Lisa Preslmayer
Freie Redakteurin
Die kleinen Naturhelfer kommen auch in der Tierhaltung zum Einsatz, vom Futter bis zur Behandlung – doch sind sie wirklich Alleskönner? Wie „effektiv“ sind Mikroorganismen wirklich?
Die mikroskopisch kleinen Lebewesen sind eigentlich schon längst erwachsen, genau genommen sind sie bereits 20 Jahre alt. Der japanische Landschaftswissenschaftler Dr. Teruo Higa entdeckte die positive Wirkung von Milchsäurebakterien, Hefe und aktiven Pilzen erstmals während einer Studie zu virusbefallenen Pflanzen. Nachdem er die kranken Grünlinge in einem Abwasserkanal entsorgt hatte, schienen sich die Pflanzen im verschmutzten Wasser plötzlich wieder zu erholen. Das war die Geburtsstunde der effektiven Mikroorganismen.
Auch, wenn die kleinen Naturhelfer in der Landschafts- und Bodenkulturforschung schon längst bekannt sind, so ist ihr Einsatz in der Tierhaltung – genauer gesagt: im Bereich Pferdehaltung und Ernährung – doch eher ein moderneres Phänomen. In den letzten Jahren finden sich immer mehr Menschen, die bei den eigenen Tieren auf die natürliche Superkraft setzen. Eine von ihnen ist Melany Clahsen aus Deutschland. Die Pferdebesitzerin mischt ihren Vierbeinern täglich effektive Mikroorganismen (EM) ins Futter und hat auch schon ein Buch über ihre Erfahrungen mit den positiven Bakterien geschrieben. Melany füttert ihrer Meinung nach damit nicht die Pferde, sondern vielmehr deren Darmbakterien.
„Die Mikroorganismen ergänzen die ohnehin im Darm lebenden Bakterien. Ich achte zwar sehr genau darauf, dass meine Pferde gutes Heu zur freien Verfügung haben, aber was genau ist schon gut? Eine völlig unbelastete Wiese mit vielen Kräutern, Blumen und verschiedenen Gräsern habe ich für mein Heu leider auch nicht zur Verfügung. Daher gebe ich EM über das Futter und sichere mich und die Pferde ab.“ Die praktizierende Tierhomöopathin und Huftherapeutin empfiehlt effektive Mikroorganismen zur Regeneration der Darmflora vor allem nach Wurmkuren oder einer Behandlung mit Antibiotika sowie längeren Schmerzmittelgaben. Auch nach Koliken oder bei Tieren im Wachstum hätten sie selbst und Berufskollegen bereits gute Erfahrungen gemacht.
Dabei ist der Einsatz der Kleinstlebewesen bei Tieren noch gänzlich unerforscht und stößt in der Wissenschaft und bei Tierärzten auf Kritik. Professor Dr. Werner Zollitsch vom Institut für Nutztierwissenschaften der BOKU Wien betrachtet die Wirkung der EM-Bakterien derzeit aus einem skeptischen Blickwinkel:
„Die Frage nach der tatsächlichen Effektivität der EM ist nicht einfach mit Ja oder Nein zu beantworten, sondern mit dem bei Betrachtung komplexer Systeme häufigen ,Es kommt darauf an …‘. Persönlich habe ich mit den generellen Wirkungsbehauptungen erhebliche Probleme. Mir ist nicht einsichtig, inwiefern die Nährstoffverfügbarkeit für Pferde generell verbessert werden soll, indem EM appliziert werden. Tatsache ist aber, dass viele Pferde unter Störungen des Gastrointestinaltrakts aufgrund von Ernährungsfehlern – in Kombination mit nicht tiergerechten Haltungsbedingungen und Bewegungsmangel – leiden. Diese umfassen wohl auch Störungen des intestinalen Mikrobioms. Hier ist denkbar, dass der Einsatz von EM in ganz bestimmten Fällen tatsächlich einen positiven Effekt haben mag; diesen zu verallgemeinern würde ich aber als unseriös ansehen. Bei unterschiedlichen Tierarten wird auch immer wieder von einer Verminderung der NH3-Emissionen aus den Ausscheidungen berichtet, wenn EM auf Stallböden oder den Wirtschaftsdünger aufgebracht wird. Diese Wirkung ist noch am ehesten nachvollziehbar, wenn EM in Konzentrationen angewendet werden, die zu substanziellen Verschiebungen in der Mikrobenflora führen. Bei Anwendung als Futterzusatz ist jedenfalls auf die geltenden rechtlichen Bestimmungen, Stichwort Futtermittelverordnung, zu achten.“
Der Einsatz von sogenannten effektiven Mikroorganismen als Futterzusatz wird auch innerhalb der Tiermedizin noch kritisch betrachtet. Dem Tierarzt Dr. Christof Katzlberger, Leiter der Pferdeklinik Thalgau in Salzburg, sind die effektiven Mikroorganismen zwar nicht fremd; dass die Bakterien aber nun der Pferdegesundheit dienen sollen, fällt ihm nicht zuletzt wegen der fehlenden wissenschaftlichen Studien in diesem Bereich noch schwer zu glauben. Und trotzdem scheint die Nachfrage nach dem natürlichen Wunderheilmittel unter den PferdebesitzerInnen in den letzten Jahren stetig zu wachsen. Für Dr. Katzlberger liegt dieses Phänomen teilweise sogar in der eigenen Branche begründet. „Viele Kollegen geben meiner Meinung nach zu viel an Antibiotika. Hier wäre die Überlegung, ob man nicht generell den Antibiotikaverbrauch deutlich runterfährt, nötig, denn dann hätte man erst gar keine zerstörte Darmflora beim Pferd und bräuchte nicht auf alternative ,Heilmittel‘ zurückgreifen. Dass hier ein Zusatzfutter mit effektiven Mikroorganismen alle negativen Auswirkungen wieder wettmacht, wage ich aber zu bezweifeln. Ich habe zwar auch solche EM-Produkte im Sortiment, aber nur, weil manche PferdebesitzerInnen danach fragen. Wenn sie es unbedingt wollen, dann gebe ich es ihnen, aber ob die Produkte wirklich so gut sind, wie die Firmen sagen, ist schwer zu beweisen. Da muss noch viel mehr wissenschaftlich geforscht werden.“
Zwar gibt es einige Untersuchungen zur Wirkung der effektiven Mikroorganismen, aber diese sind meist von EM-Produkt-Firmen selbst in Auftrag gegeben. In Oberösterreich etwa führt das Unternehmen Multikraft laufend Untersuchungen mit seinen EM-Produkten durch. Im Jahr 2010 analysierte es sein Pferdezusatzfutter „TopDress“ im Labor. Laut Multikraft hätten die 96 Zellproben nach Zugabe der fermentierten Mikroorganismen eine 200-prozentige Steigerung des Energiestoffwechsels von Bindegewebszellen aufgezeigt, wodurch es zu einer verbesserten Zellerneuerung/-regeneration bei Tieren kommen könnte. Die effektiven Mikroorganismen hätten laut Multikraft somit eine viermal höhere Wirkung (5 mg/ml) als Ascorbinsäure (Vitamin C; 1,3 mg/ml).
Eine weitere Untersuchung mit 65 Milchkühen und 15 neugeborenen Kälbern, die die Firma in Zusammenarbeit mit der Vetmeduni Leipzig im Jahr 2004 durchführte, ergab eine steigende Anzahl an gesundheitsfördernden Bakterien wie Lactobacillus- und Bifidobakterien sowie eine positive Wirkung auf die Enterozyten im Darm.
Da diese „Studien“ aber von einem EM-Hersteller durchgeführt wurden, können diese kaum als wissenschaftlicher Maßstab herangezogen werden. Laut Prof. Dr. Qendrim Zebeli von der Vetmeduni Wien würden hier wichtige Faktoren einer korrekten wissenschaftlichen Studie fehlen. Warum das große Forschungsinteresse an wissenschaftlichen Fakultäten bisher ausbleibt, wurde uns auch nach Anfrage der Redaktion nicht beantwortet. Die Umsatzzahlen allerdings zeigen einen Trend zum natürlichen Alleskönner: 2,2 Millionen Liter jährlich setzt die Firma Multikraft nach eigenen Angaben von fermentierten Kräuterextrakt für Tiere, kurz FKE ab. „Vom Fermentierten Kräuterextrakt für Pferde ist es eine überschaubare Menge, rund 100.000 Liter. Die Standardprodukte sind den Pferdeprodukten aber in vielen Teilen ident. Daher greifen nicht alle zum Pferdeprodukt. Natürlich spielt das Marketing eine Rolle in diesem Zusammenhang“, sagt Herbert Oberroither, Bereichsleiter Tierhaltung und Ackerbau des Unternehmens. Ob die natürlichen Helfer aber in Zukunft tatsächlich ein ernst zu nehmendes Medizinprodukt bei Pferden werden könnten, bleibt abzuwarten.