Diabetes bei Hunden:

Individuelle Therapie durch Glukosemonitoring

Bettina Kristof

Diabetes mellitus ist keine sehr häufige Erkrankung bei Hunden, aber eine schwierige. Für das Wohlbefinden des Tieres ist die richtige Einstellung der Medikation entscheidend. Dafür wiederum ist eine kontinuierliche Blutzuckermessung notwendig. Über Neuerungen und Fortschritte in diesem Bereich sprachen wir mit Privatdozent Dr. Florian Zeugswetter, der in der Abteilung für Interne Medizin an der Vetmeduni Vienna tätig ist.

Herr Dozent Zeugswetter, Diabetes ist auch bei Hunden eine schwerwiegende Erkrankung. Welche Neuigkeiten gibt es in der Behandlung?
Neue Erkenntnisse gibt es im Bereich der Medikation: ­Aktuelle Studien zum derzeit häufig eingesetzten Can­insulin decken sich mit meinen Erfahrungen, dass dieses sehr gute Insulin leider nicht bei allen Hunden ideal wirkt. Alternative Insuline wie Levemir, ein NPH-Insulin, erzielen bei einzelnen Tieren bessere Ergebnisse. In der genannten Studie von Federico Fracassi aus Bologna ­waren nur 60 Prozent der Hunde mit Caninsulin gut eingestellt.

Um die passende Therapie für den Diabetespatienten zu finden, ist ein Glukosemonitoring wichtig. Gibt es da Neuerungen?
Es gibt jetzt Validierungsstudien zu den in ­Österreich für Tiere erhältlichen Glukometern, wie zum Beispiel dem Gluko­meter Belua von Wellion. Diese können auch Ketonkörper messen. Es wurden auch neue Messlokalisationen wie die Lefze untersucht. Die interessanteste Neuig­keit ist aber das Monitoringsystem Freestyle Libre von Abbott für den Hund, dessen Sensor unter die Haut implantiert wird und kontinuierlich Daten liefert.  

Was ist der große Vorteil des Glukosemonitorings mit dem neuen Sensorsystem?
Da gibt es viele! Es erlaubt eine kontinuierliche Über­wachung über 24 Stunden, auch während der Nacht. Über den Sensor kann man außerdem erkennen, ob die Insulindosierung stimmt, ob das Insulin lange genug wirkt und ob das Profil zum Tagesablauf des Hundes passt. Der Tierhalter kann bei Unsicherheit – zum Beispiel, wenn der Hund erbrochen hat, verwirrt wirkt oder sehr viel trinkt – jederzeit den Blutzuckerspiegel abrufen. Außerdem gibt das Gerät zusätzlich zum momentanen Glukosewert den Trend an, ob der Zucker steigen, sinken oder gleich ­bleiben wird.

Seit wann wird dieses System verwendet?
Das Sensorsystem zum Glukosemonitoring beim Hund wurde 2016 von Sara Coradini an der Universität ­Bologna validiert – kurze Zeit später habe ich es das erste Mal eingesetzt.

Wie und wo wird der Chip beim Hund implantiert?
Die 3,5 cm große und 5 mm breite Sonde wird seitlich am Hals angebracht. Zuvor rasiert man ein 10 × 10 cm großes Feld, das danach desinfiziert wird. Die Sonde wird mit einem Stempelsystem ohne Sedierung oder ­Lokalanästhesie aufgebracht, danach wird ein Sporttape darübergeklebt und am besten zusätzlich ein Halsverband angelegt. Das Implantieren der Sonde ist für das Tier nicht schmerzhaft.

Wie lange bleibt der Sensor unter der Haut und wie oft während eines Jahres muss die Implantierung wiederholt werden?
Die Sonde bleibt circa zwei Wochen am Tier. Das genügt, um ein Muster zu erkennen, das für die richtige Medikamenteneinstellung und Therapieanpassung wichtig ist. Manche Tierhalter möchten ein Dauermonitoring und lassen alle zwei Wochen einen neuen Sensor am Tier ­anbringen, das ist aber relativ teuer. Deshalb wird das Sensorsystem zwei- bis dreimal im Jahr zur Feineinstellung verwendet, die übrige Zeit überprüft man mit dem Glukometer. 

Welche Erfahrungen haben Sie bis jetzt mit dem Sensorsystem gemacht? Gibt es auch Schwierigkeiten?
Grundsätzlich funktioniert das System beim Hund sehr gut, es hat aber eindeutig einen negativen Bias im niedrigen Glukosebereich. Das Gerät zeigt dann zeitweise einen massiven Unterzucker an, aber wenn man mit dem Glukometer kontrolliert, sieht man, dass die Werte im unteren Normalbereich liegen. Es ist also immer sinnvoll, sehr niedrige Werte zu hinterfragen und zusätzlich mit einem Glukometer zu überprüfen. Früher glaubte man, dass die Blutglukoseprofile in der Nacht und am Tag ähnlich sind, aber jetzt sehen wir, dass sie sich sehr häufig unterscheiden. Wir müssen daher die Insulindosierungen oft je nach Tageszeit unterschiedlich verabreichen. Das ist eine sehr individuelle Sache und bei fast jedem Hund anders. 

Es wird auch langsam klar, dass Caninsulin so wie bei fast allen Katzen auch beim Hund oft zu kurz wirkt, was hohe Werte in der Früh und am Abend vor der nächsten Insulin­injektion erklärt. Ein Nachteil ist sicherlich, dass das Sensorsystem auf Dauer mit mehr als 60 Euro pro Sonde teuer ist und man auf die Glukometermessung zurückgreifen muss. Manche Hunde vertragen auch den Kleber schlecht und reagieren mit Hautreizungen, Unver­träglichkeit oder Juckreiz. Positiv ist, dass die Tierhalter durch die Verwendung des Sensorsystems ein gutes Langzeitgefühl für ihr Tier entwickeln können.

Braucht der niedergelassene Tierarzt eine spezielle Ausbildung, um das neue System anzuwenden?
Nein, das Anbringen der Sonde ist ganz simpel und auf der Website gut erklärt. Das einzig Heikle ist, dass beim Setzen der Sonde der Kleber oft nicht gleich gut haftet und man dann die Sonde beim Wegziehen des Applikators versehentlich wieder entfernen kann. Deshalb ist es wichtig, die Sonde beim Wegnehmen des Applikators mit einer Pinzette an der Haut zu fixieren. Nach dem Implantieren muss man eine Stunde warten, dann kann man die ersten Ergebnisse abrufen. Schwierig ist die Interpretation der Tagesprofile, eine Erklärung dafür zu finden, warum die Werte manchmal hoch oder niedrig sind, respektive einen Weg zu finden, konstante Werte zu erhalten. Das ist ja das Ziel. Dabei hilft die Erfahrung, aber es gelingt auch mir nicht immer. Es gibt dazu selbst in der Humanmedizin kaum Literatur.

Kann man sagen, dass Diabetes bei Hunden zunimmt?
Es gibt dazu eine schöne Diplomarbeit des Kollegen Malte Severin, der die Anzahl der neu diagnostizierten Diabetiker an der Vetmeduni Vienna in den Jahren 2006 bis 2016 verglichen hat. Es wurden in diesem Zeitraum knapp unter 20 neue Diabetiker pro Jahr diagnostiziert, und die Anzahl ist stabil. Das liegt daran, dass es sich beim Hund um einen dem Typ-1-Diabetes des Menschen ähnlichen Diabetes handelt und die Probleme der modernen Zivilisation wie Übergewicht, Bewegungsarmut et cetera weniger ins Gewicht fallen. Hunde bekommen keinen sogenannten Altersdiabetes (Diabetes mellitus Typ 2, Anm.). 

Die Prävalenz war ~ 80/10.000 Patienten. Es ist daher ­keine sehr häufige Krankheit, aber eine schwierige.

Gibt es neben der innovativen Technologie zur Kontrolle des Blutzuckerspiegels auch neue Medikamente? 
Der Hund ist ein beliebtes Versuchstier in der Humanmedizin, weshalb zahlreiche neue Antidiabetika wie zum Beispiel zahlreiche GLP-1-Analoga schon beim Hund getestet wurden. GLP-1 ist die Abkürzung für Glukagon-like Peptid 1. Es handelt sich um ein vor allem im Dünndarm gebildetes Hormon mit multiplen physiologischen Funktionen und ist unter anderem für den Inkretin-Effekt verantwortlich: Dieser ist für mehr als 50 bis 70 Prozent der Insulinausschüttung nach einer Mahlzeit verantwortlich. Neben der Insulin ausschüttenden Wirkung fördert GLP-1 das Zellwachstum der ­ß-Zellen, hemmt Glukagon, verzögert die Magenentleerung und hemmt den Hunger. In den USA wird es zur Gewichtsregulation verwendet. Ein bekanntes Präparat, welches subkutan verabreicht werden muss, ist Liraglutid. Es handelt sich um ein dem menschlichen GLP-1 zu 97  Prozent identes Hormon, hat aber im Gegensatz zum körpereigenen GLP-1 eine lange Halbwertszeit. In einer japanischen Studie mit diabetischen Hunden war die Kombination Liraglutid plus NPH-Insulin deutlich effektiver als Insulin ­alleine; also auch auf dem Gebiet der Antidiabetika kommt in näherer Zukunft sicherlich noch einiges auf uns zu.

 

Worauf sollte der Tierarzt bei einem Diabetespatienten besonders achten?
Ich empfehle, ab der Diagnose Diabetes einen Augenarzt hinzuzuziehen. Das wird oft übersehen, aber mehr als 80  Prozent der diabetischen Hunde entwickeln im ersten Jahr nach der Diagnose eine Katarakt (Grauer Star, Anm.), mehr als 71 Prozent davon später eine phakolytische Uveitis, also eine mit intakter Kapsel, oder phakoklastische (Kapsel rupturiert, Anm.). Die frühzeitige Gabe von entzündungshemmenden Augensalben kann hier eine hoch signifikante Verbesserung des Krankheitsverlaufs bringen. Das Hauptproblem beim Grauen Star ist nicht das Erblinden der Tiere, sondern eine äußerst schmerzhafte innere Augenentzündung. Die Phako­emulsifikation und das Einsetzen einer Kunstlinse ist eine sehr gute, aber auch teure Option.