Mag. Eva Kaiserseder
Über einen noch jungen Forschungszweig, clevere Fische, die sich in Sachen „Kundenbeziehung“ bestens auskennen, und darüber, was Tiere eigentlich über andere Tiere wissen könn(t)en.
Sie sind Verhaltensökologe und forschen seit längerer Zeit rund um das Thema Putzerlippfische. Was konkret kann man sich unter dem Terminus Verhaltensökologie vorstellen?
Es ist der Teil der Verhaltensforschung, der eigentlich Evolutionsbiologie ist. Wir versuchen, Verhalten als Anpassung an die Ökologie einer Art zu verstehen. Da ist es essenziell, die Tiere in ihrer natürlichen Umgebung zu beobachten, anfangs zumindest. Hier sieht man, was sie fressen, wer ihre Raubfeinde sind oder wie Feindvermeidung abläuft. So lassen sich Abläufe studieren. Später schauen wir, wie Individuen diese Abläufe gestalten, um z. B. in Sachen Nahrung, Fortpflanzung und Überleben ganz generell erfolgreich zu sein. Das heißt, wir beginnen bei der Ökologie in der natürlichen Umgebung und bringen dann unsere Forschung mit konkreten Hypothesen und Experimenten später auch ins Labor.
Sie waren vorher Primatologe – waren Sie in diesem Bereich auch Verhaltensforscher?
Ja, und ich habe hier zu den wenigen gehört, die sich Affen angeschaut haben, ohne sich Gedanken über ihre Intelligenz zu machen. (lacht) Ich bin übrigens recht zufällig zu den Affen gelangt, es ging da im Rahmen meiner Doktor-arbeit um zwei Waldaffenarten und deren Kooperation: nämlich ob diese zur Feindvermeidung passiert, oder um besser an Nahrung zu kommen. Alle Experimente und Ergebnisse haben in dieselbe Richtung gedeutet, nämlich dass es sich eindeutig um Feindvermeidung handelt, wenn sich die Affen etwa untereinander gegenseitig warnen.
Und wann kam dann der Schwenk zu den Fischen?
Mein Doktorvater Ronald Noë arbeitete parallel zu dem Affenprojekt über die Stabilität von Kooperation; er war der Erste, der der Meinung war, dass sich die menschliche Markttheorie von Angebot und Nachfrage durchaus auf das Tierreich übertragen lässt.
Diese Denkweise hat mir sehr gut gefallen und ich habe daher nach einem System gesucht, in dem es sozusagen einen schönen „Markt“ geben könnte. So bin ich auf den Putzerlippfischmutualismus gestoßen, bei dem es auf zwei Seiten einen gegenseitigen Nutzen gibt, und wollte daran die biologische Markttheorie erforschen.
Es gab zu diesem Zeitpunkt bereits ein paar Systeme, wo man die Markttheorie anwenden konnte, wenn etwa männliche Grillen für die Kopulation an die Weibchen Geschenke verteilen. Und je mehr Männchen es gibt, desto prunkvoller müssen die Geschenke natürlich sein, wenn viele Männchen auf der Suche sind. Das kannte man also.
Bei den Putzerfischen stagnierte die Forschung allerdings seit den 50er-, 60er-Jahren, und daher schien es erfolgversprechend, dort noch einmal hinzuschauen, mit frischen Ideen und neuen Instrumenten. Was da passiert, wurde nämlich nie völlig verstanden. Ich arbeite nun seit 1997 an diesem System und muss sagen, es gibt noch immer viel zu entdecken.
Verhaltensökologie klingt nach einem recht jungen Forschungszweig …
Das stimmt. Als entscheidendes Paper gilt William Hamiltons „Verwandtenselektion“, wo er erklärte, dass man selbst das Verhalten von Ameisen anhand der Evolutionstheorie und ihres Fokus auf dem individuellen Vorteil verstehen kann. Die Ameisenarbeiterinnen pflanzen sich nicht selbst fort, ziehen aber Brüder und Schwestern auf, mit denen sie verwandt sind, womit sie auch ihre eigenen Gene verbreiten.
Selbstloses Verhalten kann man unter diesen Bedingungen unter positiver Selektion einordnen. Auf Basis dieser Erkenntnis konnte dann versucht werden, sämtliches individuelles Verhalten als Anpassung des Individuums zu verstehen und nicht mehr nur als Verhalten zum Wohle des Arterhalts – Konrad Lorenz etwa dachte noch so. In den 70er-Jahren hat das Thema Verhaltensökologie dann seinen Durchbruch erlebt.
Das heißt, es geht darum, wie Tiere auf ihren eigenen Vorteil bedacht sind und was sie dafür zu machen bereit sind?
Genau. Die große Frage, die sich hier stellt, lautet: Was hat das Individuum davon, einem anderen zu helfen? Die Evolutionstheorie hat den Egoismus betont, jetzt geht es darum, zu verstehen, aus welchem Zweck man einem anderen hilft und was das für einen Nutzen hat.
Hier muss man aber Altruismus und Kooperationsbereitschaft unterscheiden: Biologischer Altruismus richtet sich nur an Verwandte, Kooperation findet zwischen nicht verwandten Individuen statt, oft Mitgliedern verschiedener Arten. Das ist ein Mitgrund, warum das Thema Kooperation interessant ist. Jetzt geht es eben auch darum, das Ganze mit der Evolutionstheorie in Einklang zu bringen.
Nun ein Themenschwenk zu Ihrem Hauptforschungsgebiet, nämlich den Fischen: Was antworten Sie jemandem, der Fische für grundsätzlich fad und -eindimensional hält?
Also nachdem es 30.000 Fischarten gibt, sind darunter sicher welche, die unglaublich langweilig sind, Karpfen zum Beispiel. (lacht) Es gibt aber genauso Affen, die nicht viel Spannung bieten, schwarz-weiße Colobusaffen etwa: Die fressen, schlafen, dann gehen sie 50 Meter und alles beginnt wieder von vorne. Das ist nicht besonders aufregend, die sind ein bisschen wie Kühe auf Bäumen.
Bei Fischen gibt es allerdings auch einige, die ein sehr interessantes und differenziertes Verhalten zeigen, und mein Forschungsobjekt, der Putzerfisch, ist da ganz vorne dabei. Das Schöne ist, dass Putzerfische zwar wie jede Art fressen müssen, hier aber der Nahrungserwerb dasselbe wie eine soziale Interaktion ist; die Fische müssen schließlich Nahrung von ihren „Kunden“ sozusagen herunterholen. Putzerfische haben diese soziale Interaktion zum Nahrungserwerb täglich unglaubliche 2.000 Mal, mehr als jedes andere Tier, was dieses System so interessant macht.
Der Interessenkonflikt hierbei ist, dass der „Kunde“ den Putzer zur Parasitenentfernung besucht, dabei will der Putzerfisch aber die schützende Schleimschicht des „Kunden“ fressen. Also muss der „Kunde“ den Putzer ganz klar dazu bringen, gegen seine Präferenz zu arbeiten, denn der Putzerfisch wäre ja sonst nur ein weiterer Schmarotzer. Deshalb stellt sich die Frage: Wen kann der Putzer betrügen, in welchem Ausmaß soll er betrügen, soll man überhaupt betrügen, denn man kann ja auch beobachtet werden? Fragen, die sich außerdem stellen, sind: Wird alleine geputzt oder zu zweit, ist der „Kunde“ ein Raub- oder Friedfisch und wie verhalte ich mich dann? Das alles sind enorm interessante Herausforderungen für den Putzer.
Wohin wird sich Ihre Forschung nun weiterentwickeln?
Die Evolution von Kooperationen ist vorrangig das, was ich untersuche; es geht darum, wie eine Kooperation langfristig erfolgreich sein kann. Es geht also darum, wie man eben als Putzerfisch stabile Kooperationen bekommt, denn der „Kunde“ könnte sich ja durchaus jemand anderen suchen, der diese Arbeit übernimmt. Hier kommen spieltheoretische Konzepte zum Tragen.
Nachdem wir verstanden haben, wie der Putzer Entscheidungen trifft, haben wir uns das Thema Endokrinologie angesehen und untersucht, wie Hormone den Fisch beeinflussen. Außerdem stellt sich die kognitionsbiologische Frage, inwieweit der Putzer eigentlich selbst versteht, was er da macht. Das sind alles große Fragen, an denen man naturgemäß sehr lange forschen kann.
Auch das Thema Populationsdichte wird uns künftig verstärkt beschäftigen, so gab es ja etwa in Australien, wo wir viel forschen, durch Wirbelstürme große Schäden, auch Korallenbleichen haben die Unterwasserwelt verändert. 80 % der Putzerfische sind auf diese Art verschwunden, auf „Kunden“-Seite waren es 50 %. Und die übrig gebliebenen Fische verhalten sich dann natürlich anders.
Wenn Sie unter die Meeresoberfläche schauen, was beeindruckt Sie da aus Sicht des Verhaltensökologen am meisten?
Vor allem ist interessant, wie nahe Räuber und Beute zusammenleben und wie extrem dicht besiedelt so ein Korallenriff ist. Wenn da ein kleiner Raubfisch an seiner potenziellen Beute vorbeischwimmt, reagiert dieser Fisch oft nicht einmal. Durch die fehlende räumliche Weite sind natürlich auch die Fluchtstrategien ganz anders aufgebaut, ein Beutefisch kann daher innerhalb von Sekunden in ein kleines Loch verschwinden, wohin der Räuber nicht folgen kann.
In der Serengeti flüchtet die Gazelle schon, wenn sich der Löwe auf 200 Meter nähert, dort sind die Räume natürlich ganz anders, viel weiter, und die Distanzen wesentlich länger. Das macht auch die Forschung im Korallenriff wesentlich einfacher, weil ich mich da auch als Mensch nähern kann, ohne dass die Fische vor mir davonschwimmen. Man ist also sofort Teil dieser Welt und kann sein Forschungsobjekt nach Herzenslust beobachten, ohne es erst mühsam an die eigene Anwesenheit gewöhnen zu müssen.
Die sogenannte Theory of Mind, die beim Tier extrem infrage gestellt wird, gehört ja auch zum Gebiet der Verhaltensforschung.
Das ist eine recht komplexe Forschungsrichtung. Theory of Mind heißt grob skizziert bei Menschen: Es ist einem persönlich klar, das andere Wesen ihre eigenen Ideen über die Welt und darüber, wie sie funktioniert, haben. Und dass diese Vorstellungen, diese Wissens- und Glaubens-zustände, nicht unbedingt einer objektiven Realität entsprechen müssen. Im weitesten Sinne hat es damit zu tun, sich in andere hineinzuversetzen.
Bei Tieren ist diese Theory of Mind schwer nachzuweisen, wir wissen zwar, dass Tiere gut abschätzen können, was der andere TUT; aber nicht, ob sie auch abschätzen können, was er DENKT. Das ist auch deswegen so ein heißes Eisen, weil Versuche dazu so schwierig sind. Dinge vorherzusagen ist schließlich nicht dasselbe wie einen Gedankenprozess zu durchschauen, der zu dieser Handlung führt. Bei der Empathie zumindest sind wir uns allerdings sehr sicher, dass Tiere diese haben, es gibt hier auf der emotionalen Ebene viel Evidenz. Wenn man einem monogamen Wühlmaus-Männchen etwa sein Weibchen wegnimmt, dieses stresst und es dann zu seinem Männchen zurückbringt, dann reagiert das Männchen sehr empathisch und laust das Weibchen.
Gibt es ein Thema, das Sie künftig noch genauer unter die Lupe nehmen wollen?
Mir geht es vor allem darum, Kooperationen im Tierreich zu verstehen; wie diese funktionieren. Ohne Polizei, ohne Verträge, in der freien Natur. Das ist mein absolutes Herzensthema. Weiters werden wir die natürlichen Experimente, also die durch Wetterphänomene und Co. ausgelösten Veränderungen, genauer anschauen, etwa wie sie den Markt verändern und wie sich das auf Interaktionen und soziale Leistungen auswirkt. Da stehen wir leider noch absolut am Anfang, das wird noch intensiver Forschung bedürfen.
Im Zuge dieser Kognitionsforschung beim Putzerfisch werden wir verstärkt die Vorgänge im Gehirn des Fisches untersuchen; besonders interessant ist etwa die Frage, ob er cleverer ist als andere Fischarten, ob das von Anfang an so ist oder ob er schlicht durch 2.000 soziale Interaktionen pro Tag intelligenter gemacht wird als andere Fische.