Der Pharma-Spitzenreiter im Jahresgespräch

Ein Interview mit Mag. Roland Huemer, Mag. Andreas Asamer und Dr. Margit Strohmaier

Mag. Silvia Stefan-Gromen

Richter Pharma baut seine Kapazitäten im Veterinärbereich weiter aus und gründete das 100-%-Tochterunternehmen VetViva Richter GmbH. Mit diesem Schritt soll das gesamte Know-how der Veterinärarzneimittelherstellung in einer ­neuen Organisation gebündelt und der Markt mit „Made in Austria“-Produkten versorgt werden. Das Vetjournal sprach mit Vertretern des Topmanagements: Richter-Pharma-CEO Mag. Roland Huemer, VetViva-Geschäftsführer Mag. An­dreas Asamer und Dr. med. vet. Margit Strohmaier, Richter-Pharma-Geschäftsfeldleiterin der Veterinärsparte. 

Welches Ziel verfolgt Ihr Unternehmen mit der Gründung des neuen Tochterunternehmens?

Huemer: Als marktführender Veterinär-Pharmahändler kennt man uns als Unternehmen, das seinen Fokus da­rauf legt, die Versorgung der österreichischen Tierärzt*innen tagtäglich sicherzustellen und diese mit innovativen Serviceleistungen zu unterstützen. Zudem haben wir in den letzten Jahren unsere Position als Veterinär-Pharmahersteller konsequent ausgebaut, um die veterinärmedizinische Versorgungskapazität mit innovativen und qualitativ hochwertigen Produkten weiter zu erhöhen.
Mit der Gründung von VetViva wollen wir aber auch unserer internationalen Position als führendes Unternehmen im Schmerzmanagement für Tiere Rechnung tragen. Mit mehr als 700 Zulassungen in 50 Ländern verfügen wir in Europa über eine weitgehend komplette Abdeckung für Narkose und Schmerz für alle relevanten Tierarten. Bis zum Jahresende 2023 werden wir unter der neuen ­Marke VetViva in Europa drei weitere Produkte für die Tier­medizin launchen. Mit diesen Produkteinführungen werden wir weitere Nischenindikationen erschließen, die neben dem Schmerz auch den Metabolismus und den ­geriatrischen Hund betreffen. So schaffen wir am Markt und nach außen eine klare Trennung des Hersteller­geschäfts vom klassischen Großhandelsgeschäft.

Welche Vorteile können Tierärzt*innen durch die Bündelung der Leistungen erwarten?

Huemer: Unsere Kunden können sich sowohl durch das neue Tochterunternehmen als auch durch die künftige Ausrichtung unseres klassischen Geschäftsfelds im Großhandel Vorteile erwarten: Weiterhin sind wir ein One-Stop-Shop für unsere Tierärzt*innen und zum anderen bieten wir als Hersteller mit unserem neuen Unternehmen ein umfassendes Produktportfolio. Die österreichische Tierärzteschaft profitiert künftig von zwei spezialisierten Vertriebsteams, unser Tochterunternehmen wird mit technischer Expertise hinsichtlich Schmerzportfolio und Narkose unterstützen und in der Muttergesellschaft legen wir einen Fokus auf Praxisbedarf, Neugründung und digitale Dienstleistungen.

Welche Ziele verfolgen Sie mit dem Begriff "generic+"?

Huemer: Die Produkte unseres Tochterunternehmens sind überwiegend generische Tierarzneimittel, wobei der Fokus der Produktentwicklung auf „generic+“ liegt. Im Unterschied zu reinen Generika bieten unsere Produkte immer auch einen Zusatznutzen, etwa durch Verbesserungen in der Anwendung, neue Zieltierarten, kürzere Wartezeiten oder verbesserte Rezepturen. 

Die Wachstums- und Investitionskurve zeigt bei Richter Pharma kräftig nach oben - vergangenes Jahr hatten Sie einen Umsatz von 682 Millionen Euro. Mit welchen Umsatzzahlen rechnen Sie heuer?

Huemer: Wir sind sowohl im Human- als auch im Veterinär­bereich in insgesamt vier Geschäftsfeldern tätig. Die Rahmenbedingungen sind herausfordernd und auch volatil, aber wir gehen mit Optimismus in die Zukunft. Für Prognosen ist es noch zu früh, denn der Summenstrich wird am 31. Dezember 2023 gezogen. Bis dahin haben wir noch viel vor. 

Wie viele Mitarbeiter*innen beschäftigen Sie derzeit insgesamt im Unternehmen und wie viele davon sind Tierärzt*innen?

Huemer: Wir beschäftigen derzeit rund 430 Mitarbeiter*innen. Insgesamt arbeiten bei uns 16 Tierärztinnen in den unterschiedlichsten Bereichen in hoch qualifizierten Jobs. Angefangen von der Entwicklung über das Produktmanagement und den Vertrieb bis hin zur Geschäftsfeldleitung für den nationalen Veterinärmarkt schätzen wir unsere Kolleginnen mit veterinärmedizinischem Background sehr.

Viele Unternehmen haben Probleme, entsprechende Fachkräfte zu finden - wie gehen Sie mit dem Arbeitskräftemangel um?

Huemer: Wie Sie schon erwähnt haben, haben hier alle Unternehmen dasselbe Problem. Wir können nur für uns Wege definieren, wie wir zu wertvollen Mitarbeiter*innen kommen. Wir tun dies, indem wir Maßnahmen zur Arbeitgeberattraktivität setzen – angefangen von einem umfangreichen Social-Benefits-Katalog über eine attraktive Homeoffice-Regelung bis hin zu Maßnahmen im Bereich Weiterbildung und Kulturentwicklung.

Das Thema Nachhaltigkeit ist derzeit in aller Munde - welchen Beitrag leistet die Pharmabranche, um Klima und Ressourcen zu schonen?

Huemer: Ich denke, am Thema Nachhaltigkeit kommt heutzutage keine Branche mehr vorbei. Nachhaltigkeit ist in unserem Familienunternehmen tief verwurzelt und mit einem ESG-Programm (ESG = Environmental, Social, Governance, Anm.) auch strukturell gut im Konzern verankert. Im Vorjahr bezogen wir inklusive unserer Tochter­unternehmen bereits 35 % der gesamten Energie aus erneuerbaren Energiequellen, wie zum Beispiel Fernwärme über Biomasse. Zudem haben wir uns ambitionierte nächste Ziele bis 2025 gesetzt – so sollen einerseits die CO2-Emissionen um weitere 25 % und die Abfälle durch Prozessoptimierungen ebenfalls um 10 % reduziert werden. 

Wie sehen Sie die unternehmerischen Voraussetzungen der Pharmaindustrie in Österreich?

Huemer: Die pharmazeutische Industrie ist für den Standort Österreich ein bedeutender Wirtschaftsfaktor und beschäftigt insgesamt 18.000 Mitarbeiter*innen. Hier gibt es schwierige Voraussetzungen, wie hohe Produktionskosten, zum Teil fehlende Anreize, langwierige Behördenverfahren und hohe Kosten für den Faktor Arbeit; hier, denke ich, ist noch Luft nach oben. Wir haben beispielsweise für den Bau unseres Produktionsgebäudes keinerlei Förderung erhalten. Dennoch bin ich aber überzeugt, dass der Wohlstand, den sich Österreich geschaffen hat, auch auf der Säule von mutigen Unternehmen und einer starken Industrie beruht. Hier könnte etwas nachgeschärft werden.

Wird die digitale Transformation im Bereich der Forschung und Entwicklung sowie im Gesundheitswesen positiv gesehen oder sehen Sie Notwendigkeiten für eine stärkere Regulierung?

Huemer: Persönlich denke ich, dass man derartige Umbrüche wie die digitale Transformation in keinem Bereich aufhalten kann – denken Sie nur an ChatGPT und daran, welcher Run in kürzester Zeit auf diese Anwendung erfolgt ist! Wenn früher künstliche Intelligenz nur von Experten eingesetzt wurde, so verwendet sie heute jeder. Ich denke nicht, dass wir uns dem verschließen, sondern uns ansehen sollten, wo und wie wir die digitalen Produkte für uns nutzen können. Zudem werden Daten und deren Vernetzung immer wichtiger; Datenteilen ist das neue Blutspenden! So wie zum Beispiel bei der Tiergesundheitsdatenbank, die beim ÖTK-Zukunftstalk vorgestellt wurde. Entscheidend für die Zukunft ist aber, dass die Kompetenzhoheit für die Diagnose und Therapie immer bei den Tierärzt*innen bleibt.
Weiters sehen wir bei unseren Kund*innen, dass sie sehr viel Zeit mit der Organisation ihrer Praxis sowie Adminis­tration verwenden und diese Zeit ihnen aber für ihre ­eigentliche Tätigkeit fehlt. Gepaart mit dem künftigen Tierärztemangel ist dies ein massives Problem. Genau hier möchten wir mit digitalen Produkten ansetzen.

Herr Asamer, Sie haben konzern intern gewechselt und sind seit April 2023 Geschäftsführer von VetViva Richter. Wie wir erfahren haben, planen Sie, einen neuen Produktionsstandort in Oberösterreich zu errichten - was dürfen unsere Tierärzt*innen erwarten?

Asamer: Das Gesamtprojekt demonstriert, dass unser Konzern konsequent am Ausbau der Position als Veterinärpharmahersteller arbeitet. Mit der Tochtergesellschaft und der neuen Produktion für Injektionslösungen investieren wir 35 Millionen Euro in die Erhöhung der veterinärmedizinischen Versorgungskapazität. Mit hochwertigen Veterinärarzneimitteln, die hierzulande produziert werden, tragen wir zur besseren Verfügbarkeit von Arzneimitteln für tierische Patienten bei. VetViva deckt am Produktionsstandort Injektionslösungen von 2 bis 250 ml, Salben, topische und orale Lösungen ab; lediglich bei Tabletten und Kapseln setzen wir aktuell auf Lohnhersteller, wobei wir ausschließlich in Europa produzieren. Mit unserem neuen Produktionsgebäude verdreifachen wir die Kapazitäten auf einen Gesamtoutput von zehn Millionen Originalpackungen. Wir erhalten hochwertige Arbeitsplätze im Zentralraum und erzeugen hochqualitative Veterinärarzneimittel. Zudem spielt das Thema Nachhaltigkeit beim Bau eine entscheidende Rolle: Photovoltaik, Fernwärme­anschluss, Wärmerückgewinnung. In der Medienversorgung reduzieren wir unsere Abhängigkeit von Gas zur Dampferzeugung drastisch, dies schafft in unsicheren Zeiten mehr Resilienz für die Lieferkette.

Sie decken von der Forschung und Entwicklung über Zulassung und Produktion bis hin zur internationalen Vermarktung von Tierarzneimitteln den gesamten Produktlebenszyklus ab. Wollen Sie sich mit dem Label "Made in Austria" von internationalen Abhängigkeiten freispielen?

Asamer: Unser Ansatz reicht von der Produkt­entwicklung mit einem erfahrenen Entwicklungsteam in Klinik und Pharmazie am Standort Wels und einem Netzwerk an CROs* in ganz Europa über Inhouse-Zulassung bis hin natürlich zu Produktion und Vertrieb aus einer Hand. Gerade die Organisation der gesamten Wertschöpfungskette unter einem Dach in überblickbarer Größe macht es uns auch leichter, auf Marktverwerfungen zu reagieren, um die Liefersicherheit hoch zu halten. 
Soweit wir das können, streben wir an, unsere Rohstoffe überwiegend aus Europa zu beziehen, das gelingt uns zu 85    %, der Rest kommt aus Asien. Aber natürlich können wir uns den Einflüssen einer globalisierten Industrie nicht verschließen, was die Verfügbarkeit von Wirkstoffen betrifft. Auch die ständig steigenden Anforderungen seitens des Gesetzgebers führen zu mehr Aufwand und zu Verzögerungen in der Versorgung.

Frau Dr. Strohmaier, Sie sind die Nachfolgerin von Mag. Asamer im Veterinärbereich des Konzerns. Ihr Spezialtehma ist die Digitalisierung - was setzen Sie im Bereich der digitalen Transformation um?

Strohmaier: Durch unser Joint Venture mit der Softwarefirma Vetnative Digital GmbH, die sich bereits im digitalen Servicebereich für Tierärzt*innen etabliert hat, sind wir in der Lage, die Veterinäre mit modernsten Technologien bei der täglichen Arbeit zu unterstützen. Besonders in den Bereichen Administration, Aufzeichnungspflichten, Terminvereinbarung und Kommunikation mit den Tierbesitzer*innen bis hin zu eleganten Lösungen für Heimlieferservice und Telemedizin können wir verschiedene Tätigkeiten automatisieren, die bisher eher fehleranfällig waren, nicht zu den Lieblingsbeschäftigungen im täg­lichen Ablauf zählten oder kein Geld brachten. 
Das modular aufgebaute System beinhaltet eine mehrmonatige kostenfreie Probiermöglichkeit für das Praxismanagement, verfügt über stabile Schnittstellen zu allen wichtigen Plattformen – z.   B. „elOrd“ – und Datenbanken sowie über Gratis-Applikationen für den Tierhalter. So kann die gesamte Versorgungskette der Waren vom Hersteller über die Tierärzt*innen bis hin zum Endkunden automatisiert und vereinfacht werden. 
Das komfortable und gleichzeitig profitable Konzept wird heuer im Rahmen der Branchenmesse „Vet Austria“ präsentiert und ich freue mich auf viele interessierte Besucher*innen – nach dem Motto: „Kommen Sie und schau’n Sie sich das an, des müssen S’ g’sehen haben!“

 

* CROs = Contract Research Organisations; private Dienstleistungs­unternehmen, die vor allem für die arzneimittel- und medizinprodukteproduzierende Industrie Forschungsaufgaben übernehmen.