Praxismodelle der Zukunft

Auf der Suche nach Lösungen für den Tierärztemangel

Lisa Reichenauer

 

Lange Arbeitszeiten, permanente Erreichbarkeit und ein vielfältiges Einsatzgebiet – der Tierarztberuf erfordert hohe Flexibilität und gilt als wahrer Knochenjob. In einer Zeit, in der die Arbeitswelt einen Umbruch erlebt und eine ausgewogene Work-Life-Balance immer mehr an Bedeutung gewinnt, entscheiden sich viele junge Veterinär­mediziner*innen deshalb für die Kleintier­medizin in urbanen Gebieten. Die Folge: Engpässe und ein spürbarer Mangel an Großtierärzten, besonders in ländlichen Regionen. 

Um diesen Herausforderungen zu begegnen und den aktuellen Trends am Arbeitsmarkt gerecht zu werden, setzen viele Tierärzt*innen auf das Modell der Gemischt- und Gemeinschaftspraxis. Ein Vorreiter dieser Entwicklung ist Benedikt Muxeneder im oberösterreichischen Mühlviertel, der in der zweiten Generation seine Praxis nach diesem Modell führt. „Mein Vater hat von Beginn an jedes Tier behandelt, von Nutztier über Klein- und Heimtier; eine typische Gemischtpraxis also. Aber im Gegensatz zu mir war er alleine, und irgendwann reicht die Kraft alleine nicht mehr“, erzählt Muxeneder.

Die Tierarztpraxis wurde 1979 von seinem Vater gegründet. Seit 2018 leitet Muxeneder nun gemeinsam mit seiner Frau und fünf weiteren Tierärztinnen die Familienpraxis in Pregarten. Für den 38-jährigen Familienvater ist das Modell der Gemeinschafts- und Gemischtpraxis eine zukunftsträchtige Variante für die Veterinärbranche: „Der große Vorteil einer Gemeinschaftspraxis ist für mich, dass man eben gemeinsam ist – man kann sich die Dienste einteilen, man kann sich die Nachtdienste teilen und es ist auch möglich, dass man mal auf Urlaub geht, ohne dass man sich Sorgen machen muss“, kommentiert der Veterinärmediziner aus Oberösterreich. Täglich um sieben Uhr morgens bespricht sich Muxeneder mit seinem ausschließlich weiblichen Team und teilt gemeinsam mit seinen Kolleginnen die Dienste ein. 

„Wichtig ist, füreinander zu arbeiten und nicht nur ­miteinander!“
„Der Großteil meiner Kolleginnen interessiert sich sowohl für Nutztiere als auch für Kleintiere. Daher lassen sich die Dienste auch relativ gut verteilen, ohne dass es einem zu viel wird“, so der Gemischtpraxisleiter. Wie viel Arbeit an einem Tag ungeplant auf Muxeneder und sein Team zukommen kann, lässt sich schon während der Teambesprechung erahnen: Immer wieder wird er vom Telefon unterbrochen – am anderen Ende melden sich Landwirte und verzweifelte Heimtierbesitzer*innen, die dringend tierärztliche Hilfe benötigen. „Das Wichtigste bei einer Gemeinschaftspraxis ist, dass man füreinander arbeitet, nicht nur miteinander. Gerade in einem kleinen Team ist es notwendig, dass jeder für jeden da ist und jeder einmal für jeden einspringen kann. Nur so kann die Arbeit reibungslos funktionieren – dann ist es aber auch richtig schön“, erklärt der Veterinärmediziner. 
 

Dass sein Team ausschließlich aus Frauen besteht, stört den Mühlviertler nicht. Er schätzt das Engagement seiner jungen Kolleginnen und ist froh, dass es noch Veterinärmedizinerinnen gibt, die sich für landwirtschaftliche Betriebe interessieren – denn dies ist heutzutage nicht mehr selbstverständlich. Auch für Muxeneder war es anfangs nicht gerade leicht, Tierärztinnen zu finden, die sich auf Nutztiere spezialisiert haben. „Es wird immer schwieriger, Kolleg*innen zu finden, die sich mit Rindern wohlfühlen und sich das auch zutrauen“, erzählt er. 
Eine, die sich in den Großtierbereich gewagt hat, ist Christina Aumüller. Die junge Veterinärmedizinerin ist bereits seit 2017 in der ländlichen Gemischtpraxis von Benedikt Muxeneder tätig und hat sich damals bewusst für eine Anstellung entschieden. „Für mich hat sich die Frage nach der Selbstständigkeit gar nicht gestellt. Nach dem Studium habe ich hier in der Gemischtpraxis Muxen­eder einen Platz bekommen und die Arbeit im Team gefällt mir richtig gut“, erzählt die junge Veterinärin. Dass sie später einmal doch noch eine eigene Praxis eröffnet, kann sich Aumüller nicht vorstellen: Zu viele Vorteile würde das Angestelltenverhältnis bieten. „Gerade in einer Großtier­praxis ist es wichtig, dass man immer erreichbar ist, auch an Wochenenden und an Feiertagen. Das alleine stemmen zu müssen könnte ich mir absolut nicht vorstellen. Aber im Team ist das gut möglich: Man kann sich die Arbeitszeiten aufteilen und hat dadurch eine geregelte Freizeit, und das ist wirklich unendlich viel wert“, erklärt sie. Nichtsdestotrotz scheint es immer weniger Veterinär-Absolvent*innen in den Landtier- und Großtierarztbereich zu verschlagen. Für Christina Aumüller liegt der Grund dafür an den oft unkonventionellen Arbeitsbedingungen: Ständige Ruf­bereitschaft, der Einsatz bei jedem Wetter und die oftmals mangelnde Wertschätzung der Kund*innen sind laut der jungen Tierärztin klare Nachteile, die dieser Bereich mit sich bringt. „Ich glaube deshalb, dass Einzelkämpferpraxen am Land in Zukunft schwierig werden und Gemeinschaftspraxen hier zukunftsträchtiger sein können“, so die Veterinärmedizinerin.

Ob eine Gemeinschaftspraxis in einer ländlichen Region ein mögliches Modell ist, ist laut Aumüller aber wiederum stark von der jeweiligen Nutztierdichte vor Ort abhängig: „Habe ich ein Gebiet, wo es nur wenig Nutztierhaltung gibt, dann kann ich dort auch keine drei bis vier Tierärzte einsetzen. Das ist wirtschaftlich nicht tragfähig“, klärt die Oberösterreicherin auf. Ähnlicher Ansicht ist auch Benedikt Muxen­eder: Gemischt- und Gemeinschaftspraxen sind für ihn das Zukunftsmodell in der veterinärmedizinischen Versorgung am Land, vor allem in nutztierlastigen Regionen. Ob eine Gruppenpraxis möglich ist, hänge aber auch immer von der ansässigen Landwirtschaft ab:  „Nur in einer landwirtschaftlichen Region in der es viele Bauern mit hohem Viehbestand gibt, kann auch eine Gemeinschaftspraxis funktionieren und wirtschaftlich überleben“, so Muxeneder. „In einer Bergbauernregion zum Beispiel, in der es nur kleine Höfe mit wenigen Tieren gibt, wird vom Tierarzt trotzdem ständige Erreichbarkeit erwartet, der Umsatz hingegen wird aber für ein Ärzteteam in einer Gemeinschaftspraxis nicht ausreichen,“  ergänzt der Praxisleiter. Um künftig aber auch in entlegenen Landgebieten die tierärztliche Versorgung gewährleisten zu können, wären laut Muxeneder etwa staatliche Förderungen für die Notdienstversorgung eine vorstellbare Variante. „Ist es etwa als Alleinpraktiker in Randgebieten schwierig, wirtschaftlich zu überleben, könnte man vielleicht mit einem staatlichen Fördermodell helfen; so wie es etwa bereits im humanmedizinischen Bereich bei Notarztdiensten der Fall ist. Das würde meiner Meinung nach viel helfen – und würde auch den Start ins Berufsleben vereinfachen“, gibt der Veterinär aus Oberösterreich zu bedenken. Des Weiteren muss laut Muxeneder aber auch seitens der Landwirte ein Umdenken passieren. „Es sollte den Kunden bewusst sein, dass Notdienste für Notfälle reserviert sind,“ appelliert der Tierarzt. Manchmal komme es nämlich vor, dass Routineeingriffe am Wochenende gewünscht werden, weil es da Landwirten zeitlich besser passt. „Wenn dann aber im Notdienst kranke Tiere warten müssen, weil die diensthabende Kollegin mit Impfungen, Kastrationen oder Trächtigkeitskontrollen beschäftigt ist, läuft etwas schief.“  

Als Selbstständige*r kann man Entscheidungen alleine treffen
Eine, die noch „Alleinkämpferin“ am Land ist und noch ohne Förderungen den Sprung in die Selbstständigkeit gewagt hat, ist Pferdetierärztin Magdalena Wieland. Die junge Salzburgerin sammelte nach ihrem Veterinärmedizin-Studium an der Vetmeduni Wien Praxiserfahrungen in diversen Pferdekliniken in Deutschland und der Schweiz. Vor der Gründung ihrer eigenen Praxis war die junge Tierärztin vier Jahre lang als Assistenztierärztin in einer Pferde­klinik nahe München angestellt. Seit 2021 führt sie nun eine Alleinpraxis in Henndorf bei Salzburg. „Anfangs ist man da sehr unsicher, ob man diese Verpflichtung eingehen soll, ob man sich das zutraut. Man kommt aus einem – in meinem Fall – sehr gut funktionierenden Team und denkt, man ist plötzlich alleine. Man hat auch keine Ausbildung in Richtung Unternehmensführung, Buchhaltung und Steuern, aber das Netzwerk hilft einem sehr, und auch die Salzburger Kolleg*innen unterstützen mich sehr. Mittlerweile haben sich neben der Zusammenarbeit auch Freundschaften entwickelt – das bedeutet mir sehr viel“, erzählt Wieland. Obwohl der Schritt in die Selbstständigkeit nicht leicht war, haben sich für Wieland in den letzten zwei Jahren auch Vorteile einer eigenen (Allein-)Praxis gezeigt: „Man ist beispielsweise für keine Angestellten verantwortlich, somit fällt auch viel Bürokratisches weg und ich kann Entscheidungen alleine treffen“, argumentiert die junge Pferdeveterinärin.

Und dennoch zieht es immer mehr junge Veterinär­mediziner*innen in die Unselbstständigkeit. Vor allem in ländlichen Regionen sind dadurch Engpässe bei der tierärzt­lichen Versorgung keine Seltenheit mehr – alte Veterinäre gehen in Pension, junge Nachfolger*innen fehlen. Ähnlich wie für Christina Aumüller ist dieses Phänomen auch für Wieland auf die ­unkonventionellen Arbeits­bedingungen zurückzuführen, die vor allem für Frauen eine Herausforderung darstellen. „Ein großer Teil der Tierärzt*innen sind Frauen. Da ist eine Allein­praxis am Land schon hinsichtlich Familienplanung kaum machbar und eine große Doppelbelastung. Als schwangere Allein-Tierärztin muss man quasi bis zum Schluss arbeiten. Dazu kommt die Dauererreichbarkeit, worunter auch oft die Freizeit leidet“, zeigt Wieland auf. Auch die häufige Überforderung bei Notdiensten kurz nach Studienabschluss und die damit verbundene notwendige Weiterbildung sowie Spezialisierung stellen für die junge Pferdetierärztin mögliche Gründe für den Mangel an jungen Land- und Großtier­ärzten dar. Das Modell von Gemischt- und Gemeinschaftspraxen ist für die Salzburger Pferdeveterinärin zwar ein durchaus denkbarer Lösungsansatz gegen den Tierärztemangel am Land, jedoch für sie selbst nur bedingt vorstellbar: „Mit den richtigen Personen, die dieselbe Geschäftsphilosophie teilen, wäre eine Gemeinschaftspraxis vorstellbar; dies ist, denke ich, allerdings schwer zu finden. Und eine Gemischt­praxis, etwa zusammen mit einer Kleintierärztin, könnte ich mir eher nicht vorstellen, da ich mich in meiner medizinischen Laufbahn sehr auf Pferde spezialisiert habe und es hier dann etwa mit der gegenseitigen Übernahme von Notdiensten schwierig wäre. Hinzu kommt, dass ich in meiner Gegend ein gutes Netzwerk an Kolleginnen habe und man sich hier gut absprechen kann“, kommentiert die junge Veterinärmedizinerin. 

Lösungsvorschläge gegen den Tierärzt*innenmangel 
Um den Tierärztemangel künftig einzudämmen, gerade im Bereich der Großtiere am Land, bräuchte es laut der Pferdemedizinerin beispielsweise ein breiteres Ausbildungsangebot an der Universität; vor allem im Bereich Unternehmensgründung. „Da es meiner Meinung nach künftig mehr Gemeinschaftspraxen auf Selbstständigenbasis geben wird, wäre es wichtig, angehende Veterinärmediziner*innen auch im Bereich Praxismanagement zu schulen“, appelliert Wieland. Zwar wurde das Angebot in diesem Bereich in letzter Zeit etwa durch Webinare der Tierärztekammer erweitert, dennoch wäre es für sie wichtig, das Thema bereits im Studium mitzutragen. Aber auch die Unterstützung der Frauen wird laut der Salzburgerin künftig ein wichtiger Faktor im Kampf gegen den Tierärztemangel am Land werden. Ein weiterer elementarer Punkt sei zudem die Notdienstregelung für junge Veterinärmediziner*innen: Viele motivierte Uni-Absolvent*innen würden zu schnell in Notdienste gesteckt; diese seien dann überfordert, weil das notwendige medizinische Fachwissen noch fehlt. „Hier muss man junge Tierärzt*innen schützen und nicht einfach ins kalte Wasser stoßen“, argumentiert Wieland. Um den Berufsstand langfristig aufrechterhalten zu können, müsse auf allen Stufen – von der Ausbildung bis hin zum Praxisalltag – angesetzt werden, gibt die Veterinärmedizinerin zu bedenken. 

Welche Arbeits- und Praxismodelle sich letztendlich im Kampf gegen den Tierärztemangel als effektiv erweisen werden, bleibt gegenwärtig noch offen. Einige Tendenzen lassen sich jedoch bereits jetzt erkennen: Neben dem Wunsch nach geregelteren Arbeitszeiten scheinen für praktizierende Tierärzt*innen etwa auch Veränderungen sowohl auf gesetzlicher als auch auf Ausbildungsebene unerlässlich zu sein, um künftig die tierärztliche Versorgung in ländlichen Gebieten langfristig gewährleisten zu können.