Fallbericht:

Refeeding-Syndrom bei einer Katze

Mag. med. vet. Nina Brabetz
Tierarztpraxis Rankgasse

Erfolgreiche Therapie einer Katze nach vierwöchiger Nahrungskarenz mit dem Refeeding-Syndrom als aufgetretener Komplikation.

Das Refeeding-Syndrom ist eine wenig bekannte Erkrankung, die nach längerer Nahrungskarenz (> 10 Tage) bei zu raschem Anfüttern entstehen kann. 

Pathophysiologie

Das Refeeding-Syndrom beginnt mit der Nahrungsaufnahme nach längeren Hungerphasen. Die Hungerphase ist durch einen katabolen Stoffwechsel gekennzeichnet, der durch die Hormone Glucagon und Adrenalin gekennzeichnet ist. Es kommt zum Aufbrauchen der Energievorräte: Glycogen, Proteine und Triglyceride. Die Zellen decken den Energiebedarf durch Oxydation von Fettsäuren und Ketonkörpern. Der Glucoseverbrauch wird auf ein Minimum reduziert und die Insulinausschüttung wird stark supprimiert. Nach Anfütterung mit kohlenhydrat­reicher Nahrung kommt es zu einer massiven Insulinsekretion und zu einem schnellen Einstrom von Kalium, Glucose, Magnesium und Phosphat. Der intrazelluläre Einstrom der Elektrolyte führt zu einer anabolen Stoffwechsellage, die zusätzlich Phosphat, Magnesium, Kalium und Vitamin B1 (Thiamin) benötigt. Das größte Risiko eines Refeeding-­Syndroms besteht nach zwei bis fünf Tagen nach Beginn der Anfütterung.

Anamnese und Therapiebeginn

Die zehnjährige EKH „Tigerpooh“, weiblich, kastriert, kam nach vier Wochen spurlosem Verschwinden wieder nach Hause. Sie war in einem sehr schlechten Allgemeinzustand. Bei der Erstuntersuchung zeigte sich eine kachek­tische Katze mit 1,6 kg Gewicht, eingesunkenen Bulbi, aufgehobener Hautelastizität und einer IKT von 37,3 °C. Die Katze wurde am Samstag abends zu mir nach Hause gebracht, daher war zunächst keine Blutuntersuchung möglich. Das Tier wurde daher symptomatisch zwei Tage lang mit intravenöser DTI (Ringer-Lactat + Kalium + Magnesium und Natriumbicarbonat sowie 5 % Glucoselösung) therapiert und zusätzlich mit Rindfleischzubereitung für Kleinkinder und Recovery Liquid angefüttert.

Beginn von neurologischen Auffälligkeiten

Nach 36 Stunden zeigte „Tigerpooh“ zunächst einen verzögerten Pupillarreflex und eine beginnende Ataxie sowie Tremor. 72 Stunden nach Beginn der Fütterung kam es zu generalisierten Krampfanfällen. Zu diesem Zeitpunkt waren die Befunde eingelangt und dank kompetenter Fachberatung konnte die Diagnose Refeeding-Syndrom gestellt werden.

Therapie des Refeeding-Syndroms

Aufgrund der Notwendigkeit regelmäßiger Kontrollen von Elektrolyten, Glucose und Blutgasen brachte ich die Katze umgehend in die Anicura-Klinik Hollabrunn, wo sie zwei Tage stationär therapiert wurde. Wegen der starken Krampfanfälle war sie eine Nacht am Midazolamdauertropf. Der starke Thiaminmangel und die daraus resultierenden neurologischen Auffälligkeiten wurden mit hochdosiertem Vitamin B behandelt. Zu Beginn bekam „Tigerpooh“ 3 x tgl. ein Multivitamin-B-Präparat i. m. (10–20 mg/kg KGW Thiamin). Außerdem wurde alle ein bis zwei Stunden Glucose gemessen, da durch die erhöhte Insulinausschüttung eine ständige Hypoglykämie drohte. Aufgrund einer Neutropenie bekam sie zusätzlich 3 x tgl. Amox/Clav 25mg/kg KGW i. v. und einen Magenschutz (selektiver Protonenpumpenhemmer). „Tigerpooh“ blieb weitere fünf Tage bei mir eingestellt. In dieser Zeit wurde sie mit DTI mit Ringer-Lactat + Kalium + Glucose (4,5 ml/kg KGW pro h) über einen Perfusor behandelt und nach folgender Berechnung gefüttert:

Fütterung nach Erkennen des Refeeding-Syndroms

Zu Beginn wurde der Erhaltungsbedarf errechnet. Da „Tigerpooh“ 1,8 kg hatte, ergab sich aufgrund der Be-rechnung 30 × kg + 70 eine Futterration von 124 kcal. Die Futterration wird über zehn Tage täglich um 10 % gesteigert, sodass nach zehn Tagen der Erhaltungsbedarf erreicht ist. Da die Katze aber bereits vorbehandelt war, entschloss ich mich mit den Kolleginnen der Tierklinik Hollabrunn zu einer verkürzten Steigerung. Daher erhielt „Tigerpooh“ am ersten Tag 20 %, am zweiten Tag 40 %, am dritten Tag 60 %, am vierten Tag 80 % und ab dem fünften Tag 100 %. Sie bekam zunächst Recovery Liquid und wurde dann auf eine Magen und Darm schonende Kost in Form eines Trockenfutters umgestellt. „Tigerpooh“ konnte nach insgesamt zehn Tagen Intensivbetreuung in häusliche Pflege entlassen werden. Die Besitzer geben weiterhin über vier Wochen Vitamin B1 zum Futter. Ansonsten bekommt „Tigerpooh“ über zwei weitere Wochen alle zwei Tage eine subcutane Infusion mit Ringer-Lactat (80 ml). Die Futterration wird von den Besitzern anhand des Körpergewichts errechnet und langsam gesteigert. 

Schlussfolgerung

Bei dieser Vorgeschichte und einer Hypophosphatämie sollte unbedingt an das Refeeding-Syndrom gedacht werden. Dieser Katze hat der Umstand das Leben gerettet, dass sie zu Beginn der Einstellung sehr schwach, aber in keinster Weise neurologisch auffällig war. Somit habe ich weiter nach der Ursache gesucht und konnte gemeinsam mit einer Fachberatung die Diagnose stellen.