Dr. Astrid Nagl
Ausgabe 04/2024
Warum ist es so dringend nötig, die Anwendung bestimmter Antibiotika einzuschränken? Was steckt hinter Konzepten wie „One Health“ und „Prudent Use“? Dr. Volker Moser, Präsident der europäischen Praktikervereinigung UEVP, berichtet im Vetjournal-Interview und im aktuellen Tierärzteverlag-Podcast, wie er die Umsetzung des neuen Tierarzneimittelgesetzes in Hinblick auf die aktuellen EU-Leitlinien erlebt, und spricht darüber, wie wir als Tierärzt*innen wesentlich zur Bewusstseinsbildung beitragen können, was den Umgang mit Antibiotika betrifft.
In der EU gab es ja durchaus den Wunsch nach noch strengeren Einschränkungen für den Antibiotika-Einsatz. Warum sind so restriktive Vorgaben notwendig?
Die EU hat für die Erarbeitung der neuen Richtlinien eine Prognose einbezogen, die von einer Zunahme an Todesfällen durch multiresistente Keime von bis zu 400.000 Menschen bis zum Jahr 2050 ausgeht. Das ist der Anlass für die restriktiveren Vorschriften. Es ist wirklich dringend an der Zeit, hier gegenzusteuern, doch es ist auch eine große Herausforderung, das in der Praxis umzusetzen.
Welche Auswirkungen haben die Anwendungseinschränkungen auf die Resistenzentwicklung und wie schnell sehen wir solche Veränderungen?
Im Rahmen einer EU-weiten behördenübergreifenden Studie1, die im Februar 2024 veröffentlicht wurde, konnte nachgewiesen werden, dass die Resistenzen weniger werden, sobald man hier Maßnahmen setzt. Das Darmbakterium E. coli spp. gilt zum Beispiel als sogenannter Indikatorkeim, was das Auftreten von Resistenzen betrifft: Die Empfindlichkeit von E. coli-Bakterien gegenüber Antibiotika stieg signifikant in Ländern, die den Antibiotikaverbrauch bei Tier und Mensch reduzierten.
Wie wird entschieden, welche Antibiotika wir verwenden dürfen und bei welchen Medikamenten es Anwendungsbeschränkungen gibt?
Hier stützen sich die Entscheidungsträger*innen auf Studien, aus denen hervorgeht, dass die Verwendung bestimmter Antibiotika sowohl im Human- als auch im Veterinärbereich mit einer Zunahme der Resistenzbildung einhergeht. Das betrifft zum Beispiel die Fluorchinolone und die Cephalosporine der zweiten und dritten Generation1. Außerdem werden jene Wirkstoffe, die in der Humanmedizin als Reserveantibiotika eingesetzt werden, besonders berücksichtigt.
Die Vorgaben die Anwendungsbeschränkungen bei bestimmten Antibiotika betreffend werden sich dementsprechend noch öfters ändern. Trotzdem konnten wir erreichen, dass wir die Antibiotika, die wir gewöhnt sind, immer noch verwenden dürfen – mit den bekannten Anwendungsbeschränkungen.
Welche neuen Leitlinien sind denn derzeit in Planung? Was kommt noch auf uns zu?
Gerade werden Konzepte und Leitlinien ausgearbeitet, die sich auf die Verabreichung von Antiparasitika auswirken werden, denn auch hier gibt es Resistenzen und die Ausscheidung der Antiparasitika hat Einfluss auf die Umweltgesundheit. „One Health“ bedeutet, dass die Gesundheit von Menschen, Tieren und Pflanzen und der weiteren Umwelt, einschließlich der Ökosysteme, eng miteinander verbunden und voneinander abhängig ist2. In der Tiefsee liegen die gleichen Resistenzmuster und genetischen Veränderungen in Bakterien vor, wie wir sie hier „oben“ in den Städten finden3. Die Vermutung ist, dass diese Keime durch nicht behandelte Abwässer in die Meere gelangen. Das zeigt uns, welche Dimension das Problem angenommen hat!
Was bedeutet "Prudent Use" und wie können wir das Konzept in der Praxis umsetzen?
Es ist wichtig, dass wir uns als Tierärzt*innen gut weiterbilden und kritisch hinterfragen, welches Antibiotikum wir wofür einsetzen – nichts anderes verstehen wir unter dem Begriff „Prudent Use“. Auch alternative Therapiemöglichkeiten auf pflanzlicher Basis sind gerade für den Nutztierbereich zur Prophylaxe interessant. Hier wird bereits intensiv geforscht, zum Beispiel in der Geflügelmedizin. Die Phagentherapie, ein Ansatz, der seit vielen Jahren bekannt ist, wird auch gerade wiederentdeckt und könnte eine gute Alternative bieten.
Ist noch Bewusstseinsbildung nötig, was die Gefahr von resistenten Keimen betrifft? Vielen Menschen ist ja inzwischen aus eigener Erfahrung oder aus Berichten im Bekannten- und Freundeskreis bewusst, welche Gefahr eine Infektion mit einem resistenten Keim darstellt.
Es ist wichtig, dass wir uns als Tierärzt*innen gut weiterbilden und kritisch hinterfragen, welches Antibiotikum wir wofür einsetzen – nichts anderes verstehen wir unter dem Begriff „Prudent Use“. Auch alternative Therapiemöglichkeiten auf pflanzlicher Basis sind gerade für den Nutztierbereich zur Prophylaxe interessant. Hier wird bereits intensiv geforscht, zum Beispiel in der Geflügelmedizin. Die Phagentherapie, ein Ansatz, der seit vielen Jahren bekannt ist, wird auch gerade wiederentdeckt und könnte eine gute Alternative bieten.
Gibt es Unterstützung bei der Umsetzung der neuen Vorschriften? Oft stellt sich ja erst bei der Anwendung der Vorgaben heraus, welche Fragestellungen im Praxisalltag tatsächlich auftreten.
Hilfestellung mit praktisch verwertbaren Informationen bieten mehrere Organisationen europaweit an; die FECAVA4, die VÖK und die WSAVA stehen mit fachlichem Input zur Seite. Es wird auch ein europaweites Trainingsprogramm mit Schulungen für Tierärzt*innen und Landwirt*innen geben, das in Österreich noch in diesem Jahr startet. Hier werden die neuesten Rechtsnormen, Pflichten und der verantwortungsvolle Einsatz von Antibiotika genau besprochen.
Quellen:
1 ECDC, EFSA and EMA (European Centre for Disease Prevention and Control, European Food Safety Authority and European Medicines Agency), 2024: Antimicrobial consumption and resistance in bacteria from humans and food-producing animals. EFSA Journal, 22 (2), e8589.
https://doi.org/10.2903/j.efsa.2024.8589
https://www.efsa.europa.eu/en/efsajournal/pub/8589
https://www.efsa.europa.eu/de/news/multi-agency-report-highlights-importance-reducing-antibiotic-use
2 https://fgoe.org/One_Health_Definition
3 Jang, J., Park, J., Hwang, C. Y., Choi, J., Shin, J., Kim, Y. M., Cho, K. H., Kim, J. H., Lee, Y. M., Lee, B. Y. (2022): Abundance and diversity of antibiotic resistance genes and bacterial communities in the western Pacific and Southern Oceans. Science of the Total Environment, 822, 153360.
4 Link zu den Therapie-Empfehlungen der FECAVA: https://www.fecava.org/wp-content/uploads/2020/01/FECAVA-Recommendations-for-Appropriate-Antimicrobial-GERMAN.pdf