Nager-Spezial: Mäuseträchtigkeit

Mäuse bilden während ihrer Trächtigkeit neue Geruchsneuronen im Gehirn

Heike Sacher, Katrin Bühler, 
beide Department Biozentrum Universität Basel

Im Tierreich gilt: Eltern müssen ihren Nachwuchs am Geruch erkennen. So ist gewährleistet, dass sie ihre eigenen Jungen aufziehen. Die Forschungsgruppe von Prof. Dr. Fiona Doetsch am Biozentrum der Universität Basel hat nun bei Mäusen gezeigt, dass genau zu diesem Zweck im Riechkolben des Gehirns vorübergehend neue Nerven­zellen gebildet werden. Sie entwickeln sich während der Schwangerschaft und verschwinden einige Wochen nach der Geburt wieder. Diese neuen Neuronen im Gehirn der Mutter sorgen dafür, dass sie die eigenen Jungen am ­Geruch erkennt.

Doch woher stammen diese neuen Neuronen? Sie ent­stehen aus sogenannten neuronalen Stammzellen; das sind unreife Zellen in bestimmten Regionen des erwachsenen Gehirns. Doetschs Team untersucht Stammzellen in der sogenannten ventrikulär-subventrikulären Zone bei ausgewachsenen Mäusen. Diese bilden Nervenzellen, die in den Riechkolben wandern. In früheren Arbeiten konnten die Forschenden bereits zeigen, dass einige dieser Stammzellen durch Reize wie Hunger und Sättigung aktiviert werden, bislang war jedoch unklar, ob auch andere Stimuli bestimmte Pools von Stammzellen anregen.

In ihrer neuen Studie in „Science“ zeigen die Forschenden nun, dass bei trächtigen Mäusen verschiedene Pools von Stammzellen synchron aktiviert werden und neue Nerven­zellen bilden. Normalerweise befinden sich viele dieser Stammzellen in einem „Schlafzustand“ – werden sie in der Schwangerschaft aktiviert, so reifen seltene Arten von Neuronen heran. Zum Zeitpunkt der Geburt wandern diese vorübergehend in den Riechkolben, eine Region im Gehirn, die Informationen über Gerüche verarbeitet.

Veränderter Geruchssinn

Die neuen Neuronen haben eine wichtige Aufgabe: Während der frühen Mutterschaft sensibilisieren diese den Geruchssinn der Mutter, sodass sie ihre Jungen am Geruch erkennt. Auch beim Menschen gibt es im gleichen Hirnareal solche Stammzellen, die jedoch ab dem frühen Säuglingsalter keine Neuronen für den Riechkolben mehr ausbilden.
„Einige Frauen berichten über Veränderungen des Geruchsinns während der Schwangerschaft“, sagt Erst­autorin Dr. Zayna Chaker. „Beim Menschen könnte es daher ähnlich sein: Auch hier könnte die Schwangerschaft Stammzellen aus ihrem Schlafzustand wecken.“

Gehirnplastizität durch neue Neuronen

Die beschriebenen Anpassungen im Gehirn beweisen einmal mehr, dass die sogenannte Plastizität unseres Gehirns nicht allein auf Veränderungen der Nerven­verbindungen, der Synapsen, zurückzuführen ist. Auch die Rekrutierung ausgewählter Stammzellen und die damit verbundene Bildung spezifischer Nervenzelltypen trägt dazu bei, dass sich unser Gehirn anpassen und auf veränderte Lebensbedingungen reagieren kann.

 

Originalpublikation:
Zayna Chaker, Corina Segalada, Jonas A. Kretz, Ilhan E. Acar, Ana C. Delgado, Valerie Crotet, Andreas E. Moor and Fiona Doetsch: Pregnancy-responsive pools of adult neural stem cells for transient neurogenesis in mothers, Science (2023), doi: 10.1126/science.abo5199