Offener Brief:

Ausverkauf des freien Berufs Tierärztin/Tierarzt

Dr. Thomas Wiebogen-Wessely
Tierklinik STP GmbH & Co KG
St. Pölten

Sehr geehrter Präsident, sehr geehrter Landesstellenpräsident, geschätzte Kollegin, geschätzter Kollege!

Im Editorial des letzten Vetjournals wurde beiläufig erwähnt, dass 2020 unter anderem die Änderung des Tierärztegesetzes (TÄG) und die längst überfällige Änderung der Ordinationsrichtlinien finalisiert werden sollten.

Über die Änderung des TÄG wird bereits seit über einem Jahr hinter verschlossenen Türen zwischen dem Bundesministerium und dem Vorstand der Österreichischen Tierärztekammer (ÖTK) verhandelt.

Entsetzt darf man jedoch als Zugehöriger eines freien Berufs von der inhaltlichen Ausformulierung des vorliegenden geplanten Änderungsentwurfs sein, der wie folgt lautet:

 

Anstelle § 15a TÄG

(1) Zum Betreiben einer tierärztlichen Ordination oder eines privaten Tierspitals sind nur berufsberechtigte Tierärzte oder Gesellschaften, deren Gesellschafter berufsberechtigte Tierärzte sind, berechtigt.

Eine Beteiligung Berufsfremder an einer Tierärztegesellschaft ist nur für stille Teilhaber möglich.

Werden bei der Errichtung einer Ges.m.b.H auch Zweigstellen vorgesehen, so ist sicherzustellen, dass verantwortlicher Leiter nur ein tierärztlicher Gesellschafter sein darf, der auch jeweils nur eine Zweigstelle leiten darf und der wesentliche Anteile an der Gesellschaft halten muss.

(2) Die verantwortliche Leitung (Führung) eines privaten Tierspitals muss durch einen berufsberechtigten Tierarzt, der berechtigt ist, eine Hausapotheke zu führen, erfolgen.

soll sinngemäß kommen

(1) ad § 17 Praxisgemeinschaften und § 18 Gemeinschaftspraxen und andere Tierärztegesellschaften:

Andere Tierärztegesellschaften können als juristische Personen des Privatrechts begründet werden, wenn sie folgende Voraussetzungen erfüllen:

(1) Die Mehrheit der Gesellschaftsanteile und der Stimmrechte stehen bei berufsberechtigten Tierärzten

oder

(2) Zumindest ein Tierarzt ist an der Gesellschaft maßgeblich beteiligt oder es ist sichergestellt, dass die Befugnisse auf ein Gremium übertragen sind, in dem Tierärzte über die Mehrheit der Stimmrechte verfügen.

 

Diesbezüglich kann zusammengefasst werden, dass Praxen und Kliniken künftig auch von anderen juristischen Personen gegründet und geführt werden dürfen – einzig muss ein Tierarzt mindestens 25 % + 1 der Anteile halten.

Ich hoffe, ich bin zu Recht der Annahme, dass weder Ihnen noch anderen Kolleginnen oder Kollegen und Mitgliedern der Delegiertenversammlung die Tragweite bewusst ist, sollte dieser Vorschlag (oder ähnlich geartete Vorschläge) beschlossen werden und sich in absehbarer Zeit im Gesetzestext wiederfinden. Die derzeitige Ausformulierung ist der Tod des freien Berufs Tierarzt, da er den Tierarzt zu einem Handlanger „mit maßgeblicher Mitentscheidung“ in der Tierarztpraxis oder der Tierklinik degradiert.

Maßgeblich – ein äußerst dehnbarer Begriff, der großen Raum für Interpretation und Auslegung lässt. Sich schönzureden, dass wir Tierärztinnen und Tierärzte uns in den dadurch möglichen Gesellschaftskonstellationen gegenüber anderen Miteigentümern durchsetzen können werden, ist realitätsfremd. Es ist bereits gelebte Praxis, dass stille Gesellschafter Einfluss auf die täglichen tierärztlichen Entscheidungen haben. Ist es also tatsächlich gewollt, diese Konstrukte noch weiter aufzuweichen und ihnen Rechtssicherheit zuzusprechen?

Dürfen wir akzeptieren, dass der Tierarztberuf (und konkret der Besitz und die Führung von Tierarztpraxen und Kliniken) von unabhängigen Tierärzten in die Hand von Eigentümern gelegt wird – Eigentümer, die nicht in der Lage sind, im Interesse der Tierärzteschaft und unserer Patienten und noch weniger im Sinne unserer Kolleginnen und Kollegen zu entscheiden, sondern deren oberste Prämissen Gewinnmaximierung und „Return on Investment“ sind?

Wollen wir es wirklich in ein paar Jahren bereuen, uns hier nicht gewehrt zu haben? Können wir es verantworten, dass es für zukünftige Generationen nicht mehr möglich sein wird, sich selbstbestimmt und unabhängig mit einer Praxis selbstständig zu machen oder eine Klinik zu eröffnen oder eine solche zu leiten – unmöglich gemacht, weil es (nicht tierärztliche) Mitbewerber gibt, die über grenzenloses Finanzvolumen und weitreichenderes Know-how in wirtschaftlichen Belangen verfügen, die dann ebenfalls die Legitimation haben, Praxen und Kliniken zu gründen und zu betreiben? Pharmafirmen, die Nutztierpraxen gründen, sowie Betriebswirte und Vermögensverwalter, die Kleintierordinationen führen, sind denkbare Szenarien, von Großinvestoren und Ketten mal ganz abgesehen. Einzige Einschränkung würde sein, dass (zumindest am Papier) noch ein ausgebildeter Veterinär an der Konstellation beteiligt sein muss.

Wollen wir uns in unserer weitreichenden Entscheidungsfreiheit beschneiden lassen und unseren Beruf in die Hände anderer legen? Wollen Sie sich zukünftig mit Kollegen austauschen, die dieselben Sorgen wie sie haben, oder mit Investoren und deren Geschäftsführern über Belange der tierärztlichen Tätigkeit diskutieren – Personen, die nicht unserem Berufsethos verpflichtet sind und nicht dieselbe Auffassung von unserem Beruf und unseren Tätigkeiten haben?

Wir sind an einem Scheideweg, liebe Kolleginnen und Kollegen – wir haben es in der Hand, ob der Tierarzt als Selbstständiger und Unternehmer in Zukunft noch existieren darf oder ob die Ausübung unseres Berufs nur mehr in Abhängigkeit zu anderen Geschäftspartnern möglich sein wird. Es liegt an uns, es liegt an Ihnen, werte Kollegin, werter Kollege, jetzt mitzuentscheiden, wer in Zukunft die Praxen in Ihrer direkten Umgebung leiten wird dürfen – in Österreich zur Berufsausübung befähigte TierärztInnen oder jeder inländische oder ausländische Unternehmer oder jede Gesellschaft, die über das notwendige betriebswirtschaftliche Wissen verfügt und einen Tierarzt motivieren kann, seinen akademischen Grad dafür hinzuhalten. Suchen Sie sich Ihre Mitbewerber und beruflichen Nachbarn aus, solange es sie noch können!

Wehren wir uns gemeinsam – jetzt, solange wir es noch können, zum Wohle der jüngeren Generationen, damit auch in Zukunft die tierärztliche Versorgung in tierärztlicher Hand bleibt und Entscheidungen von Tierärztinnen und Tierärzten getroffen werden.

Klar ist, dass Änderungswünsche des Tierärztegesetzes aufgrund des Vertragsverletzungsverfahrens 2018/2161/ (partieller Zugang zu sektorellen Berufen) der Europäischen Kommission klarerweise von unserer Standes­vertretung wahrzunehmen und zu behandeln sind.

Wie aber auch andere Berufsgruppen mit weniger stichhaltigen Argumenten (Anwälte gem. § 21 RAO, Ziviltechniker, Pharmazeuten …) unter Beweis gestellt haben, muss es im Sinne der öffentlichen Gesundheit auch im Interesse der EU sein, die tierärztliche Tätigkeit in Veterinärmedizinerhand zu belassen.

Im derzeit vorliegenden Entwurf, der seit Jahresbeginn 2019 (!!) zwischen dem Vorstand der ÖTK und dem Bundesministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz vorverhandelt wurde, finden sich jedenfalls nicht die Interessen der Tierärzteschaft abgebildet, sondern jene berufsfremder Gruppen und Investoren. Vielleicht wäre es sinnstiftend, mit den Kammern der übrigen freien Berufe in Kontakt zu treten, um im Austausch mit diesen das abzuwenden, was uns mit der vorgeschlagenen Änderung droht – das ENDE DES FREIEN BERUFS Tierarzt/Tierärztin.

Alle Kolleginnen und Kollegen, die ebenfalls Zweifel haben, dass die vorgeschlagenen Änderungen des TÄG zu einer Verbesserung für Tierärztinnen und Tierärzte führen, bitte ich, dies durch Angabe ihres Namens und ihrer Mailadresse kundzutun (info-REMOVE-NOSPAM@tierklinik-stp.at).

Stehen wir gemeinsam dafür ein, dass die Zukunft unseres wunderschönen Berufes in unseren Händen bleibt – in den Händen von unabhängig agierenden, selbstbestimmten und freien Tierärztinnen und Tierärzten!

In Sorge um die Zukunft unseres freien Berufes zeichnet
Dr. Thomas Wiebogen-Wessely