Bettina Kristof
Ausgabe 10/2023
Die Veterinärmedizin hat in den letzten Jahren große Fortschritte in der Behandlung von Krebserkrankungen bei älteren Tieren, insbesondere bei geriatrischen Hunden und Katzen, gemacht. Eine vielversprechende Entwicklung in der geriatrischen Onkologie ist die sogenannte „metronomische Chemotherapie“: Im Gegensatz zur klassischen Chemotherapie, die den Tumor direkt angreift, zielt die metronomische Chemotherapie darauf ab, die Tumorumgebung so zu beeinflussen, dass das Gefäßwachstum und das Tumorwachstum selbst gehemmt werden.
Dieser Ansatz kann nicht nur die Nebenwirkungen der Behandlung reduzieren, sondern auch die Wirksamkeit erhöhen. Darüber hinaus widmen sich vermehrt Studien und Dissertationen der Erforschung natürlicher Wirkstoffe gegen Tumorerkrankungen, wie etwa jener der sogenannten Weißbeerigen Mistel. Die aus der Pflanze gewonnene Substanz hat sich laut einer wissenschaftlichen Untersuchung im Zuge einer Dissertation als vielversprechend in der Unterstützung der Immunabwehr und der Hemmung von Tumorwachstum gezeigt. Die Integration von natürlichen Therapien in die Onkologie bei älteren Tieren könnte so die Behandlungsoptionen erweitern und die Lebensqualität der vierbeinigen Patienten verbessern.
So ist es nicht verwunderlich, dass auch die physikalische Medizin zunehmend in den Fokus der veterinärmedizinischen Onkologie rückt. Die gezielte Anwendung von physiotherapeutischen Maßnahmen kann bei Krebspatienten sowie bei geriatrischen Onkologiepatienten etwa laut der deutsch-österreichischen Veterinärmedizinerin Kathleen Wittek eine wichtige Rolle bei der Schmerzlinderung und der Verbesserung der Lebensqualität spielen. Die zertifizierte Veterinär-Chiropraktikerin widmet sich an der Veterinärmedizinischen Universität Wien unter anderem neuen Ansätzen für Therapiemöglichkeiten in der physikalischen Medizin und ist von der positiven Wirkung auf Krebspatienten überzeugt. „Onkologische Erkrankungen und deren Therapie können sehr energieraubend für den Körper sein: Die Patienten verlieren Ausdauer und Kraft und damit Fähigkeiten, ihren Alltag zu meistern. Auch Amputationen sind ein Problem – sie sind zwar immer seltener nötig, stellen aber doch eine große Herausforderung für das Tier im Alltag dar. All das sind Einsatzgebiete der physikalischen Medizin, um dem Patienten die Mobilität und Ausdauer zurückzugeben, die er durch die Krankheit verloren hat“, argumentiert Dr. Wittek.
Insbesondere für geriatrische Krebspatienten könnten physiotherapeutische Begleittherapien ein wichtiger Aspekt sein. Oft verlieren diese Patienten schnell an Muskelmasse, wodurch ihr erkrankter Körper zusätzlich geschwächt wird. Eine gezielte Physiotherapie könnte hier etwa dazu beitragen, die Muskelmasse zu erhalten oder wiederaufzubauen, um die allgemeine Gesundheit und Lebensqualität der Tiere zu verbessern. „Nebenwirkungen, die sich in Schwäche widerspiegeln, kann man sehr gut mit der physikalischen Therapie begegnen. Sanftes Mobilisieren und aktives Bewegen, sodass die Tiere dabei Freude haben, ist eine der besten Möglichkeiten, in den normalen Alltag zurückzufinden“, ist sich Dr. Wittek sicher. Laut der zertifizierten Veterinär-Chiropraktikerin ist eine die besten schmerztherapeutischen Methoden die Bewegung: „Bewegung aktiviert die propriozeptiven Rezeptoren und damit die sensiblen aufsteigenden Nervenbahnen. Sind diese aktiv, verhindern beziehungsweise senken sie die Weiterleitung von Impulsen der Schmerzrezeptoren, indem sie deren Umschaltung im Rückenmark blockieren“, gibt die Veterinärmedizinerin zu bedenken. Zudem können physiotherapeutische Maßnahmen Stress und Ängste abbauen und so das psychische Wohlbefinden der krebskranken Tiere steigern.
Trotz des vielseitigen Potenzials, das die physikalische Tiermedizin bietet, ergeben sich aber auch Herausforderungen in der Durchführung therapeutischer Maßnahmen. Spezielle Herausforderungen stellen laut Dr. Wittek etwa oft die Kontraindikationen vieler Therapiemöglichkeiten dar: „Eine Schmerztherapie in der physikalischen Medizin kann mithilfe vieler verschiedener Modalitäten, etwa TENS und Lasertherapie, durchgeführt werden. Viele dieser Modalitäten dürfen aber bei Patienten mit Tumorerkrankungen nicht oder nur sehr eingeschränkt verwendet werden. Zudem kann es vorkommen, dass der Patient bestimmte Methoden im Moment nicht toleriert, was eine Anpassung der Therapie erfordert“, erläutert die Veterinärin für physikalische Medizin. Eine weitere Hürde, die dem Einsatz von Physiotherapie als geltender Begleittherapie bei Onkologiepatienten, insbesondere bei geriatrischen Krebspatienten, entgegensteht, ist der Mangel an wissenschaftlich fundierten Untersuchungen zu diesem speziellen Bereich der physikalischen Tiermedizin. Grundsätzlich lassen sich laut Dr. Wittek hier aber sehr gut Erkenntnisse aus der Humanmedizin für die veterinärmedizinische Physiotherapie ableiten. „Es gibt in der Humanmedizin eine Vielzahl von Studien, die sich mit der begleitenden physikalischen Therapie bei Krebspatienten beschäftigen. Diese reichen vom bereits erwähnten Symptom der krebsbedingten Erschöpfung über die Therapie von Lungenkrebspatienten bis hin zu Behandlungen für Patienten mit Knochentumoren und vielem mehr“, so Dr. Wittek von der Veterinärmedizinischen Universität Wien.
Zwar dienen Forschungsprojekte aus der Humanmedizin als wichtiger Orientierungspunkt in der physikalischen Tiermedizin, jedoch braucht es in der veterinären Physiotherapie oft individuell angepasste Ansätze aufgrund der spezifischen Bedürfnisse und Unterschiede zwischen den Tierarten. „Kein Patient ist wie der andere. Alle haben, auch bei gleicher medizinischer Diagnose, einen unterschiedlichen Ausgangspunkt, von dem wir starten. Kondition, Alter und Können – Stichwort Familienhund versus Sporthund –, aber auch die psychische Verfassung spielen eine große Rolle bei der Auswahl der Therapien. Daher wird für jeden Patienten ein individueller Therapieplan erstellt“, so die aus Deutschland stammende Veterinärin. Für eine erfolgreiche Therapie sei es für Tierärzt*innen ratsam, eine physiotherapeutische Zusatzausbildung zu absolvieren; dies biete laut Dr. Wittek erhebliche Vorteile bei der Betreuung von tierischen Krebspatienten. Geplante oder bereits durchgeführte Therapien und zusätzliche Probleme, die während der Therapie auftreten können, können so besser eingeschätzt werden. „Tierärzt*innen der physikalischen Medizin verbringen oft viel Zeit mit den Tieren und ihren Besitzer*innen und können so wichtige Einblicke gewinnen, die zur Verbesserung der Versorgung beitragen können“, kommentiert die Veterinär-Chiropraktikerin. Die gewonnenen Erkenntnisse der Tierärzt*innen seien vor allem auch in Hinblick auf die Forschung im Bereich der veterinärmedizinischen Physiotherapie für Krebspatienten elementar, denn laut Dr. Wittek ist die Etablierung von Forschungsprojekten, die beide Fachgebiete (Onkologie und physikalische Medizin) verbinden, sehr schwierig. Um valide Aussagen treffen zu können, sei eine Vielzahl an Patienten mit gleichartigen Problemen und gleicher Therapie nötig. „Das gestaltet sich bei der Vielzahl der onkologischen Erkrankungen und der verschiedenen Therapiemöglichkeiten in Verbindung mit der sehr individuellen Therapie in der physikalischen Medizin schwierig“, ergänzt Dr. Wittek.
Generell haben neue Therapieansätze wie etwa die Integration von Physiotherapie in der veterinärmedizinischen Onkologie das Potenzial, die Lebensqualität dieser Tiere erheblich zu steigern. Arbeiten Tierärzt*innen und Physiotherapeut*innen weiterhin gemeinsam daran, individuelle Behandlungspläne zu entwickeln, die auf die Bedürfnisse jedes einzelnen Patienten zugeschnitten sind, kann dieser multidisziplinäre Ansatz dazu beitragen, dass geriatrische Tiere trotz einer Krebserkrankung ein erfülltes und schmerzfreies Leben führen können.