Messmethoden für Animal Welfare

Tanja Warter

Für viele verbirgt sich hinter dem Begriff ­Animal Welfare ein unklares Gebiet. Was sind eigentlich Indikatoren für „Tierwohl“ – und wie steht das alles in Beziehung zum Tierschutz? Eine Annäherung.

Dass „Animal Welfare“ bei vielen Tierärzt*innen so viele Fragen aufwirft, kommt nicht von ungefähr. Eine klare Definition? Fehlanzeige. Die Ursachen für die häufige Ver­wirrung bei uns liegen wohl in der Übernahme des eng­lischen „Animal Welfare“ in die deutsche Forschungs­sprache – der eins zu eins übersetzte Begriff „Tierwohl“ drückt zu wenig aus, was „Animal Welfare“ alles umfasst: Tierwohl (Gesundheit und Wohlbefinden), aber auch Tiergerechtheit (darunter versteht man tiergerechten Umgang und Haltung) sowie Tierschutz. Im deutschsprachigen Raum wird oft entweder Tierwohl oder Tiergerechtheit ­synonym für Animal Welfare verwendet. 

Einer der Pioniere der Animal-Welfare-Forschung ist der Amerikaner David Fraser. Schon Anfang der 1970er-Jahre untersuchte er an der Universität von Edinburgh, Schottland, intensiv gehaltene Schweine punkto Wohlergehen. Anschließend widmete er sich Elchen in Kanada; 1981 rief Fraser ebendort eine eigene Forschungsgruppe für Animal Welfare von Nutztieren ins Leben.   

Um seinem Arbeitsfeld objektiv anwendbare Kriterien zu geben und Animal Welfare beurteilbar zu machen, publizierte Fraser drei zu untersuchende Rahmenbedingungen: erstens die Gesundheit, zweitens die Ausführung natür­licher Verhaltensweisen und drittens das emotionale Wohlbefinden. Im Original nannte er die Kriterien „basic health and functioning, natural living, affective states“. Sind Tiere gesund, können sie ihr Normalverhalten ausführen und haben sie außerdem keine negativen Emotionen wie Schmerzen oder Angst, dann wird allgemein von einer guten Tierwohl-Situation und entsprechend auch von einer guten Haltung ausgegangen.

 
Bereits vor Frasers Forschungsgruppe war Aufbruch spürbar: Vor über 40 Jahren hatte die britische Regierung ein „Farm Animal Welfare Council“ einberufen; Anlass war das Buch „Animal Machines“ der Tierrechtsaktivistin Ruth Harrison, die die Zustände in der intensiven Nutztier­haltung anprangerte. Das Gremium tagte 1979 und legte für die Tierhaltung wünschenswerte Standards fest. Diese enthielten etwa die Forderung, dass Tiere die Möglichkeit haben müssen, „zu stehen, sich hinzulegen, sich zu putzen und ihre Gliedmaßen auszustrecken“.

Dieser Forderungskatalog war Inspiration für den Tierarzt John Webster, das weitreichende Konzept der „fünf Freiheiten“ zu entwickeln, das 1993 vom britischen Farm ­Animal Welfare Committee veröffentlicht wurde. Diese Freiheiten lauten: 

  1.  Freiheit von Hunger, Durst und Fehlernährung
    Die Tiere haben freien Zugang zu frischem Wasser und erhalten Nahrung, die ihre vollständige Gesundheit und Vitalität aufrechterhält.
     
  2. Freiheit von Unbehagen 
    Den Tieren wird ein geeignetes Umfeld inklusive Unterstand und angenehmer Ruhezone gewährt.
     
  3. Freiheit von Schmerz, Verletzung und Krankheit 
    Krankheiten und Verletzungen der Tiere werden durch tiermedizinische Betreuung möglichst verhindert bzw. schnell diagnostiziert und behandelt.
     
  4. Freiheit von Angst und Leiden 
    Die Tiere leben unter Bedingungen, die psychisches Leiden vermeiden. 
     
  5. Freiheit zum Ausleben normalen Verhaltens 
    Den Tieren wird ausreichend Platz sowie die Gesellschaft von Artgenossen (sofern sie keine Einzelgänger sind) gewährt. 

Die Veröffentlichung dieser fünf Freiheiten blieb nicht ohne Folgen: Die Weltorganisation für Tiergesundheit (OIE) mit Sitz in Paris erkennt sie bis heute als ihre Leitprinzipien an, und die Vereinigung europäischer Tierärzte empfiehlt, die fünf Freiheiten bei Animal-Welfare-Beurteilungen stets miteinzubeziehen. 
Aber Webster erntete auch Kritik: Da es in der Realität nicht möglich sei, Nutztiere stets vor negativen Einflüssen zu bewahren, würden die Freiheiten ein nicht umsetz­bares Bild zeichnen und falsche Hoffnungen und Erwartungen schüren, urteilten Kritiker. Aber auch sie räumten ein: Zur Bewertung und sukzessiven Verbesserung von Haltungssystemen seien die fünf Freiheiten eine Orientierung. Das modernere „Fünf-Domänen-Modell“ von 2016 könnte schon bald weitere entscheidende Impulse geben. 

Animal-Welfare-Erhebungen finden im klassischen Sinn im Rahmen von Betriebsbesuchen statt. Dort braucht es zusätzlich zum übergeordneten Konzept der fünf Freiheiten weitere Indikatoren; solche Indikatoren sind entweder tierbezogen (wie bei der Überprüfung von Lahmheiten), ressourcenbezogen (wenn es beispielsweise um die Beurteilung von Platz und Auslauf geht) oder managementbezogen. Bei Letzterem handelt es sich um die Einschätzung von Praktiken der Tierhalter*innen – vom Ausmisten bis zur Enthornung.   

Ein gleichzeitig tier-, ressourcen- und management­bezogenes Verfahren zur Beurteilung von Animal Welfare ist der Tiergerechtheitsindex. Er dient vor allem der objektiven Bewertung von Haltungssystemen – weiche Liegeflächen, Tageslicht, gutes Stallklima und viele weitere Faktoren fließen hier ein. Somit wird Animal Welfare im Sinne der Tiergerechtheit messbar. Daneben gibt es auch das Welfare-Quality-Verfahren, bei dem für die Bewertung tierbezogene Indikatoren im Vordergrund stehen: Die Tiere werden beim Betriebsbesuch intensiv beobachtet, auf dieser Grundlage basiert dann die Welfare-Einstufung. Für Tierhalter*innen selbst gibt es zum Eigenmonitoring weitere Checklisten, an denen man sich orientieren kann. 
 

Neben dem klassischen Betriebsbesuch kommen zunehmend datenbasierte Indikatoren zum Tragen. Sie vermitteln Werte über längere Zeiträume, können selbst kleinste Veränderungen sichtbar machen und verknüpfen außerdem verschiedene Parameter (etwa Lahmheit und Milchleistung) miteinander. Daher wird der datenbasierten Erhebung gerade für die Bestands­betreuung vielfach eine große Zukunft vorausgesagt. Manche meinen gar, die datenbasierte Auswertung des Animal-Welfare-Status könne Betriebsbesuche bald überflüssig machen – denkbar, doch die Daten beziehen sich überwiegend auf Gesundheitsparameter. Doch Animal Welfare ist so viel mehr …!