keiner Remission kommt, die Besitzer mit dem Spritzen zurechtkommen und die Futterumstellung geklappt hat – dann erst starten Sie mit dem Thema der Blutzuckermessungen?
Genau. Die Besitzer piksen das Tier für jede Messung an der Ohrinnenseite oder alternativ am Pfotenballen und messen den Blutzucker mit einem kleinen Messgerät. Die gibt es inzwischen speziell für die Veterinärmedizin. Am besten machen sie eine Blutzuckerkurve über zwölf ­Stunden. Der Sonntag oder ein anderer arbeitsfreier Tag bietet sich da an. Dann wird alle zwei Stunden gemessen, und wir begutachten nachher die Ergebnisse.

Haben Sie Erfahrungen mit Flash-Glucose-Monitoring bei Katzen?
Bei Menschen sieht man diesen Kunststoffknopf am Arm immer öfter. Dabei wird ein kleiner Sensor im Unterhautgewebe implantiert, der bis zu 14 Tage fortlaufend die Glukosekonzentration in der interstitiellen Flüssigkeit messen kann. Es ist ein rechter Hype in der Veterinärmedizin um diese Flash-Messungen entstanden, und es gibt auch bereits eine ganze Reihe von Publikationen. Darin wird das System in der Regel sehr gelobt. Aber man muss aufpassen: Es gibt Katzen, die kratzen sich den Sensor immer wieder weg. Freigängerkatzen verlieren ihn auch leicht. Und es gibt ein Problem mit der Genauigkeit, denn das Gerät ist aus der Humanmedizin und verfügt über einen Algorithmus, der für Tiere nicht stimmt. Bei der Katze sind die angezeigten Werte meistens deutlich tiefer als die wirklichen Werte. Das kann zu Fehlentscheidungen bei der Therapie führen. Dennoch: Die Idee ist bestechend.  

Zur Person:
Prof. Dr. Claudia Reusch, Dipl. ECVIM-CA (Internal Medicine) ist Direktorin der Klinik für Kleintiermedizin an der Vetsuisse-Fakultät der Universität Zürich. 2005 gründete sie dort die im deutschsprachigen Raum einzige Forschungsgruppe Diabetologie, die sie bis heute leitet. Seit Anfang der 1990er-Jahre ist Diabetes ihr Forschungsthema