Psychische Erkrankungen –

die schleichende Gefahr

Bettina Kristof

Beruflicher Stress allein führt nicht direkt in ein Burn-out. Es kommen meist persönliche Faktoren hinzu, wie mangelnde Fähigkeit, sich abgrenzen zu können, oder das Streben nach Perfektion. Auch das private Umfeld und familiäre Umstände sind zu berücksichtigen. Die beste Prävention ist, auf sich selbst zu schauen. 

 

Sind Burn-out, Depression und bipolare Störung prägende Erscheinungen unserer Zeit? Man hat fast den Eindruck, denn eine Vielzahl von Menschen ist von einer dieser Erkrankungen betroffen. Doch wodurch unterscheiden sie sich, wie erkennt man sie und wie beugt man ihnen vor? Wir sprachen da­rüber mit Mag. Matthias Stauder, systemischer Therapeut und Coach in Wien.

Herr Mag. Stauder, psychische Erkrankungen wie ein Burn-out treten in unserer Zeit gehäuft auf. Wieso ist das so? 
Burn-out ist keine psychische Krankheit wie eine Depression oder Panikattacken, sondern die Beschreibung eines Erschöpfungszustandes, der sich auf den beruflichen Kontext bezieht. Eine der Ursachen dafür ist, dass sich die Arbeitsbedingungen in den letzten 20 bis 30 Jahren drastisch verändert haben, denn dieselbe Leistung muss heutzutage in kürzerer Zeit mit weniger Ressourcen erzeugt werden. Dadurch geraten Menschen unter stärkeren Stress. Besonders davon betroffen sind Menschen, die in psychosozialen Berufen tätig sind, wie etwa Ärzte und Tierärzte. Sie haben hohe Verantwortung, sind mit menschlichen Schicksalen konfrontiert, haben Schicht- und Nachtdienste; alles Belastungen für Körper, Geist und Seele. Ein Burn-out zu vermeiden bedeutet, gut mit Stress umgehen zu können. Das ist auch das Erste, was Patienten, die an einem Burn-out leiden, lernen müssen. Ein Burn-out bekommt man nicht von heute auf morgen, es entwickelt sich schleichend. Die ersten Phasen des Burn-outs lassen sich zumeist gut ohne Medikamente behandeln – wenn aber ein volles Erschöpfungssyndrom auf allen Ebenen vorliegt, werden auch Arzneimittel verordnet.

Sind ungünstige berufliche Rahmenbedingungen, die Stress verursachen, der Auslöser für ein Burn-out?
Die beruflichen Rahmenbedingungen haben einen ­großen Einfluss auf den psychischen Zustand. Wenn ein Arzt beispielsweise eine Station länger allein betreuen muss, dann sind das betriebliche Rahmenbedingungen, die ein Ausbrennen begünstigen können. Beruflicher Stress allein führt aber nicht direkt ins Burn-out. Es kommen auch persönliche Faktoren dazu, wie die mangelnde Fähigkeit, sich abgrenzen zu können, oder das Streben nach ­Perfektion. Auch das private Umfeld und familiäre Umstände sind zu berücksichtigen. Wenn es zusätzlich zur beruflichen Überforderung zu Schicksalsschlägen, Scheidung oder finanziellen Belastungen kommt, schlittert man irgendwann ins Burn-out, wenn es keinerlei psychische und physische Entlastung gibt.

Was kann ein Unternehmen tun, um die Rahmenbedingungen zu verbessern?
Gerade in psychosozialen Berufen wäre es wichtig, dass genug Personal vorhanden ist und nicht zu viel Arbeit auf den Schultern des Einzelnen lastet. Die Angestellten sollten in Entscheidungen und Abläufe eingebunden werden; wissen, warum sie was tun. Sinnerfüllung ist ein wichtiger Punkt in der Zufriedenheit mit dem Arbeitsplatz. So weit es geht, sollten Mitarbeiter sich auch die Zeit selbst einteilen oder zumindest mitbestimmen können. Burn-out ist oft eine Sinnkrise, wenn es keinen Ausgleich zwischen Geben und Nehmen gibt. Auch Anerkennung in Form von Lob und Gratifikationen ist ein wichtiger Punkt, um die Zufriedenheit der Mitarbeiter zu gewährleisten.

Wirkt sich die zunehmende Digitalisierung auf die Entstehung eines Burn-outs aus?
Die Digitalisierung selbst bringt viele Veränderungen mit sich, die manche als positiv betrachten und davon begeistert sind, andere fühlen sich davon bedroht; das wird ganz unterschiedlich wahrgenommen. Was aber stresst, ist die steigende Dokumentationspflicht durch die Digitalisierung und vor allem auch die Forderung vieler Firmen, dass die Mitarbeiter ständig erreichbar sein sollen. So wird die Arbeit omnipräsent, man kann nicht mehr abschalten. Wichtig wäre eine Trennung zwischen Beruf und Freizeit, damit man zur Ruhe kommt. Ein begünstigender Faktor für die Entstehung eines Burn-outs ist auch die wachsende Unsicherheit in unserer Zeit, wie lange das Arbeitsverhältnis dauert, ob der Vertrag verlängert wird – das macht Stress. Dabei werden Stresshormone im Gehirn vermehrt ausgeschüttet, der ganze Körper wird in einen Alarm­zustand versetzt, und wenn es zu keiner Entlastung kommt, nehmen Körper, Geist und Seele Schaden. 

Durch welche Symptome äußert sich ein Burn-out?
Vor allem durch Energiemangel, Gefühle des Versagens, Leistungsunfähigkeit und soziale Erschöpfung. Menschen im Burn-out ziehen sich aus Beziehungen zurück. Dazu kommt eine emotionale Erschöpfung, die sich durch ­Niedergeschlagenheit, innere Leere und Reizbarkeit zeigt. Wenn diese Symptome voll ausgebildet sind, ähnelt die Erkrankung einer Depression, hat aber andere Ursachen. Auch psychosomatische Beschwerden wie nächtliches Zähneknirschen, Schlafstörungen, Magen-Darm­Beschwerden, Tinnitus, sexuelle Unlust und Rücken­schmerzen können auftreten. 

Welche Berufsgruppe ist besonders gefährdet, ein Burn-out zu entwickeln? 
Ärzte, Tierärzte, Menschen in helfenden Berufen; aber auch Menschen, die gerne viel leisten, die über ihre Grenzen gehen. Für sie ist Erschöpftsein ein No-Go, die tun einfach. Manager in gehobenen Positionen, die viel Verantwortung haben, keine Fehler machen dürfen und ständig erreichbar sein müssen, sind oft überlastet. Der Stress kann in Kombination mit familiären und persönlichen Problemen in ein Burn-out führen.  

Eine psychische Erkrankung ist die Depression. Wie entsteht diese?
Die Faktoren für die Entwicklung einer depressiven Erkrankung können breit gefächert sein – etwa traumatische Erlebnisse in der Kindheit, erbliche Veranlagungen oder auch biologische Faktoren können zum Ausbruch einer Depression führen. Die Depression hat im Gegensatz zum Burn-out nicht unmittelbar mit Stress zu tun. Die Ursache dafür ist nicht im Beruf zu suchen, denn auch Jugendliche oder Pensionisten können daran erkranken. 

An welchen Symptomen erkennt man eine Depression?
Eine Depression zeichnet sich durch Antriebslosigkeit, Müdigkeit, ein Gefühl der Leere und der Sinnlosigkeit, ein reduziertes Bedürfnis nach Nähe und durch sozialen Rückzug aus. Manche greifen als Selbstheilungsversuch zu Alkohol oder Drogen, die Leistungsfähigkeit ist verringert und Arbeit ab einem gewissen Level nicht mehr vorstellbar. 

Wie behandelt man eine Depression?
Es ist wichtig, dass sich der Betroffene in psychothera­peutische Behandlung begibt. Gemeinsam mit dem Therapeuten wird daran gearbeitet, in kleinen Schritten Selbstvertrauen, Selbstwirksamkeit und Selbstkompetenz aufzubauen, damit der Depressive seinen Alltag bewältigen kann. In schweren Fällen – wenn Patienten in bodenlose Löcher fallen und bei Suizidgefährdung – muss mit Antidepressiva behandelt werden, deren Nebenwirkungen stark sein können. Medikamente lösen kein ­Thema, machen aber oft erst therapierbar. Wichtig ist es, die ­Patienten zu täglicher Bewegung zu motivieren. So wie man geht, so geht es einem. 

Wie unterscheidet sich die Depression von der bipolaren Störung?
Die bipolare Störung ist eine Sonderform der Depression, bei der es Phasen der Niedergeschlagenheit und Phasen der Euphorie gibt. In der manischen Phase glauben die Menschen, dass sie von endloser Energie durchflutet sind. Sie sind aber meistens arbeitsunfähig, weil sie alles exzessiv und total übertrieben machen und dadurch den normalen Alltag nicht bewältigen können. 

Woran erkennt man eine bipolare Störung?
Die bipolare Störung tritt seltener auf. Es braucht lange, bis sie wirklich sicher diagnostiziert werden kann, weil die manischen Phasen oft nicht als krankhaft wahrgenommen werden. Die Menschen erleben sich da als gesund, haben extrem viel Energie und meinen, sie können alles schaffen. Sie sind in der Regel nicht krankheitseinsichtig. Diese Erkrankung wird zumeist medikamentös behandelt. Es ist wichtig, dass der Patient die Medikamente nach Verordnung einnimmt und die einzelnen Phasen kontrollierbarer werden. In der Therapie geht es auch um den Umgang mit den einzelnen Phasen. 

In unserer Zeit hört man gefühlt sehr oft von Burn-out, aber wesentlich weniger von der Depression. Ist Burn-out „schicker“ als Depression?
Tatsache ist, dass die Depression noch immer eine der häufigsten psychischen Erkrankungen ist. Aber das Burn-out hat eine andere gesellschaftliche Akzeptanz als die Depression. Ein Burn-out zeigt ja, dass jemand überdurchschnittlich viel gearbeitet und geleistet hat. Eine Depression zu haben, klingt ganz anders, da wird eher vermieden, das zuzugeben. Es kommt aber auch vor, dass eine Depression fälschlicherweise als Burn-out diagnostiziert wird, weil die Symptome zum Teil ähnlich sind. Da muss man als Thera­peut aufpassen. 

Was tun, wenn man selbst betroffen ist? Wer ist erste Anlaufstelle?
Erste Anlaufstelle ist man selbst. Wenn man die Gabe und die Kraft hat, selbst zu reflektieren, selbst zur Erkenntnis zu kommen, dass man leisertreten muss, kann man sich aus einem drohenden Burn-out auch selbst befreien. Sonst ist es gut, sich an seinen Hausarzt zu wenden, der einem dann kompetente Ansprechpartner nennt. Oder man geht direkt zu einem Therapeuten. Es geht schlussendlich darum, von sich selbst zu lernen, sich Dinge bewusst zu machen; sich auch zu überlegen, wie man früher gelebt hat, wie man früher war und was man selbst dazu beitragen kann, damit man wieder gesund wird.

Wie geht man vor, wenn man Symptome bei einem nahe stehenden Menschen erkennt?
Das ist heikel, weil die Betroffenen oft nicht wahrhaben wollen, dass sie psychisch krank sind, oder es verdrängen. Ich empfehle, mit Ich-Botschaften zu vermitteln, was man wahrnimmt; zu beschreiben, aber keine Ratschläge zu erteilen. Man sollte versuchen, im Gespräch die Veränderungen auszudrücken, die man wahrnimmt. In etwa: „Früher hast du, früher waren wir …“ Um den anderen nicht in die Verteidigungsposition zu bringen und seine Autonomie nicht zu verletzen, ist es besser, Formulierungen wie „Du sollst“ und „Du musst“ zu vermeiden. In jedem Fall hilft es, Gesprächsbereitschaft zu signalisieren. 

Was kann man tun, um vorzubeugen? Welche Tipps zur Prävention haben Sie für unsere Leser?
Die beste Prävention vor einem Burn-out ist, auf sich selbst zu schauen. Dazu gehören eine gesunde Ernährung und regelmäßige Bewegung, vor allem in Form von Ausdauersport. Die körperliche Fitness macht auch selbst­bewusst und stressresistent. Yoga oder Tai-Chi sind gut, um die Energie fließen zu lassen und Blockaden abzubauen. Ein gesunder, erholsamer Schlaf gehört ebenso dazu; auch die Fähigkeit, abschalten zu können, die Arbeit Arbeit sein zu lassen und eine gute Lebensbalance zu entwickeln, ist von Bedeutung. Von Vorteil ist es auch, persönliche Kontakte zu pflegen, ein Hobby zu haben, sich mit etwas anderem als nur der Arbeit zu beschäftigen. Der Job als Tierarzt kostet viel Energie, daher muss man auf seinen Energiehaushalt achten. Dazu gehören eine bewusste Trennung von Beruf und Privatem sowie die aktive Gestaltung der Freizeit. Wichtig ist auch, die berufliche Erreichbarkeit zu reduzieren. Gerade Ärzte und Tierärzte sollten auf sich selbst schauen und rechtzeitig reduzieren, bevor die Kraft ausgeht. Auch das Delegieren von Aufgaben und das Abgeben von Kontrolle ist wichtig, um einer Überlastung vorzubeugen. 

Wenn man in der Selbstreflexion merkt, dass man perfekt sein will oder nicht Nein sagen kann, dann sollte man ­dieses Thema mit einem Coach verändern. Schafft man es nicht alleine, eigene Grenzen zu erkennen und zu setzen, sollte man sich Hilfe von außen holen.