Wenn die Quelle

Facebook heißt

Tierärztin Tanja Warter

Immer wieder sind Tierärzte mit unsachlichen, selbst gezimmerten Meinungen konfrontiert. Manchmal lohnt sich ein Gespräch – aber nicht immer.

An Patientenbesitzer, die vorinformiert von Dr. Google zur Sprechstunde kommen, ist man heutzutage gewöhnt. „Könnte es vielleicht dies sein? Ich habe gelesen, dass … Und was meinen Sie dazu?“ Solche Fragen können anstrengend, nervig und zeitraubend sein, aber sie beweisen auch, dass der Kunde in der Flut an Informationen vor allem auf den Tierarzt setzt, um die im Internet gesammelten Infos richtig einzuordnen. In diesem Fall wird das Vertrauensverhältnis durch das Nachfragen und ­souveräne Antworten sogar bestärkt – Infos aus dem Internet sind also keine Bedrohung für die Beziehung zum Kunden, im Gegenteil.

Eine andere Kategorie von Tierhaltern will aber gar nicht über das neu erworbene Wissen sprechen und sich ein zusammenhängendes Bild machen, sondern mit den bruchstückhaften Infos den Tierarzt testen. „Ganz neu gibt es ja jetzt das und das. Kennen Sie das schon?“ oder „Was halten Sie denn von der neuen Studie zum Thema XY?“ Kunden, die auf diese Art Fragen stellen, vermitteln nicht selten den Eindruck, dass sie regelrecht darauf warten, den Tierarzt auf dem falschen Fuß zu erwischen. Damit ordnen sie sich selbst in die Rubrik der „unangenehmen Patientenbesitzer“ ein. Wie aber umgehen mit solchen Menschen? Gerade für Berufseinsteiger ist das Thema Kommunikation außerhalb einer freundlichen, wohlgesonnenen Atmosphäre eine schwierige Angelegenheit. Schnell fühlen wir uns in einer defensiven Rolle, aus der heraus leicht ein wehrhafter Tonfall entstehen kann, der vom Gegenüber wiederum schnell als arrogant empfunden wird – Motto: „Bin ich hier der Arzt oder Sie?!“ Jetzt ist kaum noch ein konstruktives Gespräch herzustellen. Das limbische System, der evolutionsgeschichtlich älteste Teil unseres Gehirns, spielt uns diesen Streich. Der Kunde wird durch sein Abtesten unsympathisch und löst unangenehme Emotionen aus.

Was kann man tun, um nicht in diese Falle zu tappen?
Drei Punkte helfen:
 

1. Sich bewusst machen, dass man sich in diesem Moment im innerlichen Widerstand befindet. Grund: Indem man seine eigene Reaktion objektiv betrachtet, hat man Distanz zur Emotion gewonnen und lässt sich nicht mehr provozieren.    

2. Die Äußerung des Patientienbesitzers umformulieren. Grund: Damit stellen Sie für Ihr Gegenüber sicher, dass die Aussage bei Ihnen auch richtig angekommen ist

3. Mit einer Frage reagieren. Grund: Der Kunde bekommt das Gefühl, dass Sie sein neu erworbenes Wissen ernst nehmen. Und: Es verschafft Ihnen eine kurze Durchschnaufpause; Sie können den Fokus wieder ganz auf das Tier richten und Ihre ursprüngliche Strategie verfolgen.

Geschafft. Die Emotionalität ist nun deutlich gesunken und man kann den Besitzer beispielsweise bitten, den ausgedruckten Artikel beim nächsten Mal mitzubringen, um die Sache genau zu besprechen. 

Typische Themenbereiche, in denen Digitalisierung im tierärztlichen Alltag durch Falschinformationen mitunter mehr Fluch als Segen ist, sind Parasitenschutz, Impfung (zusätzlich verstärkt durch die vielen Impfdiskussionen seit Beginn der Coronapandemie) und Fütterung. Beim Parasitenschutz werden im Internet wahre Horrorszenarien verbreitet, bis hin zur Entstehung von Milztumoren durch ein Anti-Zecken-Spot-on. Es gibt deutschsprachige Facebook-Gruppen mit sage und schreibe knapp 20.000 Mitgliedern, die sich nur über die vermeintlichen Gefahren der Parasitenbekämpfung unterhalten. Und das schreiben die Administratoren in ihren Gruppenregeln: „Hier tauschen sich betroffene Tierhalter über ihre negativen Erfahrungen mit Tabletten, Spot-ons oder Halsbändern gegen Zecken und Flöhe aus. Positive ­Erfahrungsberichte gehören nicht in unsere Gruppe. Gleichzeitig dient unsere Gruppe der Aufklärung und Information.“ Originalzitat Ende.         

Auch aus Quellen wie diesen beziehen Patientenbesitzer ihre Kenntnisse. Die teils sehr emotional verfassten Erfahrungsberichte bleiben nicht ohne Wirkung. In komplexer werdenden Zeiten ist die Sehnsucht nach einfachen Antworten enorm.

Da ist es oft nahezu unmöglich, zu vermitteln, dass es kein Präparat gegen Parasiten gibt, das perfekt schützt und dabei vollkommen frei ist von Nebenwirkungen. Tierhalter, denen auch mit besten Argumenten und strategisch geschickter Kommunikation nicht beizukommen ist, bilden die Gruppe der schwierigsten Kontakte im beruflichen Umfeld. Wenn Sie mit allem, was Sie sagen, nur auf Ablehnung stoßen, ist es wichtig, auch erkennen zu können, dass nicht jeder Kunde zu jedem Tierarzt passt. Die Energie, die ein solcher Mensch raubt, ist besser in kooperative und sympathische Kunden investiert.   

Manchmal kann es auch hilfreich sein, so manches Inter­netwissen mit Humor zu nehmen. Zwei Gustostückerl aus der Schatzkiste von Dr. Google, die zeigen, dass die persönliche Beratung durch den Tierarzt unersetzlich ist: In England wurde bei einer Röntgenunter­suchung eine Münze im Magen eines Dalmatiners gefunden. Als die Besitzer mit diesem Umstand konfrontiert wurden, zeigten sie sich nicht verwundert, gaben sie dem Vierbeiner doch einmal im Monat einen Penny zum Entwurmen. Den Tipp hatten sie, no na, aus dem World Wide Web. Es handle sich um eine „schonende Methode nach alter Schule“.

Weitreichende Konsequenzen hatte auch der erste Tierarztbesuch einer Welpenbesitzerin, die ihre kleine Hündin impfen lassen wollte. Bei der Allgemeinuntersuchung wunderte sich die Tierärztin über den falschen Geschlechtseintrag und auch über den Hundenamen Laika. Im Gespräch stellte sich heraus, dass die „Beule am Bauch“ gar nicht der von Google diagnostizierte Nabelbruch, ­sondern in Wahrheit der inzwischen abgestiegene Hoden war. Na bumm!