Das Mikrobiom im Tier –

eine unbekannte Welt

Dr. med. vet. Nina Machac

Das Mikrobiom ist für die Veterinärmedizin mehr als beachtenswert – es hat vermutlich Auswirkungen auf Immunsystem, Leberfunktion, Gehirn, Verdauung, ­Appetit, Entzündung und Hormonhaushalt.

Seit die Idee geäußert wurde, der Stoffwechselleistung aller den menschlichen Körper besiedelnden Mikro­organismen Aufmerksamkeit zu schenken, da diese etwa  100 Mal mehr Gene aufweisen als ebendieser menschliche ­Körper, steht das Mikrobiom im Fokus der Wissenschaft.

Zum Mikrobiom zählen Viren, Bakterien, Archaeen und Pilze. Der Großteil der Bakterien sind Kommensale, manche sind sogar Symbionten, die wenigsten sind Pathogene. Die Funktionen dieser Bakterien sind äußerst vielfältig: Sie spalten Nahrungsbestandteile, produzieren Vitamine, kurzkettige Fettsäuren, Aminosäuren, ­Neurotransmitter, Bakteriocine, Antimykotika, antivirale Substanzen, Alko­hol und Endotoxine. Bakterien dekonjugieren und ­dehydroxylieren Gallensäuren, Steroidhormone und ­Medikamente und können deren Verstoffwechslung und Wirkung beeinflussen.

In beinahe jedem Organ wurde mittlerweile ­bakterielle DNA nachgewiesen, die Wirkung der Bakterien auf Immunsystem, Leberfunktion, Gehirn, Verdauung, ­Appetit, Entzündung, Hormonhaushalt, Knochenauf- und ­-abbau, Muskelregeneration und -aufbau, Insulinresistenz, ­Nierenfunktion und Herz ist momentan Gegenstandintensiver Forschung.

Am besten erforscht ist das Darmmikrobiom, das sich je nach Abschnitt des Verdauungstraktes unterschiedlich zusammensetzt. Das intestinale Mikrobiom von Säugetieren wird von fünf Phyla (Firmicutes, Bacteroidetes, Proteobacteria, Actinobacteria, Fusobacteria) dominiert. Katze, Hund und Mensch zeigen sogar eine ähnliche Verteilung der Bakterienklassen1 (Abb. 2).

Eine Störung des Mikrobioms nennt man Dysbiose. Die Diversität und einzelne Bakteriengruppen sind dabei reduziert; andere, beispielsweise Pathogene, konnten sich unverhältnismäßig stark vermehren. Eine Dysbiose führt zu einer gestörten Stoffwechselleistung des Mikrobioms (Metabolom) und damit zu Entzündung, verminderter Nährstoffspaltung und reduzierter Vitaminproduktion.

Circa 50 bis 80 Prozent (je nach Tierart unterschiedlich) des lymphatischen Apparats befinden sich im Darm, man bezeichnet dieses Gewebe als Mucosa Assocciated Lymphoid ­Tissue (MALT)2. Das MALT ist neben dem Mikrobiom, dem Mucus und den Darmepithelzellen Teil der drei-schichtigen Darmbarriere.

Die dem Darm aufliegende Schleimschicht schützt den Körper nicht nur vor schädlichen Umwelteinflüssen und pathogenen Keimen, sondern auch vor einem zu intensiven Kontakt des Immunsystems mit der Darmmikrobiota. Während in der äußeren Mucusschicht viele, auch kommensale Bakterien zu finden sind, ist eine dünne ­innere Schleimschicht nahezu steril2.

Bestimmte Oberflächenmoleküle der Bakterien (Micro­bial Associated Molecular Patterns – MAMPs) ­können unterschiedliche Immunzellen aktvieren und eine massive Ausschüttung proinflammatorischer Zytokine auslösen. So kann eine Überwucherung mit pathogenen Bakterien oder auch eine Einwanderung von Bakterien in die innerste Schleimschicht zu einem generellen proinflammatorischen Status des Immunsystems führen2. Dendritische Zellen dagegen sind antigenpräsentierende Zellen, können Bakterien oder Bakterienbestandteile aufnehmen und diese T-Zellen präsentieren, die wiederum entweder eine Immuntoleranz oder eine Immunreaktion vermitteln2.

Während TH1-Zellen und TH2-Zellen für eine zelluläre und humorale Immunantwort verantwortlich sind, kann man regulatorische T-Zellen (Tregs) als ihre Gegenspieler betrachten, da sie antiinflammatorisches IL-10 und IFN-β ausschütten. Im gesunden Darm bilden sie die Mehrheit der T-Zellen12.

Eine Dysbiose führt nicht nur zur Schädigung des Darmepithels durch pathogene Keime, sondern kann durch die direkte Aktivierung des Immunsystems zu Entzündungsreaktionen führen, die Darmbarriere schädigen und so zu einer erhöhten Permeabilität der Darmwand führen – ein sogenanntes „Leaky Gut“ ist entstanden (Abb. 3).

Bei einer Vielzahl von Erkrankungen lassen sich ­negative Veränderungen im Darmmikrobiom finden. Das beschränkt sich nicht nur auf Darmerkrankungen, sondern auch Übergewicht, Diabetes mellitus Typ 1 und Typ 2, Depression, Morbus Parkinson, rheumatische Arthritis, Neuro­dermitis, Leberzirrhose, Sepsis und chronische Niereninsuffizienz sind mit einer dysbiotischen Darmflora assoziiert.

Bei Hund und Katze konzentriert sich die Forschung aktuell auf den Verdauungstrakt, jedoch konnten einige Studien Veränderungen des Darmmikrobioms auch bei chronischer Niereninsuffizienz, Atopie, Magendrehung, Übergewicht, exokriner Pankreasinsuffizienz, FCoV-­Infektion und FIV-Infektion zeigen. Ob diese Mikrobiom­veränderungen Ursache oder Folge der Erkrankung sind, ist noch nicht abschließend geklärt12.

Viele Einflüsse wirken auf das Mikrobiom ein, allen voran die Ernährung. Eine Vielzahl an Studien konnte bei Hund und Katze den Einfluss verschiedener Rationen zeigen, die sich in Proteingehalt, Kohlenhydratanteil und Faseranteil unterschieden12.

Der Einsatz von Antibiotika beeinflusst das Mikrobiom intensiv, bei Hund und Katze konnten mehrere Studien den negativen Einfluss von Tylosin, Amoxicillin/Clavulansäure oder Clindamycin nachweisen3, 9, 13, 14; aber auch Medikamentengebrauch abseits von Antibiotika muss berücksichtigt werden. Eine 2018 in „Nature“ veröffentlichte Studie zeigte eine direkte antimikrobielle Wirkung von circa einem Viertel aller getesteten Medikamente8.

Besonders bei akutem Durchfall konnten Probiotika zu einer verbesserten Kotkonsistenz und einer kürzeren ­Dauer des Durchfalls führen7. Auch ein synergistischer Effekt von Metronidazol und E. faecium SF68 (in der EU zugelassen als Enterococcus faecium NCIMB 10415 bzw. Enterococcus faecium DSM 10663/NCIMB 10415) zur Therapie einer Giardien-Infektion wurde beschrieben4; eine alleinige Gabe von E. faecium reichte allerdings nicht aus, Giardien erfolgreich zu bekämpfen11.

Dünner wird die Studienlage bei chronischen Durchfällen, auch wenn eine Studie einen vergleichbaren Effekt von Prednisolon und einem Multistrain-Probiotikum auf klinische und histologische Parameter fand und zudem durch die Langzeitgabe des Probiotikums die Dysbiose beseitigt werden konnte10. Eine geringe Zahl an Forschungsarbeiten gibt es zu atopischer Dermatitis, chronischer Niereninsuffizienz, FHV-Infektion und ­Megakolon. Aufgrund der oft schlechten Qualität der Studien und ­Heterogenität hinsichtlich Dosierung und Wahl des Probiotikums lassen sich jedoch keine endgültigen Schlüsse ziehen7.

Ein Blick in die Humanmedizin gibt Anstöße für ­weitere Forschungsthemen zum Einsatz von Probiotika in der Veterinärmedizin bei Adipositas, Halitosis, Diabetes mellitus, NAFLD, atopischem Ekzem, Reizdarm sowie chronischen entzündlichen Darmerkrankungen.

Das Mikrobiom und dessen Beeinflussung durch Ernährung, Lebensstil und Medikamente stellt einen ­neuen ­Faktor dar, den es auch in der Veterinärmedizin zu beachten gilt und der neue Therapieansätze aufzeigt.

 

Quellen

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4. Fenimore A., Martin L. and Lappin M. R. 2017. Evaluation of Metronidazole With and Without Enterococcus Faecium SF68 in
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10. Rossi G., Pengo G., Caldin M., Palumbo-Piccionello A., Steiner J. M., Cohen N. D., Jergens A. E., Suchodolski J. S. 2014. Comparison of Microbiological, Histological, and Immunomodulatory Parameters in Response to Treatment with Either Combination Therapy with Prednisone and Metronidazole or Probiotic VSL#3 Strains in Dogs with Idiopathic Inflammatory Bowel Disease. PLoS One, 9(4): e94699.

11. Simpson K. W., Rishniw M., Bellosa M., Liotta J., Lucio A., Baumgart M., Czarnecki-Maulden G., Benyacoub J. and Bowman D. 2009. Influence of Enterococcus faecium SF68 Probiotic on Giardiasis in Dogs. J Vet Intern Med, 23: 476–481.

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14. Whittermore J. C., Stokes J. E., Price J. M. and Suchodolski J. S. 2019. Effects of a synbiotic on the fecal microbiome and metabolomic profiles of healthy research cats administered clindamycin: a randomized, controlled trial. Gut Microbes, 10(4): 521–539.