Tierärztin Tanja Warter
Ausgabe 10/2019
Nie wusste man so viel über das Normalverhalten, die Haltungsansprüche und Verhaltensprobleme kleiner Heimtiere wie heute. Das bedeutet für Kaninchen, Meerschweinchen, Hamster, Ratte oder Maus besser werdende Lebensbedingungen in Menschenhand. Ein Gespräch über Probleme, Tipps und Tricks mit Dr. Barbara Schneider, Fachtierärztin für Verhaltenskunde.
Kleine Heimtiere sind die klassischen Einsteigertiere und vor allem bei Familien mit Kindern beliebt. Was läuft schief, wenn aus dem harmonischen Miteinander dann doch nichts wird?
Das Hauptproblem ist nach wie vor, dass sich die neuen Tierbesitzer einfach zu wenig über die Ansprüche der Vierbeiner informieren. Kaninchen oder Meerschweinchen gibt es problemlos im Zoofachhandel. Sie sind günstig und man bekommt das Gefühl, wer einen Käfig, einen Napf, Einstreu, Futter und noch ein paar Utensilien kauft, der hat alles beisammen, was man für Heimtierhaltung braucht. Die Bedürfnisse der Tiere abseits von satt und sauber sind aber vielfach unbekannt. Nur ganz selten erkundigen sich Menschen bei mir, bevor sie sich ein kleines Heimtier zulegen. Die machen dann immer große Augen, weil sie verblüfft sind, dass auch so kleine und preiswerte Tiere spezielle Ansprüche haben. Anders als Hunde oder Katzen werden sie gewissermaßen so nebenbei gehalten.
Leiden die Tiere in der Konsequenz auch deswegen, weil sie wenig kosten?
Definitiv. Ein typisches Beispiel, wie es bestimmt schon vielen Kolleginnen und Kollegen widerfahren ist: Mutter und Kind kommen mit einem Goldhamster in die Praxis, das Tier ist apathisch, kurz vor dem Sterben. Es ist unübersehbar, dass der Hamster völlig abgemagert und am Hinterteil ganz verschmiert ist. Dem Tier ging es schon tagelang schlecht, aber niemand hat sich gewissenhaft gekümmert und den Hamster genauer angeschaut. Nach dem Einschläfern und einem Appell an das Gewissen der Besitzerin war die einzige Reaktion: „Muss ich den Käfig desinfizieren, bevor ich jetzt einen neuen Hamster kaufe?“ Das signalisiert eindeutig: Der niedrige Preis macht die Tiere zu austauschbaren Objekten.
Oft klagen Kaninchenbesitzer über Aggressivität ihrer Tiere und darüber, dass die Kinder immer wieder getreten und gebissen werden. Was kann man da machen?
Aggressionen sind bei kleinen Heimtieren tatsächlich das häufigste Problem. Fast immer hat es etwas mit dem Umgang zu tun. Da wäre beispielsweise das Zeitproblem: Viele Kaninchen und auch andere Heimtiere sind abgesehen von der Fütterung stunden- und manchmal tagelang auf sich allein gestellt. Dann plötzlich nimmt sie jemand aus dem Käfig oder dem Gehege, will sie im Arm halten und streicheln – so funktioniert das aber nicht. Die Tiere wehren sich heftig. Verständlich, denn ihnen fehlt der kontinuierliche positive Kontakt. Wer dem Tier jeden Tag Zeit widmet, es mit Leckerchen lockt und geduldig Vertrauen aufbaut, hat solche Probleme nicht.
Und das Handling selbst?
Bis heute gibt es Fälle, in denen Kaninchen an den Ohren hochgehoben werden. Auch so behandelte Tiere neigen leicht zu Aggressionen. Man muss als Tierärztin oder Tierarzt einem Kaninchenbesitzer und vor allem den Kindern sehr genau erklären, wie sie das Tier nehmen und halten sollen. Grundsätzlich ist es ja wirklich eine schöne Sache, wenn Kinder mit Tieren aufwachsen. Aber man sollte nicht nur die Freude des Kindes, sondern auch das Wohl des Tieres im Auge haben. Nur, wenn es beiden Beteiligten gut geht, kann sich eine harmonische Freundschaft entwickeln.
Fast jeder, der heute über 40 ist und als Kind ein Heimtier hatte, fühlt sich rückblickend wie ein Tierquäler. Aufklärung gibt es seit vielen Jahren. Hat sich etwas verbessert?
Meiner Ansicht nach auf jeden Fall. Es gibt zum Beispiel bedeutend weniger Kinder mit Hamstern als früher. Inzwischen ist die Botschaft, dass Hamster tagsüber ihren Schlaf brauchen, schon gut angekommen. Dafür halten mehr Kinder Mäuse, zu denen sie viel besser eine Beziehung aufbauen können als zu einem Hamster. Die kleinen Heimtiere sind einfach sehr unterschiedlich. Für ein Kind, das gern beobachtet, sind Meerschweinchen gut. Will das Kind aber Tiere zum Streicheln und Kuscheln haben, eignen sich eher Ratten. Und auch die Stereotypien wie Gitterbeißen sind spürbar zurückgegangen. Verbesserungen passieren also in kleinen Schritten.
Was können Sie als Verhaltensexpertin empfehlen, damit ein Heimtier beim Tierarztbesuch möglichst wenig gestresst wird?
Das fängt schon beim Besitzer an. Der kann zum Beispiel die Transportbox als Häuschen oder Unterschlupf im Gehege platzieren. Eine vertraute Transportbox reduziert den Stress bereits erheblich. In der Praxis angekommen gebe ich immer den Tipp, dass der Tierarzt zuerst seine Hände mit der Einstreu aus der Box einreibt. Kaninchen und Meerschweinchen haben ein olfaktorisches Gruppenleben – auf fremde Gerüche reagieren sie mit Aufregung.
Ein Klassiker unter den Problemen: Ein Kaninchen stirbt, für das zweite muss ein neuer Partner gefunden werden. Was ist der wichtigste Tipp für Kaninchenhalter?
Am besten ist es, so schnell wie möglich ein neues Kaninchen anzuschaffen, vor allem, wenn das übrig gebliebene Tier ein Weibchen ist. Mit Weibchen, die über längere Zeit allein waren, gibt es immer die größten Probleme. Die Kombination aus Weibchen und kastriertem Männchen ist tendenziell am harmonischsten, aber auch Alter und Temperament sollten passen. Die Annäherung sollte wegen des Gruppengeruchs zuerst über den Austausch von Einstreu erfolgen. Und für die erste Begegnung gilt: immer auf neutralem Boden mit viel Platz zum Ausweichen. Wer ein fremdes Kaninchen zum anderen in den Käfig setzt, erhöht das Konfliktrisiko.
Dr. Barbara Schneider ist Fachtierärztin für Verhaltenstherapie und Autorin des Buchs „Verhaltensberatung bei kleinen Heimtieren – Haltung, Normalverhalten und Behandlung von Verhaltensproblemen“, erschienen bei Schattauer. Ihre Ausbildung umfasst Fortbildungen in den USA und Australien; im bayerischen Freising führt sie eine Praxis.