Mikrobiome und pathogene Keime

entlang der Lebensmittelkette

Bettina Kristof

Bei der Produktion von Lebensmitteln kann es zu mikrobiellen Kontaminationen kommen, die zum vorschnellen Verderb der Nahrung führen oder beim Konsumenten ernsthafte Erkrankungen hervorrufen können.

Zum Schutz der Endverbraucher und zur Verbesserung der Produkthaltbarkeit ist die Risikobewertung, bestehend aus Gefahrenidentifizierung, Gefahrencharakterisierung, Expositionsbewertung und Risikocharakterisierung, essenziell. In den einzelnen Phasen der Lebensmittelproduktion kann es passieren, dass sich systematische wie auch stochastische Konta­minationsszenarien und Rekontaminationen ereignen. Wie in Zukunft damit umgegangen werden soll und wo Forschungsbedarf besteht, verriet uns Evelyne Selberherr, PhD, Assistenzprofessorin für Mikrobiomforschung vom ­Institut für Lebensmittelsicherheit, Lebensmitteltechno­logie und öffentliches Gesundheitswesen, in einem Interview.

Frau Doktorin Selberherr, welche Schwerpunkte der Vetmeduni Vienna gibt es im Institut?
Gemeinsam mit dem österreichischen Kompetenzzentrum für Lebensmittelqualität erforschen wir Mikroben entlang der Produktionskette. Wir untersuchen Mechanismen, die dem mikrobiellen Verderb zugrunde liegen, und erstellen Modellierungen von mikrobiellen Übertragungsszenarien. Genauso interessant sind für uns auch Keime, die eine Verbesserung der sensorischen Eigenschaften der Endprodukte bewirken. Das können etwa Mikrobiota sein, die zum Geschmack des Endprodukts beitragen. Mikrobiome in Nahrungsmitteln haben immer eine Vielzahl an funktionellen Inhaltsstoffen, die biologisch im Magen-Darm-Trakt wirken. Sie können das vorhandene Darmmikrobiom, die Stabilität der Darmbarriere und das Immunsystem positiv wie auch negativ beeinflussen.

Die Relevanz, die ich im Thema Lebensmittelsicherheit sehe, ist, dass weltweit jährlich 1,3 Milliarden Tonnen ­Lebensmittel weggeworfen werden, was 30 Prozent der Lebensmittel in der Primärverarbeitung entspricht. Laut WHO wird der Lebensmittelverlust zum weitaus größten Teil durch mikrobiellen Verderb bei der Primärverarbeitung und durch mikrobielle Rekontamination verursacht. Es besteht daher ein riesiges Potenzial darin, dem Verderb von Lebensmitteln vorzubeugen. Die UNO hat in den Sustainable Development Goals, die Ziele für die nachhaltige Entwicklung der Welt definieren, die Reduzierung des Lebensmittelverlusts zu einem Schwerpunkt ernannt.

Gibt es neue Erkenntnisse, wie man mikrobiologisch sichere Lebensmittel produzieren kann? Was gilt es zu beachten?
Wichtig ist zum einen eine kontinuierliche Überwachung von mikrobiellen Kontaminanten, die man in einem lebens­mittelverarbeitenden Betrieb bereits kennt. Ein weiterer Schritt ist die Identifizierung von ­Risikofaktoren in den Betrieben. Von Bedeutung ist auch die funktionelle mikrobiologische Forschung zum Verständnis, wie ein Mikroorganismus auf einen anderen wirkt, zum Beispiel, ob Mikro­organismus A einen Wachstumsvorteil hat, wenn Mikroorganismus B präsent ist. Mit diesem Wissen kann vorhergesagt werden, was passiert, wenn zwei mikrobielle Keyplayer auf einem Endprodukt aufeinandertreffen. Eine gute Alternative zu chemischen Konservierungsstoffen wird für die Lebensmittelkonservierung in Zukunft die Anwendung von geprüften Schutzkulturen und Bakteriocinen, mit denen man ungewollte Mikroorganismen hemmen kann, sein. Eine der vielversprechendsten Errungenschaften der letzten Jahre waren sicher Verpackungen, die mit modifizierter Atmosphäre, kurz MAP genannt, arbeiten.
Hier wird durch die Verdrängung des Sauerstoffs durch Schutzgase, häufig Stickstoff und Kohlenstoffdioxid, mikrobielles Wachstum unterdrückt. Lassen Sie mich die Wichtigkeit dieser Thematik am Beispiel der Fleischproduktion beschreiben: Muskelfleisch an sich ist steril – aber es gibt viele Stationen während der Schlachtung und Fleischverarbeitung, bei denen sich ein individuelles Mikrobiom am Endprodukt durch Kontaminationen aufbaut. Wir sehen, dass nur ein Bruchteil der Mikroorganismen vom Schlachttier selbst kommt. Die mikrobielle Dynamik in den Betrieben ist daher von großer Bedeutung bezüglich der Haltbarkeit und des Verderbs von Lebensmitteln, aber auch bezüglich der Gesundheit des Endverbrauchers.

Wird es in Zukunft noch andere Möglichkeiten geben?
Ja, es werden „smarte Verpackungen“ auf den Markt kommen, die Substanzen freisetzen, wenn Fleisch zu verderben beginnt. Es gibt dann einen Farbumschlag durch Sensorelemente, die in die Verpackung eingearbeitet sind. Die mikrobielle Qualität des gelagerten Produkts kann so visuell bewertet werden. Außerdem wird die Vorhersage der Haltbarkeit optimiert werden, indem man Wissen aus der Mikrobiomforschung miteinbezieht. Zurzeit werden HACCP-Konzepte (Hazard Analysis and Critical Control Points, Anm.) umgesetzt. Diese sind sehr wirksam und haben schon bekannte Gefahren als Grundlage. Im nächsten Schritt wäre es wichtig, dass man auch das funktionelle Potenzial der Keime und die Anpassungsfähigkeit von Mutationen kennt, damit man Vorhersagen machen kann. Dieses Wissen könnte man in die Risikobewertung einfließen lassen.

Sichere und gesunde Lebensmittel sind ein Schwerpunkt am Institut. Soll es überhaupt sterile Produkte geben?
Das ist abhängig vom Produkt. Es gibt Grenzwertvorgaben, die in der Verordnung EG Nr. 2073/2005 geregelt sind. Bei Ready-to-eat-Food und Produkten, die vor dem Verzehr nicht erhitzt werden, ist eine möglichst niedrige Keimzahl anzustreben. Diese Produkte sind anfällig für Kontaminationen und potenzielle Zoonosenüberträger. Bei sogenanntem „Functional Food“ und fermentierten Produkten will man über eine hohe Keimzahl an gesundheitsfördernden Mikroben positive Gesundheitseffekte bewirken. Solche Produkte sind für Mensch und Tier am Markt. Da man inzwischen weiß, wie wichtig die permanente Auseinander­setzung des Darms mit Umweltmikroben für eine natürliche Entwicklung und für ein starkes Immunsystem ist, würde ich davon abraten, Sterilität von Lebensmitteln als übergeordnetes Ziel zu definieren. Für eine lange Haltbarkeit ist sie für manche Produkte allerdings unumgänglich.

Wo liegen die größten Risikofaktoren hinsichtlich bakterieller Kontaminationen in der Lebensmittelkette? Gibt es dazu neue Studien?
Erstens gibt es den Risikofaktor aus der Primärproduktion, wo durch Rohmilch oder fäkale Kontamination von Schlachttieren Mikroben eingebracht werden. Zweitens gibt es Risikofaktoren während der Bearbeitung der Primär­produkte, wo Keime aus dem Produktionsumfeld eingetragen werden. Etliche pathogene Keime, etwa Listeria ­monocytogenes, werden erst über das Verarbeitungsumfeld in das Produkt eingebracht. Inzwischen weiß man, dass Listerien auch unter reduziertem Sauerstoffangebot, etwa in Vakuumverpackungen, gut überleben können. Davon sind dann vor allem Würste und Räucherfisch betroffen. Keime wie Listeria monocytogenes bilden auch gerne Bio­filme in lebensmittelverarbeitenden Betrieben aus. Neue Forschung zeigt, dass ein Biofilm viele unterschiedliche Mikroorganismen beinhaltet, die durch eine schleimartige Matrix ­geschützt werden. Bakterien wie Listerien persistieren dort und nützen Möglichkeiten zur Reaktivierung sehr effizient.

Wie kann man das vermeiden?
Wenn Betriebe mikrobiologische Schwachstellen ­vermuten, lohnt es sich, zu handeln, bevor Grenzwerte überschritten oder Pathogene nachgewiesen werden. Durch Betriebshygiene, Eigenkontrolle und Optimierung kritischer ­Stellen entlang der Produktion kann die Situation verbessert werden. Wir sehen häufig, dass beispielsweise bei fleischverarbeitenden Betrieben durch falsches Handling mit E2-Kisten, auf Förderbändern oder beim Zerkleinern von Fleischprodukten Rekontaminationen stattfinden. Wir bieten am Institut auch Dienstleistungen im Bereich Listerien-Monitoring sowie mikrobiologische und molekularbiologische Untersuchungen an, welche von vielen österreichischen Firmen genutzt werden.

Gibt es neue Studien zum Thema pathogene Keime?
Für viele Krankheitserreger spielt die Umwelt, ­insbesondere Temperatur, Geografie, Vegetation und Saisonalität, eine große Rolle für ihre Virulenz. Ein Beispiel sind ­Infektionen mit Salmonellen oder Campylobacter, die eine starke Saisonalität und Assoziationen mit dem Wetter aufweisen. Man geht inzwischen davon aus, dass durch die Erderwärmung Menschen mit vielen neuartigen, auch potenziell pathogenen Mikroorganismen und Zoonosen konfrontiert sein werden. In den letzten Jahren konnten etwa bei Listeria-monocytogenes-Stämmen hypovirulente Klone oft mit einer höheren Prävalenz von Stressresistenz- und Desinfektionsmittel-Toleranzgenen assoziiert werden, während hypervirulente Klone das Darmlumen besser besiedeln können. Innerhalb derselben mikrobiellen Spezies gibt es mehr ­Heterogenität als angenommen, und das wird ­Auswirkungen auf Empfehlungen zur Risikovermeidung haben. Dank Genomanalysen wissen wir, welche Form der Bekämpfung und welche Desinfektionsmittel einsetzbar wären, um auch diese Keime aus den Betrieben zu bekommen. Bei anderen laufenden Forschungsprojekten geht es darum, dass man in Zukunft herkömmliche Nahrungsmittel mit essbarer mikrobieller Biomasse ergänzen möchte, um die Produktqualität zu heben und Pathogene zu vermeiden. Biomasse können Bakterien, Mikroalgen, Hefen oder Pilze sein. Das wäre auch eine gute Quelle für Proteine, Vitamine und nützliche bioaktive Verbindungen. Wir hoffen, dass in Zukunft die „guten“ Mikroorganismen ein wesentlicher Bestandteil eines nachhaltigen Produktionssystems sein werden.  

Möchten Sie noch einen wichtigen Gedanken mit unseren Leserinnen und Lesern teilen?
Mir persönlich liegt der One-Health-Gedanke sehr am Herzen. Er bedeutet, dass die Gesundheit von Mensch, Tier und Umwelt untrennbar miteinander verbunden ist. Das betrifft auch unsere Mikroben, die wir tagtäglich teilen. Joshua Lederberg, Mikrobiologe und Nobelpreis­träger, meinte einst, dass die Zukunft der Menschheit und der Mikroben von „unserem Verstand im Vergleich zu ihren Genen“ abhängig sein wird – prophetisch, aber ein gut funktionierendes Produktionssystem wird den One-Health-Gedanken integrieren müssen, um ökologische Instabilitäten kontrollieren zu können.