Dr. Henrik Brumm*
Max-Planck-Institut für Ornithologie, Seewiesen
Ausgabe 11/2019
Lauter Verkehr stört normale Stressreaktionen und verzögert das Wachstum von Zebrafinken.
Lärm macht krank – dies gilt nicht nur den Menschen: Der Gesundheit von Zebrafinken und dem Wachstum ihrer Küken schadet chronischer Verkehrslärm ebenfalls. Einer Studie von Forschern und Forscherinnen des Max-Planck-Instituts für Ornithologie in Seewiesen zufolge unterdrücken Straßengeräusche den Anstieg von Stresshormonen im Blut der Vögel; vermutlich, um die negativen Konsequenzen von chronisch hohen Pegeln auf den Organismus zu vermeiden. Die Küken der Finken entwickelten sich zudem während der ersten Lebenstage langsamer, wenn sie in einem lauten Nest aufgezogen wurden.
Die Auswirkungen von Lärm auf die Gesundheit von Tieren sind bislang wenig bekannt. Bisherige Studien, zum Beispiel mit Singvögeln, haben sich auf Phänomene wie diesfalls etwa den Gesang der Tiere konzentriert. Um die Straßengeräusche zu übertönen, singen Vögel beispielsweise lauter und zu anderen Zeiten.
Ein Forschungsteam des Max-Planck-Instituts für Ornithologie in Seewiesen unter der Leitung von Henrik Brumm hat nun untersucht, wie sich Lärm auf den Stresshormonspiegel, die Gesundheit und den Fortpflanzungserfolg von Zebrafinken auswirkt. Die Forscher ließen je eine Gruppe von Zebrafinkenpaaren in ruhiger und in lauter Umgebung brüten. Der zweiten Gruppe spielten sie während der gesamten Brutzeit tagsüber den Verkehrslärm von mehrspurigen Münchner Straßen vor. Auch nachts hörten die Vögel die Straße, dann allerdings den ruhigeren nächtlichen Verkehr.
Einige Zeit nach dem Ende der ersten Jungenaufzucht wechselten die Lärmbedingungen für die Gruppen und dieselben Elterntiere brüteten erneut. Die Wissenschaftler bestimmten bei den Elternvögeln die Menge des Stresshormons Kortikosteron im Blut jeweils vor, während und nach der Brutzeit. Außerdem maßen sie die Immunfunktion, den Fortpflanzungserfolg sowie die Wachstumsraten der Küken.
Auf das Immunsystem der Elterntiere hatte die Beschallung keinen Einfluss. Chronischem Verkehrslärm ausgesetzte Zebrafinken hatten jedoch während des Brütens weniger Stresshormone im Blut als jene Tiere, die ihre Jungtiere in ruhiger Umgebung aufzogen. Das ist überraschend, da Stress oft zu einer höheren Konzentration von Kortikosteron führt, denn das Hormon hilft dem Organismus bei der Regulierung von stressigen Situationen. „Der Pegel an Stresshormonen stieg bei den Tieren, die während der Brutzeit Lärm ausgesetzt waren, gar nicht erst an“, sagt Sue Anne Zollinger, Erstautorin der Studie. „Es ist also nicht so, dass sich die Vögel mit der Zeit an den Lärm gewöhnten. Wir gehen vielmehr davon aus, dass der Organismus der Tiere von vornherein gegensteuert, um die negativen Auswirkungen eines erhöhten Stresshormonpegels auf das Immunsystem zu vermeiden.“
Küken, die mit Straßenlärm aufwuchsen, waren kleiner als Küken, die einen ruhigen Nistplatz hatten. Später in der Brutzeit, wenn die Küken das Nest verlassen hatten und selbst Futter suchten, holten sie den Rückstand zwar wieder auf, die Wissenschaftler schließen Langzeitfolgen jedoch nicht aus. In einer früheren Studie haben sie nämlich herausgefunden, dass sich unter Verkehrslärm die Enden der Chromosomen, die sogenannten Telomere, schneller verkürzen. Dies wirkt sich vermutlich auf die Lebensdauer der Küken aus. Die Anzahl der Küken in den Nestern wurde vom Lärm jedoch nicht beeinflusst.
Die Forscher und Forscherinnen haben ihre Studie mit Tieren in Volieren durchgeführt, um sämtliche andere Faktoren auszuschließen, die meist mit Straßenverkehr verbunden sind, etwa chemische Verschmutzung und künstliches Nachtlicht. Aber auch andere Einflüsse einer städtischen Umgebung – wie die Dichte und Zusammensetzung der lokalen Vogelgemeinschaft, die Struktur des Lebensraums, Veränderungen im Mikroklima oder auch die Nahrungsverfügbarkeit – sollten keine Rolle spielen. „Unsere Studie zeigt, dass der Verkehrslärm alleine ohne andere Störungen bei Vögeln zu Veränderungen in der Physiologie führt und sich auf das Wachstum auswirkt“, sagt Henrik Brumm, Forschungsgruppenleiter in Seewiesen. Selbst Vogelarten, die in Städten scheinbar gut zurechtkommen, können folglich durch chronischen Verkehrslärm beeinträchtigt werden.
*Originalpublikation: Sue Anne Zollinger, Adriana Dorado-Correa, Wolfgang Goymann, Wolfgang Forstmeier, Ulrich Knief, Ana Maria Bastidas, Henrik Brumm (2019).