Plädoyer

für ein universitäres Großlabor

Ass.-Prof. Dr. Ilse Schwendenwein DECVCP 
Leiterin Plattform Labordiagnostik/Zentrallabor
Veterinärmedizinische Universität Wien

Die Labormedizin ist ein spannendes Metier – sie ist komplex, aber nicht kompliziert. Sie ist interdisziplinär. Speziesübergreifend steht sie in enger Beziehung zur Klinik und erfordert sowohl technischen Sachverstand als auch ein „gutes Auge“ für morphologische Veränderungen.

 

Technologischer Fortschritt, der die Automatisierung und Miniaturisierung von Laborgeräten gefördert hat, bewirkt, dass Untersuchungen nicht mehr nur von dafür speziell ausgebildetem Personal, den biomedizinischen AnalytikerInnen, sondern auch von den niedergelassenen Tierärztinnen und Tierärzten oder deren HelferInnen durchgeführt werden.

Wir „alten Häsinnen und Hasen“ der Generation 50 plus wurden in unserer Ausbildung sehr wohl mit Laborbefunden konfrontiert, die wir gemeinsam mit den Befunden der klinischen Untersuchung interpretieren mussten. Die Durchführung der Tests, deren analytische Konzepte und Spezifikationen wurden, da sie hinter verschlossenen Labortüren stattfanden, kaum diskutiert. Dies ist neben der Verquickung mit Chemie und Statistik einer der Gründe, warum die Labordiagnostik etwas mystifiziert und generell als „kompliziert“ eingestuft wird. Die Industrie bietet immer neue „Zauberkästchen“ an, die in wenigen Minuten Zahlenkolonnen, garniert mit grafischen Interpretationshilfen, produzieren. Und sollten Probleme auftreten, so kann man die Proben an die Referenzlabors der Hersteller senden. TierhalterInnen schätzen und fordern mittlerweile auch den Komfort der „Sofortdiagnostik“.

Warum aber werden diese Geräte an der Universität nur im Notdienst benützt – warum „leistet“ sich die Universität ein Zentrallabor? Tiere haben ein Anrecht auf eine wissenschaftlich fundierte, qualitativ hochwertige medizinische Diagnostik – wir wollen dazu beitragen. Dies ist der erste Satz, den das Team des Zentrallabors in seinem Leitbild formuliert hat. Wir führen kosteneffizient klinisch-chemische, hämatologische, zytologische und molekulardiagnostische Analysen nach standardisierten und validierten Methoden für alle Patienten des Tier­spitals und externe Einsender durch. 

(MArkt-)UNABHÄNGIGE EINRICHTUNG

Wir sind als universitäre Einrichtung unabhängig von Unternehmen, insbesondere von solchen, die TierärztInnen gegenüber als Lieferanten auftreten (z. B. Diagnostika­hersteller). Unter rigorosen Qualitätskontrollkriterien dauert die Bereitstellung der Ergebnisse unter optimalen Bedingungen nur unwesentlich länger als die Analyse mit Schnelltestsystemen. Die Turnaround-Zeit für externe Routinetests beträgt üblicherweise weniger als 24 Stunden. Ein versiertes Team steht den KollegInnen für Fragen (fast) aller Art zur Verfügung. 

Die Verwendung standardisierter, kontrollierter Methoden sichert nicht nur eine optimale Vergleichbarkeit der Analyseergebnisse, sondern verbessert auch die Beurteilbarkeit der klinischen Relevanz von Veränderungen sequenzieller Befunde am einzelnen Patienten. Studien zur Varianzkomponentenanalyse, bei denen die sogenannten kritischen Differenzen ermittelt werden, sind einer unserer Arbeitsschwerpunkte. Die kritische Differenz ermöglicht bei der Beurteilung sequenzieller Laborbefunde eine bessere Einschätzung, ob die Größenordnung der Veränderung eines Testergebnisses tatsächlich auf eine Veränderung in der Homöostase des Patienten zurückzuführen ist oder ob sie durch die intraindividuelle oder methodenbedingte Varianz verursacht wird.1 

Die wissenschaftliche Dienstleistung im Rahmen der diagnostischen Abklärung der Patienten des Tierspitals dient nicht nur dem Wohl unserer Patienten, die Verknüpfung der Daten der Labortestergebnisse mit den klinischen Patientendaten ermöglicht auch eine Beurteilung der diagnostischen Sensitivität und Spezifität der verschiedenen Tests. 

Dadurch ist es möglich, standardisierte Diagnoseverfahren, die auch eine auf den Patienten maßgeschneiderte Therapie ermöglichen, zu entwickeln. Diesem Thema wird vor allem in der hämatoonkologischen Diagnostik, die einen Schwerpunkt und ein Alleinstellungsmerkmal unserer Einheit darstellt, Rechnung getragen.

 
FAchübergreifende Bandbreite

Die erfolgreiche interdisziplinäre Zusammenarbeit mit dem Institut für Immunologie (Vorstand: Prof. Dr. Armin Saalmüller) und dem Institut für Pathologie (Vorstand: Prof. Dr. Herbert Weissenböck) sowie der Plattform für Radioonkologie und Nuklearmedizin der -universitären Kleintierklinik (Vorstand: Prof. Dr. Iwan Burgener; Abteilungsleiterin: Prof. Dr. Miriam Kleiter) ermöglicht es uns, Immunphänotypisierungen und Klonalitätstests für Hunde und Katzen zur Diagnostik hämatologischer Tumorerkrankungen nach neuesten wissenschaftlichen Gesichtspunkten zu erschwinglichen Preisen anzubieten. 

Im Rahmen der vorgelagerten Forschungsarbeiten wurde unter anderem eine canine B-Zelllinie etabliert, die für Forschungszwecke etwa zur Entwicklung von Zytostatika genutzt werden kann.2 Im Rahmen der Standardisierung der Immunphänotypisierungsverfahren wurden auch Referenzwerte für Lymphozytensubsets unveränderter Hundelymphknoten etabliert.3 Auch die Entwicklung der Klonalitätstests wurde publikatorisch erfolgreich verwertet.4, 5 

Einen weiteren Schwerpunkt stellt die Etablierung von Referenzwerten und neuen Diagnoseverfahren dar.6–8 

Die Verknüpfung der klinischen Daten unserer Patienten mit Labortests ist eine einmalige Konstellation, die nur an Universitäten verfügbar ist. Damit können nicht nur große Patientenkollektive untersucht, sondern auch erstklassiges Lehrmaterial zur Ausbildung der Studierenden des Grundstudiums, aber auch für die postgraduale Fortbildung generiert werden.

Wie daraus hervorgeht, gehört zu den Aufgaben des -Zentrallabors nicht nur die diagnostische Dienstleistung, sondern auch die forschungsgelenkte Lehre. Der rasanten Entwicklung im diagnostischen Bereich wird im neuen Curriculum durch die Einführung eines bereits im ersten Semester beginnenden Laborkurses Rechnung getragen, der den Studierenden Gelegenheit gibt, Labortechniken, die in jeder modernen Praxis zur Verfügung stehen müssen, zu erlernen und zu üben. Die Inhalte werden interdisziplinär verschränkt und vor allem im Hinblick auf ihre praktische Relevanz aufeinander abgestimmt, sodass Grundlagenfächer wie die medizinische Chemie und Physik ihren „Schrecken“ verlieren. Darüber hinaus sollen Verständnis und Interesse für die Komplexität moderner diagnostischer Verfahren und deren kritische Beurteilung gebildet und gefördert werden. Nicht zuletzt soll dadurch der Grundstein für Freude an lebenslangem Lernen, das langfristig gesehen auch die Freude an der beruflichen Tätigkeit erhält, gelegt werden. 

One-Health-Konzept

Die Beschäftigung mit Haus-, Heim- und Wildtieren sowie Exoten ist ein weiterer Aspekt, der die Spezialisierung auf dem Gebiet der Labordiagnostik, die im anglo-amerikanischen Raum als „Clinical Pathology“ bezeichnet wird, so interessant macht. Kenntnisse und Bewusstsein für speziesspezifische Unterschiede in Anatomie, Physiologie und Pathophysiologie stellen eine leider vielfach unterschätzte Besonderheit unserer tierärztlichen Qualifikation dar, denen im Rahmen des One-Health-Konzepts aber immer mehr Bedeutung zukommt. Dieses Spezifikum sollte trotz aller Spezialisierungen im Auge behalten und gefördert werden. Unser gesamter Bereich, bestehend aus Dienstleistung, Lehre und Forschung, wird seit 2003 mithilfe eines nach ISO 9001: 2008 zertifizierten Managementsystems weiterentwickelt. Wir sind seit 2005 ein akkreditiertes Trainings-labor des European College of Veterinary Clinical Pathology und bieten in diesem Spezialgebiet auch ein akkreditiertes Residency-Training an. Mit dem geplanten Neubau der Kleintierklinik möchten wir zukünftig ein Visiting-Vet-Programm anbieten, bei dem unsere große Präparatesammlung der interessierten Kollegenschaft zum Selbststudium mit begleitenden Tutorials gegen Entgelt zugänglich gemacht werden soll. 

Bis dahin freuen wir uns über den Austausch mit den niedergelassenen KollegInnen im Rahmen unserer Dienstleistungen und der postgradualen Fortbildungsveranstaltungen. 

Die Anregungen, die wir aus den Diskussionen für unsere Arbeit gewinnen, sind von unschätzbarem Wert – dafür möchte ich abschließend allen Kolleginnen, Kollegen sowie Studierenden und TierhalterInnen danken.

1 Pagitz, M., F. Frommlet, and I. Schwendenwein, Evaluation of Biological Variance of Cystatin C in Comparison With Other Endogenous Markers of Glomerular Filtration Rate in Healthy Dogs. Journal of Veterinary Internal Medicine, 2007. 21(5): p. 936–942.

2 Rütgen, B. C., et al., Establishment and characterization of a novel canine B-cell line derived from a spontaneously occurring diffuse large cell lymphoma. Leukemia Research, 2010. 34(7): p. 932–938.

3 Rütgen, B. C., et al., Composition of lymphocyte subpopulations in normal canine lymph nodes. Veterinary Clinical Pathology, 2015. 44(1): p. 58–69.

4 Hammer, S. E., et al., Characterization of a PCR-based lymphocyte clonality assay as a complementary tool for the diagnosis of feline lymphoma. Veterinary and Comparative Oncology, 2016: p. n/a–n/a.

5 Gress, V., et al., Characterization of the T-cell receptor gamma chain gene rearrangements as an adjunct tool in the diagnosis of T-cell lymphomas in
the gastrointestinal tract of cats. Research in Veterinary Science, 2016.
107 (Supplement C): p. 261–266.

6 Leidinger, E. F., et al., Application of the ASVCP guidelines for the establishment of haematologic and biochemical reference intervals in Icelandic horses in Austria. Acta Veterinaria Scandinavica, 2015. 57(1): p. 30.

7 Scope, A., I. Schwendenwein, and G. Schauberger, Plasma Exogenous Creatinine Excretion for the Assessment of Renal Function in Avian Medicine – Pharmacokinetic Modeling in Racing Pigeons (Columba livia). Journal of Avian Medicine and Surgery, 2013. 27(3): p. 173–179.

8 Scope, A., I. Schwendenwein, and G. Schauberger, Characterization and quantification of the influence of season and gender on plasma chemistries of Hermann’s tortoises (Testudo hermanni, Gmelin 1789). Research in Veterinary Science, 2013. 95(1): p. 59–68.