Die Österreichische Tierärztekammer und Europa –

was eint uns, was trennt uns, wo brennt’s derzeit?

Mag. Dietmar Gerstner

Trotz nationaler Unterschiede gibt es viele Themen, die tierärztliche Organisationen nur gemeinsam auf internationaler Ebene lösen können. Die ÖTK als aktive Interessensvertretung trägt maßgeblich dazu bei.

Seit vielen Jahren ist die Österreichische Tierärztekammer (ÖTK) aktives Mitglied der FVE (Federation of Veterinarians of Europe) bzw. ihrer Sektionen UEVP (Union of European Veterinary Practitioners), UEVH (Union of European Veterinary Hygienists), EASVO (­European ­Association of State Veterinary Officers) und EVERI (European Veterinarians in Education, Research and ­Industry). Mit unserem Kollegen Dr. Walter Winding stellten wir in der jüngeren Vergangenheit für vier Jahre sogar den Präsidenten der FVE. Andere österreichische Kolleginnen und Kollegen waren ebenfalls in teils führenden Funktionen in den Sektionen tätig.

Die Aktivitäten der FVE reichen weit über die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union (EU) hinaus, alle Mitgliedsstaaten des Europarates sind teilnahmeberechtigt, insbesondere die EFTA-Staaten Schweiz, Norwegen und Island spielen eine aktive Rolle, aber auch andere Staaten wie z. B. die Türkei haben zumindest Beobachterstatus.

Darüber hinaus sind die AVMA (American Veterinary ­Medical Association) aus den USA und die CVMA (­Canadian Veterinary Medical Association) enge Partner der FVE, was sich durch regelmäßige Anwesenheit und Mitwirkung von deren Vertretern bei den wenigstens zweimal jährlich stattfindenden Treffen der FVE zeigt.

Die FVE als „Lobbying“-Organisation unterhält in Person von dort fix angestellten Tierärztinnen und Tierärzten enge und regelmäßige Kontakte zu den Beamtinnen und Beamten der Europäischen Kommission sowie zu Abgeordneten des Europäischen Parlaments. Dies dient dazu, von Plänen dieser Institutionen frühzeitig zu erfahren und diese allenfalls rechtzeitig im Sinne der Tierärzteschaft, so schwierig das aufgrund der nationalen Unterschiede – ­siehe unten – auch immer sein mag, zu beeinflussen.

Neben diesen tatsächlich sehr internationalen Kontakten pflegt die ÖTK besonders enge Beziehungen zu den tierärztlichen Organisationen der Nachbarländer, zuvorderst natürlich zu Deutschland (bpt – Bundesverband der praktizierenden Tierärztinnen und Tierärzte und BTK – Bundestierärztekammer) sowie zur Schweiz (GST – Gesellschaft der Schweizerischen Tierärztinnen und Tierärzte), aber auch zu den entsprechenden Standesvertretungen Südtirols, der Tschechischen Republik, der Slowakei, Ungarns und Sloweniens. Die Standesvertretungen der genannten Länder laden uns regelmäßig zu bi- oder trilateralen Zusammenkünften ein bzw. werden von uns dazu eingeladen, beispielsweise zu den seit ­etlichen Jahren veranstalteten Frühjahrsempfängen der Österreichischen Tierärztekammer samt entsprechendem Rahmenprogramm.

Was eint uns?

Was uns eint, sind etliche grundlegende Probleme der tierärztlichen Berufsausübung, die in sehr vielen Ländern auf der Agenda der Standesvertretungen stehen. In diesem Rahmen können nur einige davon punktuell herausgegriffen werden.

Während uns Tierärztinnen und Tierärzten im Bereich der Arzneimittelanwendung, -abgabe und von deren Dokumentation immer neue (bürokratische) Auflagen zugemutet werden, sind viele dieser Arzneimittel im Internet – zwar illegal, aber doch – ohne Weiteres erhältlich. Auch die Fragen der Verfügbarkeit von Arzneimitteln bzw. jene bezüglich deren Zulassung für bestimmte Tierarten (Stichworte: „Minor Use“ und „Minor Species“) und somit jene der legalen Anwendungs- bzw. Abgabemöglichkeit beschäftigen die Standesvertretungen zunehmend. 

Ein Thema, das sich mittlerweile in den meisten europäischen Ländern ganz weit vorne auf der Tagesordnung findet, ist die Frage der Sicherstellung der flächendeckenden tierärztlichen Versorgung einschließlich Rund-um-die-Uhr-Bereitschaft für Notfälle, insbesondere in ländlichen Regionen und damit besonders im Bereich der landwirtschaftlichen Nutztiere. 

Tatsache ist, dass in vielen Staaten in dieser Hinsicht eine Überalterung der Tierärzteschaft evident ist. Ob die offenbar mangelnde Attraktivität der Arbeit der/des „Landtierärztin/Landtierarztes“ nun mit der praktisch europaweit stattfindenden radikalen Feminisierung des Berufsstandes, mit veränderten Lebensvorstellungen der jüngeren Generation (Stichwort „Work-Life-Balance“) oder mit mangelnden Einkommensmöglichkeiten bzw. mangelnder Zukunftsfähigkeit dieses Tätigkeitsfeldes zusammenhängt, ist in einigen europäischen Ländern bereits Gegenstand intensiver Studien.

Dass ein Zusammenbruch der flächendeckenden tierärztlichen Versorgung im Bereich der Arzneimittel- und Lebensmittelsicherheit, somit im Konsumentenschutz, und vor allem auch im Bereich des Tierschutzes enorme negative Auswirkungen hätte, braucht hier nicht weiter betont zu werden.

Was trennt uns?

Was uns im europäischen Kontext am meisten trennt, ist, EU hin oder her, die höchst unterschiedliche Situation des Berufsschutzes bzw. der definierten Rechte und „Privilegien“ des tierärztlichen Standes inklusive der Frage der Führung tierärztlicher Hausapotheken. In diesem Bereich liegen Welten zwischen verschiedenen Regelungen in EU-Mitgliedsstaaten oder gar darüber hinaus. Es darf als gesichert angenommen werden, dass unsere österreichische Rechtslage mit dem Tierärztegesetz einen vergleichsweise sehr weitgehenden Berufsvorbehalt definiert, schon mit dem alleine dem Tierärztestand vorbehaltenen Recht der Untersuchung, der Diagnosestellung und der Behandlung samt Rezeptierung von Arzneimitteln von/an Tieren. Wenn überhaupt, ist dieses unser rechtliches Alleinstellungsmerkmal höchstens mit der Situation in einigen anderen mittel- und nordeuropäischen Staaten vergleichbar.

Wo brennt’s derzeit?

Die Verordnung (EU) 2016/429 zum Thema ­ANIMAL HEALTH LAW (AHL) schafft einen neuen Rechtsrahmen im Bereich der Tiergesundheit im weitesten Sinne. Die Mitgliedsstaaten der EU müssen diese neuen Vorschriften bis 2021 in ihr nationales Recht übernehmen. Auch bei uns in Österreich wird somit in nächster Zeit eine Vielzahl von Rechtsakten im Veterinärbereich anzupassen bzw. neu zu gestalten sein.

Ziel des „Animal Health Law“ ist es, die derzeit bestehenden unzähligen Einzelvorschriften bzw. -gesetze in der Europäischen Union zu vereinheitlichen, die Zuständigkeiten für die  Früherkennung von Krankheiten klarzustellen und die Bedeutung von Tierseuchen als mögliche Bedrohung der menschlichen Gesundheit bzw. als wesentliche Einschränkung der Freiheit des Warenverkehrs zu begreifen.

Das zweite brennende Thema ist zurzeit die „VERORDNUNG ÜBER AMTLICHE KONTROLLEN“ (EU) 2017/625 (Official Control Regulation – OCR). In diesem Rechtsakt, der im Dezember 2019 in Kraft treten soll, werden die amtlichen Kontrollen entlang der gesamten Lebensmittelkette geregelt, wobei erstmals auch die Bereiche Pflanzengesundheit, Pflanzenschutzmittel, gentechnisch veränderte Futter- und Lebensmittel sowie ­geschützte Ursprungsbezeichnungen u. a. m. integriert wurden. Vereinheitlicht werden die Regelungen betreffend die Ausbildung der behördlichen Kontrollorgane, in unserem speziellen Fall betrifft das sowohl die Amtstierärzte als auch die beauftragten amtlichen Tierärzte (z. B. SFU). 

Festgelegt ist auch, dass in der Frage der Gebühren für die amtlichen Kontrollen erstens deren Zusammensetzung transparent dargestellt werden muss, und zweitens, dass die Interessensvertretungen bei der Gebührenfestsetzung zwingend konsultiert werden müssen.

Ein zunehmend aktuelles Thema in Europa sind Studien bzw. Initiativen zum Thema „Physische und Psychische Gesundheit“ von Tierärztinnen und Tierärzten. Federführend war hier die „British Veterinary Association“ (BVA) mit Überlegungen zu „Wellbeing of veterinarians“. Aber z. B. auch in den USA ist das Thema präsent und permanent auf der Tagesordnung der Standesvertretung. Der tierärztliche Beruf gilt mittlerweile als hoch risikobehaftet, nicht nur „banale“ körperliche Verletzungen im Beruf betreffend, sondern vor allem in psychischer Hinsicht, vom Burn-out bis hin zur hohen Suizidgefährdung durch Arbeitsüberlastung, schlechte Einkommenssituation, hohe Erwartungshaltung der Kundinnen und Kunden, Konfliktsituationen im Bereich Tierschutz und Euthanasie und vieles andere mehr.

Viele der oben aufgeworfenen Zukunftsfragen unseres Berufsstandes wurden in jüngster Zeit in einzelnen europäischen Ländern durch Studien intensiv bearbeitet, unter dem Namen „Vet Future“ insbesondere in Großbritannien und Frankreich. 

Bei uns in Österreich wurde 2012 die „WIFO-Studie“ ­unter dem Titel „Wirtschaftliche Grundlagen für strategische Entscheidungen zur Zukunft der Veterinärmedizin in Österreich“ publiziert, eine Neubearbeitung des Themas in Zusammenarbeit von Vetmeduni, Gesundheitsministerium und ÖTK ist derzeit geplant. 

Auch auf gesamteuropäischer Ebene ist eine weitere ­Untersuchung in Form einer umfassenden Umfrage mit Start im Herbst dieses Jahres vorgesehen, unter dem Titel „­Survey on the demography of the veterinary profession in Europe“.

Dabei geht es aber bei Weitem nicht nur um die Erhebung demografischer Daten, sondern auch um viele Fragen, die sowohl in den „Vet Future“-Projekten als auch in unserer damaligen WIFO-Studie abgehandelt wurden.

Selbstverständlich werden auch alle österreichischen ­Kolleginnen und Kollegen rechtzeitig eingeladen, sich an dieser Erhebung bzw. deren Auswertung zu beteiligen.

Umfassende Informationen (in englischer Sprache) über Aktuelles im tierärztlichen Bereich auf Europäischer ­Ebene, Positionspapiere und Stellungnahmen der FVE zu verschiedensten Themen und vieles andere mehr finden sich im Internet unter der Adresse www.fve.org