Notwendigkeit und Nutzen

der regelmäßigen Korrektur von Pferdezähnen

Mag. Susanne Brandstötter-Zeitlinger
Tierärztin, Bioresonanztherapeutin

Korrekturmaßnahmen an Pferdezähnen sind keine Modeerscheinung der heutigen Zeit, sondern werden schon seit Hunderten von Jahren als wichtiger Bestandteil der gesundheitlichen Fürsorge durchgeführt.

Ein hoher Prozentsatz klinisch unauffälliger Pferde zeigt bei der Untersuchung der Maulhöhle Behandlungs­bedarf1. Die Notwendigkeit einer jährlichen Zahnkontrolle wird häufig unterschätzt. Dieser Artikel erläutert, dass eine professionelle Zahnbehandlung mit dem Ziel des ausbalancierten Gebisses für das Pferd und dessen Reiter/Fahrer gleichermaßen von Vorteil ist.

Die ungleichmäßige Abnützung des Pferdegebisses hat sowohl anatomische als auch biomechanische Hintergründe. Generell kann das Maul als Dreh- und Angelpunkt der Biomechanik angesehen werden: Das Genick entspannt sich beim Kauen (dorsal) und die ventrale Muskelkette mobilisiert Kiefergelenk und Zungenbein (ventral). Durch frühzeitiges Erkennen von Erkrankungen kann bereits vor dem Auftreten klinischer Symptome eine geeignete Behandlung eingeleitet werden. Weiters verhilft die regelmäßige Zahnprophylaxe zu einer besseren Lebensqualität mit mehr Komfort, einer besseren Futterverwertung und einer höheren Lebenserwartung. Wie alle Säugetiere besitzen auch Pferde vier verschiedene Zahntypen: zwölf Incisivi, eventuell vier Canini, zwölf bis 16 Prämolaren, zwölf Molaren. Die hypsodonten Zähne der Pferde schieben sich fast über die gesamte Lebensdauer mit einer Geschwindigkeit von zwei bis drei Millimetern pro Jahr aus dem Zahnfach hervor. Die Zahnreihen im Ober- und ­Unterkiefer sind nur im Bereich der Incisivi kongruent. Die Okklusions­fläche der Molaren ist von lingual nach bukkal abfallend 10 bis 15 Grad geneigt. Dieser Winkel findet sich sowohl in den Kiefer­gelenkanteilen als auch bei den Gaumenstaffeln wieder. Der Kauvorgang ist ein sich wiederholendes Muster einer seitlichen Auslenkung der Mandibula, die eine elliptische Bewegung vollführt. Wie aus einer Studie mit über 400 Pferden hervorgeht, kauen circa 90 Prozent der Pferde ihr Futter einseitig2.

Das Temporomandibulargelenk ist ein verhältnismäßig großes synoviales Gelenk, das mit dickem intraartikulärem Diskus circa 15 cm über der Okklusionsebene liegt und über relativ weite seitliche und leicht rostrokaudale Bewegung verfügt. Aufgrund seiner großen Beweglichkeit kann es sich an Zahnanomalien sehr gut anpassen. Diese kompensatorische Tätigkeit bewirkt jedoch Verspannungen der Muskulatur und eine Überbeanspruchung des Atlantooccipital­gelenks inkl. cranialer HWS und Zungenbein3.

Alter, Rasse und etwaige Anomalien können eine erhöhte Kontrollfrequenz nötig machen

Jungpferde unter fünf Jahren haben die größten Veränderungen in ihren Kiefern, denn 24 Milchzähne fallen aus und 36 bis 44 bleibende Zähne brechen während einer ­Lebensphase, in der die Grundausbildung und die Gewöhnung an die ­Trense erfolgen, durch. Adulte Pferde oder Sportpferde können durch Zahnanomalien starke Auswirkungen auf Verhalten und Leistung zeigen. Bei geriatrischen Patienten finden sich häufig Zahnerkrankungen, Zahnfrakturen, Stufen- oder Wellengebisse, Erkrankungen des Periodontiums sowie zusätzlich systemische Krankheitsbilder. Rasse­spezifische Häufungen von Zahnanomalien sieht man bei Kaltblütern, arabischen Rassen und Miniaturpferden, welche trotz eines deutlich kleineren Kopfs beinahe gleich große Zähne wie Großpferde haben4.

Eine Perfekte Kiefer-Zahn-verbindung ist für die gesamte Balance und Leistungsfähigkeit des Pferdes notwendig

Regelmäßige Zahnbehandlungen sichern ein leistungsfähigeres Pferd, das unter fachkundigem Training losgelassen ist und mehr Schwung entwickeln kann. Losgelassenheit bedeutet innere Ruhe, Zwanglosigkeit und eine geschmeidig arbeitende Muskulatur – also ein Zustand, der ein Pferd ohne negative Spannungen aktiv werden lässt. Man erkennt dies unter anderem an einer regen Maul­tätigkeit mit ­guter Speichelproduktion, die aufgrund einer leckenden, fast saugenden Zungenbewegung entsteht5. Das harmonische Miteinander von Mensch und Pferd wird maßgeblich unterstützt und Trainer können im Anschluss an eine Zahn­behandlung eine verbesserte Reaktion auf das Trensen­gebiss feststellen6.

Worauf sollte der Pferdehalter achten?

Hinweise auf Zahnprobleme können sich für den Besitzer aus der Rittigkeit ergeben. Bereits kleine Veränderungen am Pferdegebiss können Verspannungen der Zungenbeinmuskulatur bewirken und sich so negativ auf das Gleich­gewichtsorgan und die Balance des Pferds auswirken7. Hierzu zählen unter anderem Sich-gegen-das-Gebiss-Wehren, Stellungsprobleme, Unsicherheiten am Sprung oder allgemein ungenügendes Annehmen von Zügelhilfen. Ebenso ist auch der Allgemeinzustand ein gutes Hinweiskriterium: Schlechter Ernährungszustand, stumpfes Fell sowie Muskelverspannungen im Hals und Rücken sollten die Notwendigkeit einer Maulhöhlenuntersuchung klar erkennen lassen. Bei Krankheitszeichen wie üblem Maulgeruch, Verletzungen an Lippe, Zunge oder Backe, grobfaserigem Kot sowie Neigung zu Schlundverstopfungen und Koliken denken viele Pferde­halter daran, eine Untersuchung der Zähne vornehmen zu lassen.

Anforderungen an die optimale Behandlung

Die Arbeitsweise des Tierarztes ist entscheidend, denn ein positiver und ruhiger Umgang mit den Pferden reduziert das Stressrisiko und ein Überreagieren der Tiere8. Am Beginn steht die Befundaufnahme, wobei vor allem der Überprüfung der Beweglichkeit des Temporomandibulargelenks höchste Aufmerksamkeit gewidmet wird, indem man die Mandibula nach rechts und links verschiebt, um am 101 und 201 zu sehen, wann sich oberer und unterer Backenzahn berühren9. Eine adäquate Untersuchung der Maulhöhle und Zähne ist am besten am sedierten Pferd möglich. Mittels digitaler Palpation, Visus mit guter Lichtquelle, einem Zahnspiegel und Maulgatter werden die Befunde der Zahnreihen und Weichteile erhoben und dokumentiert.

Im Rahmen der Korrektur wird die Länge der Incisivi in Relation zur Molarhöhe beurteilt und angepasst, wobei handwerkliche Erfahrung und Feingefühl vorteilhaft sind.

Neben dem tierärztlichen Fachwissen über Anatomie, ­Physiologie, Biomechanik und Fütterung, gepaart mit diagnostischen, mechanischen und chirurgischen Fähigkeiten, muss der Tierarzt die Grundprinzipien der Reiterei ebenso wie die Wirkungsweise und Verwendung von Gebissen, Zaumzeugen und Zubehör verstehen. Denn es gilt nicht nur, die optimale medizinische Versorgung zu gewährleisten, sondern auch, auf die Belange der Besitzer bezüglich der Leistung ihrer Pferde eingehen zu können.

Erfahrungen aus der eigenen Praxis

Den Pferdebesitzern fehlt es oft an Wissen um den richtigen Zeitpunkt für eine Zahnbehandlung. Vielfach herrscht die Meinung, dass, solange die Futteraufnahme ungestört ist, auch der Kauapparat und die Zähne in Ordnung ­seien. Aus diesem Grund hat sich die unmittelbare Termin­empfehlung für den nächsten Folgetermin bewährt.

Die Tätigkeit des Zähneschleifens ist körperlich sehr anspruchsvoll. Um nicht frühzeitig zu ermüden oder schmerzhafte Verspannungen zu erleiden, braucht es einen achtsamen Umgang mit sich selbst. Für die ergonomisch beste Körperhaltung hat sich für die Autorin der körperorientierte Wahrnehmungsunterricht Alexandertechnik sehr bewährt. Diese Schulungsimpulse10 haben sich in mehrfacher Hinsicht als hilfreich erwiesen und bewirken, dass man selbst mehr Wohlbefinden hat, Schmerzen vermieden werden und man eine qualitativ hochwertigere Behandlung durchführen kann.

Ob Probleme im Maulbereich rechtzeitig erkannt werden und eine korrekte Behandlung eingeleitet wird, hängt neben vielen Faktoren des Patienten (Alter, Nutzung, Fütterung, Wettbewerbsniveau, Temperament …) maßgeblich von Ausbildungsstand und Erfahrung des Reiters/Fahrers ab. Unabhängig davon wird die Bedeutung der Zahn­behandlung auch in erfahrenen Reiterkreisen häufig nicht erkannt. Es bedarf daher einer umfassenden Aufklärung, um diesen Umstand im Sinne der Pferde zu verbessern.

Quellen

1 Peters et al. Survey of Common dental abnormalities in 438 Horses in the Netherlands. In: AAEP Focus Meeting 2006.

2 Baker et al. Equine Temporomandibular Joints (TMJ): Morphology, Function and Clinical Disease, In: Proceedings of the annual Convention of the AAEP, 2002.

3 Kleven, H. Biomechanik und Physiotherapie für Pferde, 2010.

4 Allen, T. Manual of equine dentistry, 2003.

5 Heuschmann, G. Balanceakt. Wie Pferde geritten werden müssen, damit sie gesund bleiben, 2011.

6 Baker et al. Zahnheilkunde in der Pferdepraxis, 2007.

7 Kleven, H. Biomechanik und Physiotherapie für Pferde, 2010.

8 Zeitlinger, S. Der Umgang mit dem Pferd in der tierärztlichen Praxis und seine Auswirkungen auf die Behandlungssituation, 2010.

9 Rucker, B. Utilising Cheek Teeth Angle of Occlusion to Determine Length of Incisor Shortening, In: Proceedings of the Annual Convention of the AAEP, 2002.

10 Mag. U. Zidek-Etzlstorfer: Consulting/Coaching/Alexandertechnik, www.succease.at