Dr. Astrid Nagl
Ausgabe 07-08/2023
Mag. Daniela Huemer von der Tierklinik Schwarzmann in Vorarlberg spricht über Diagnostik und Therapie dieser Erkrankung, die vor allem Widderkaninchen große Probleme bereitet.
Bei einem Kaninchen, das Kopfschiefhaltung zeigt oder Schmerzen beim Kauen hat, denken wir vielleicht eher an eine Infektion mit E.-cuniculi oder einen Zahnwurzelabszess als an eine Otitis. Wie oft sind denn überhaupt die Ohren die Ursache solcher Symptome?
Otiden kommen bei Kaninchen häufig vor. Oft ist die Diagnose Otitis auch Zufallsbefund - zum Beispiel wird ein Röntgen des Schädels durchgeführt und dann festgestellt, dass die Bulla tympanica verschattet ist. Auch bei neurologischen Symptomen wie etwa einer Kopfschiefhaltung sollten wir immer an eine Otitis denken: Sie ist die wichtigste Differenzdiagnose bei Verdacht auf eine E.-cuniculi-Infektion! Viele Tiere zeigen kaum oder nur unspezifische Symptome, obwohl das Ohr außen sichtbar entzündet ist, machmal eitriges Sekret sogar schon herausrinnt. Andere Ohrenerkrankungen wie Bissverletzungen oder Räudemilben sehe ich seltener.
Die klinische Untersuchung sollte also immer auch die Ohren mit einschließen?
Ja, unbedingt - nicht das Otoskop vergessen! Bei Widderkaninchen besteht eine Prädisposition für Ohrenerkrankungen aufgrund der Hängeohren. Sie haben einen besonders engen Gehörgang, der abgeknickt und schlecht belüftet ist. Dadurch kommt es zu einem Cerumenstau; das Ohr kann sich nicht selbst reinigen, entzündet sich, das kann im schlimmsten Fall ins Mittelohr übergehen. Bei dieser Rasse würde ich immer auch den Ohrgrund palpieren: Im Fall einer auralen Divertikulose sammelt sich dort Cerumen und/oder Eiter. Die Schwellung ist auch von außen sichtbar, wenn man gezielt ausrasiert.
Gibt es auch Verhaltensänderungen, die auf eine Otitis hindeuten können?
Bei der DIagnostik ist eine genaue Anamnese hilfreich. Wir können den Besitzer*innen gezielte Fragen stellen: Hatte das Kaninchen kürzlich Schnupfen? Oft führt eine aufsteigende Infektion zu einer Otitis media. Hört das Tier schlechter, ist es schreckhafter als früher oder kopfscheu? Putzt das Partnertier dem Kaninchen intensiv ein oder beide Ohren?
Worauf können wir bei der klinischen Untersuchung noch achten?
Bei der Adspektion der Backenzähne kann auffallen, dass sie einseitig weniger abgenutzt werden - das Tier kaut auf der betroffenen Seite nicht, weil es Ohrenschmerzen hat. Auch eine neurologische Untersuchung würde ich immer durchführen, und dabei besonders auf die Kopfnerven achten: Gibt es Anzeichen für eine Fazialislähmung infolge der Otitis? Oft sind gerade die neurologischen Symptome dezent - und damit leicht zu übersehen.
Wie gehen Sie bei Verdacht auf eine Otitis weiter vor?
Zuerst schaue ich mir das Sekret zystologisch an, um unterscheiden zu können, ob es sich um Cerumen oder Eiter handelt. Danach würde ich im Optimalfall gleich eine bakteriologische Untersuchung machen und die Erstellung eines Antibiogramms veranlassen. Ein Röntgen ist auf jeden Fall sinnvoll, aber eine Otitis media kann dadurch nicht immer eindeutig ausgeschlossen werden. Der Goldstandard wäre ein CT. Spätestens hier kommt aber für viele Besitzer*innen der Kostenfaktor ins Spiel.
Wie können wir die Besitzer*innen gerade bei Tieren, die vermeintlich keine Probleme haben, davon überzeugen, dass weitere Diagnostik notwendig ist?
Hier sind wir Tierärzt*innen gefragt und können durch eine gute Beratung viel für das betroffene Kaninchen erreichen. Im Besitzer*innengespräch ist es wichtig, auf die Schmerzhaftigkeit dieser Erkrankung hinzuweisen. Wer selbst schon einmal eine Ohrenentzündung hatte, weiß, wie weh das tut!
Welche therapeutischen Möglichkeiten gibt es?
Bei der Erstmedikation steht die Analgesie im Vordergrund. Vorsicht - nicht zu niedrig dosieren! Ich gebe zum Beispiel Meloxicam in einer Dosierung von mindestens 0,5mg/kg. Bei einer Otitis media und einer Kontaktur der Gesichtsmuskulatur muss man von einem hochgradig schmerzhaften Zustand ausgehen, dann kann zusätzlich auch eine Kombination verschiedener Analgetika erwogen werden, etwa Novalgin und Opioide.
Geht es auch konservativ oder muss in jedem Fall operiert werden?
Bei Stehorhren können Otitiden mit einer guten analgetischen Versorgung, Mukolytika, systemischer und lokaler Antibiose über einen längeren Zeitraum durchaus auch ausheilen. Ohrspülungen werden kontrovers diskutiert; sie sollten in Sedierung und nur sehr vorsichtig durchgeführt werden, um das Trommelfell zu schützen. Danach kann man den Besitzer*innen einen Ogrreiniger und lokale Antibiose mitgeben. Das Vorgehen sollte immer individuell vom jeweiligen Fall abhängig gemacht werden.
Bei den betroffenen Widderkaninchen ist die Otitis im Grunde eine chronische Erkrankung...
Leider ja. Generell ist es bei dieser Rasse frustrierend, weil wir es mit einem chronischen Krankheitszustand z utun haben, ähnlich wie bei brachycephalen Hunderassen. Daher rate ich Interessierten vom Kauf eines Widderkaninchens ab. Diese Tiere gelten als besonders ruhig und gelassen - vielleicht, weil sie unter chronischen Ohrenschmerzen leiden? Ich finde, als Tierärzt*innen sollten wir hier die Besitzer*innen sensibilisieren, auf das Problem aufmerksam machen!
Ist bei Widderkaninchen prinzipiell eine OP anzuraten?
Mit konservativen Therapieversuchen habe ich bei Widderkaninchen schlechte Erfahrungen. Liegt eine aurale Divertikulose oder chronische Otitis externa vor, empfehle ich laterale Gehörgangserweiterung respektive Ablation. Diese OP wäre auch als Prophylaxe denkbar. Im Falle einer Otitis media kann zusätzlich eine Bullaosteotomie durchgeführt werden. Das kommt für viele Besitzer*innen aber nicht infrage - die OP ist kostenintensiv, man muss mit einer langen Heilungsphase rechnen, Rezidive kommen leider häufig vor. Die Wunde muss zu Hause gepflegt und gereinigt werden, es ist also eine hohe Besitzer*innen-Compliance nötig. Diese sind aber oft schon mit der Medikamtentengabe und dem Zufüttern sehr gefordert...
Sind Otitiden auch bei anderen kleinen Heimtieren ein Thema?
Bei Meerschweinchen werden Otitiden auch immer wieder als Zufallsbefund festgestellt, bei anderen Kleinsäugern sind sie selten - aber vielleicht, weil man nicht danach sucht?