Narkose ohne Opioide?

Sichere Anästhesie bei Hunden mit MDR1-Defekt

Dr. Astrid Nagl

Australian Shepherd und Shetland Sheepdog ­werden vor einer Narkose getestet, ob ein MDR1-­Defekt vorliegt; so weit, so gut. Viele Hunde­welpen-Besitzer*innen bringen das Labor­ergebnis schon von den Züchter*innen mit. Doch was, wenn der Patient tatsächlich einen MDR1-Defekt aufweist – und kastriert werden soll oder eine Granne im Ohr hat? Zu den Medikamenten, die diese Patienten nicht vertragen, gehören ja auch Opioide und Acepromazin …

Dr. med. vet. Roswitha Steinbacher, Oberärztin für Anäs­thesiologie und perioperative Intensivmedizin an der Vetmeduni Wien, erklärt, was wir bei der Narkosevorbereitung beachten können, damit eine Anästhesie bei Patienten mit MDR1-Defekt gut und sicher abläuft.

Was bewirkt nun eigentlich der MDR1-Defekt genau?

Die genetische Basis für diesen Defekt ist eine Mutation des MDR1-Gens (ABCB1), die einen Mangel an P-Glyko­protein bewirkt. Dieses P-Glykoprotein transportiert Wirkstoffe innerhalb des Körpers. Es wird auf der lumenseitigen Oberfläche vieler Zellen exprimiert und hat eine Schutzfunktion; es begrenzt die orale Absorption bestimmter Substrate, fördert ihre Ausscheidung über das Gallensekret und sorgt durch aktiven Rücktransport für eine niedrigere Konzentration im ZNS.

Welche Auswirkungen hat dieser Mangel auf die betroffenen Patienten, wenn sie einem solchen Wirkstoff ausgesetzt sind?

Tiere mit der Mutation reagieren bereits auf eine zehnfach niedrigere Dosis dieser Wirkstoffe. Sie können sie nicht gut über die Gallenflüssigkeit ausscheiden und zeigen daher gastrointestinale Symptome, die Vergiftungs­erscheinungen ähneln können. Außerdem wird die Konzentration dieser Substrate durch den verminderten Rücktransport im ZNS höher, was teilweise schwere bis letale ZNS-Symptome der betroffenen Patienten bewirkt.

Welche Rassen sind vor allem von der Mutation betroffen?

Wir finden den MDR1-Defekt vor allem bei Collies (70 % der Hunde), Australian Shepherds (50 %), Shelties (15 %), aber auch beim Deutschen Schäfer (10 %) und bei Border Collies (5 %). Bei Mischlingen besteht eine 5-%-Chance, dass sie Träger sind. Katzen können die Mutation übrigens auch tragen, aber testen kann man das bei uns derzeit nicht. Ganz wichtig ist jedoch: Die Wechselwirkung zweier Substrate, die an P-Glykoprotein binden, kann auch bei Tieren und Menschen, die diese Genvariante nicht tragen, eine erworbene, reversible P-Glykoprotein-Fehlfunktion auslösen.

Würde das dann nicht bedeuten, dass Acepromazin und Butorphanol nicht kombiniert gegeben werden dürfen? Beide gehören ja zu den Substraten, die an P-Glykoprotein-Rezeptoren binden.

Theoretisch stimmt das, doch in der Praxis wird diese Kombination gut vertragen, wenn die Mutation nicht vorliegt. Das dürfte auf den relativ weiten therapeutischen Index dieser Medikamente zurückzuführen sein. Anders ist es zum Beispiel bei Ketoconazol, das nachweislich häufig zu Reaktionen führt, wenn es mit anderen Substraten kombiniert gegeben wird.

Die meisten Wirkstoffe, die wir bei solchen Patienten vermeiden sollten, sind uns bekannt: Bei Opioiden, Acepromazin, Emodepsid, Milbemycinoxim, Ivermectin, Selamectin und Moxidectin ist Vorsicht geboten. Doch auf der Liste der Substrate finden sich auch Wirkstoffe, an die man vielleicht nicht gleich denkt …

Ja, zum Beispiel Maropitant, das gerne auch vor einem Eingriff gegeben wird, um die analgetische Komponente auszunützen. Hier würde man bei bekanntem Trägerstatus auf Alternativen wie Metoclopramid zurückgreifen. Auch Grapiprant, das einige Patienten als Dauermedika­tion einnehmen, gehört zu den Substraten, die an P-Glykoprotein binden. Bei den Opioiden ist im Veterinär­bereich eigentlich nur Butorphanol, also ein κ-Agonist und µ-Anta-gonist, mit Vorsicht zu verwenden. Reine µ-Agonisten wie Methadon, Morphin oder Fentanyl kommen immer wieder auf der Liste der nicht zu verwendenden Medikamente vor, jedoch gibt es hierfür keine Studien bzw. Beweise. Die Erklärung dafür liegt darin, dass Wirkstoffe, die nachweislich Substrate für Menschen sind, 1:1 in die Listen für die Veterinärmedizin übernommen werden.

Wie würden Sie damit umgehen, wenn ein Australian Shepherd als Notfall kommt und eine Sedierung oder Anästhesie notwendig ist, aber der MDR1-Status unklar ist?

Ich würde auf jeden Fall nachfragen, ob ein Gentest vorliegt. Wenn nicht, würde ich annehmen, dass der Patient die Mutation trägt, und entsprechend auf bestimmte Medikamente verzichten oder eine Alternative wählen. Gibt es keine Alternative, würde ich die Dosis jedenfalls um 25 % reduzieren. Nicht antagonisierbare Medikamente wie Acepromazin würde ich ganz weglassen.

Was muss man bei Hunden, die den MDR1-Defekt tragen, beachten, wenn man eine Sedierung oder eine Narkose plant?

Für die Sedierung würde ich Alternativen wählen und möglichst die Substrate weglassen, also kein Acepromazin und kein Butorphanol verwenden, sondern zum Beispiel eine Kombination aus Medetomidin, Propofol und einem NSAID. Bei längeren, schmerzhaften Eingriffen kann man auf die Opioide nicht verzichten. µ-Agonisten (Methadon) können hier trotzdem gut eingesetzt werden, weil sie antagonisierbar und kein P-Glykoprotein-Sub­strat sind. Die Dosis sollte um 50 % reduziert werden. Diese Möglichkeit besteht allerdings nur, wenn Naloxon vorliegt, andernfalls wäre es zu riskant.
Ein vorsichtiger und bewusster Einsatz dieser Substrate ist also durchaus auch bei Hunden, die diese Genvariante tragen, möglich. Es muss bei längeren Operationen somit auch nicht auf die Schmerzmedikation verzichtet werden.

Danke für das Gespräch!

Quellenangaben / weiterführende Literatur

Mealey, K. L., Owens, J. G., Freeman, E. (2023): Canine and feline P-glycoprotein deficiency: What we know and where we need to go. Journal of Veterinary Pharma­cology and Therapeutics, 46, 1–16. doi.org/10.1111/jvp.13102