"Mein Motto war immer: ,Geht nicht`gibt's nicht!"

Dr. Christine Oberleitner-Tschan im Gespräch

Mag. Silvia Stefan-Gromen

Die Chefjuristin im Veterinärwesen, Dr. Christine Oberleitner-Tschan, hat mit 1. Juni 2024 ihren wohlverdienten Ruhestand angetreten. Wie sie auf ihre Karriere und ihre Zeit im Gesundheitsministerium zurückblickt und was sie sich für die Zukunft wünscht, hat sie uns im Vetjournal-Interview verraten.

Sie sind eine ausgewiesene ­Rechtsexpertin in Sachen Tiergesundheit und Veterinärrecht und haben an unzähligen Gesetzestexten ­mitgewirkt. Welche waren für Sie die ­wichtigsten Meilensteine?  

Die Meilensteine im Veterinärrecht, die ich miterlebt habe, waren die Umsetzung des EU-Rechts, wobei die ursprünglichen Richtlinien verspätet und schleppend in nationale gesetzliche Regelungen gegossen wurden. Zumeist waren neue nationale Verordnungen ausreichend, aber es waren eben auch Gesetze erforderlich. Zu nennen ist hier das Tiergesundheitsgesetz, das im Jahr 1999 beschlossen wurde, ebenso wie das Zoonosengesetz 2005. Auch die Integration der Schlachttier- und Fleischunter­suchung ins LMSVG (Anm. d. Red.: Lebensmittelsicherheits- und Verbraucherschutzgesetz) respektive auch das LMSVG selbst als Durchführungsgesetz von EU-Ver­ordnungen waren einschneidende Ereignisse; bis hin zur Veterinärrechtsnovelle 2008.

In letzter Zeit hat es dann den großen Umschwung gegeben, im Zuge dessen die EU das gesamte Veterinärrecht durch unmittelbar anwendbare Verordnungen geregelt hat und die bestehenden nationalen Gesetze nur mehr Durchführungsgesetze darstellen. 

Hat man die Federführung da nach Brüssel abgegeben? 

Nein, eigentlich nicht, denn das Veterinärwesen war immer ein weitgehend harmonisierter Bereich. Man muss das in einem historischen Rahmen sehen: Wenn man sich das alte Tierseuchengesetz ansieht, das noch aus dem Jahr 1909 stammte, und das mit dem aktuellen, neuen Tiergesundheitsrecht, das mit 1. Juli 2024 in Kraft getreten ist, vergleicht, dann war dies ein längst notwendiger Schritt. Im 20. Jahrhundert ist man davon ausgegangen, dass Österreich ein Binnenland ist und wir eine Festung sind. Die Annahme war, dass wir ohnedies einen guten Tiergesundheitsstatus haben, den wir nicht so genau zu prüfen brauchen. Es wurden alle Anstrengungen unternommen, keinesfalls Krankheiten ins Land zu holen, also war eines der wichtigsten Instrumente die Grenzkontrolle. Im Inland wurde vor dem EU-Beitritt nur passiv überwacht und allenfalls stichprobenartig kontrolliert. Falls es doch eine Tierseuche ins Land geschafft hat, dann wurde diese heftig bekämpft. Das zugrunde liegende Prinzip war: Gehandelt wird hauptsächlich innerhalb des Staats, und wenn wir etwas exportieren, dann kann der Käufer zusätzliche Untersuchungen verlangen – Hauptsache, wir lassen nur gesunde Tiere ins Land.

Ein regelmäßiges Screening oder ein Monitoring, wie heutzutage üblich, das war damals nicht vorgesehen. Das war eine grundlegende Neuerung durch die EU, innerhalb derer freier Handel aufgrund eines kontrollierten und bekannten Tiergesundheitsstatus möglich sein soll. Natürlich bringt diese Überwachung auch ständige Aufzeichnungspflichten mit sich und diese werden oft als Überbürokratisierung empfunden – sie sind aber sinnvoll und Grundlage des freien Tier- und Warenverkehrs.

Weshalb war es oft nicht klar, wie EU-­Bestimmungen in der Praxis auszulegen sind?

Es hing immer davon ab, ob die EU eine neue Richtlinie, die in innerstaatliches Recht gegossen wurde, oder eine neue Verordnung auf den Weg gebracht hat. Es wurden bis vor Kurzem gerade im Veterinärbereich sehr viele Richtlinien verabschiedet, wodurch der Bereich ohnedies stark harmonisiert war; in letzter Zeit neigt die EU dazu, unmittelbar anwendbare Verordnungen zu machen, die dann aber wieder Interpretationsspielräume für den jeweiligen Mitgliedstaat eröffnen. Ob das wirklich geschickter ist, wage ich zu bezweifeln. 

Vor allem die Tierärztekammer hat sich mit den Richtlinien leichter getan, weil wir im Ministerium den Rechtstext in die uns übliche Rechtssprache übersetzen durften. Dies ist bei einer Verordnung eben nicht gestattet – hier sind lediglich Durchführungsbestimmungen gestattet, sodass die Texte durchaus für Unklarheiten gesorgt und einige Rückfragen ausgelöst haben.

Wie kam es ursprünglich dazu, dass Sie sich auf das Veterinärwesen spezialisiert haben? 

Ich habe ursprünglich im Landwirtschaftsministerium in der Abteilung Wasserrecht angefangen zu arbeiten, habe dort dann meinen Chef nicht nur kennen, sondern auch lieben gelernt – sprich: meinen zukünftigen Mann ge­troffen. Aufgrund dessen habe ich ins Gesundheitsressort, ursprünglich in die Humangesundheit, gewechselt. Nach respektive während meiner Karenz wurde meine dama­lige Abteilung ans andere Ende der Stadt verlegt; mit einer kleinen Tochter im Kindergarten war eine Rückkehr aus zeitlichen Gründen für mich keine Option. Ich habe da­raufhin eine Möglichkeit gesucht, wieder ins Bundesamtsgebäude zurückzukehren, wo es auch einen Kindergarten gegeben hat. Ich bin daraufhin in die Abteilung Gen­technik versetzt worden – doch aus Raumnot war lediglich ein Zimmer in der Veterinärrechtsabteilung frei, und so hat mich mein damaliger Sektionschef aus pragmatischen Gründen gefragt, ob ich nicht auch am Veterinärrecht interessiert wäre. So kam es, dass ich 1995 in diesem Bereich gelandet bin.  

Aufgrund einer Umstrukturierung des Ressorts war ich dann von 1. Oktober 2003 bis 1. Jänner 2004 die einzige Juristin in der Abteilung, bis dann Dr. Martina Dörflinger, die heutige Leiterin der Fachstelle für tiergerechte Tier­haltung und Tierschutz, dazukam.

Rückblickend kann ich sagen, dass ich immer sehr gerne und sehr gut mit den Tierärzt*innen zusammengearbeitet habe. Bei dieser Materie wusste man auch immer, weshalb etwas verlangt wurde; es ging immer darum, sinn­volle rechtskonforme Lösungen zu finden. Das war für mich eine spannende Sache und interessante Heraus­forderung. Es reden Tierärzt*innen und Jurist*innen natürlich verschiedene Sprachen, aber ich bin aus einer Familie, in der die Juristen auch nicht so dicht gesät waren: Mein Vater war Bauingenieur, also habe ich gewusst, dass man mit anderen Berufsgruppen anders sprechen muss bzw. verschiedene juristische Formulierungen falsch aufgefasst werden können. Mein Motto war immer: „‚Geht nicht‘ gibt’s nicht!“ – allerdings geht es nicht immer so. Wir haben aber immer eine Lösung gesucht und gefunden.

Sie waren unter anderem auch für das ­tierärztliche Berufsrecht federführend ­verantwortlich. Was waren die größten ­Herausforderungen in diesem Bereich?

Ich musste diplomatisch sein, wobei mir das womöglich nicht immer gelungen ist. In Wirklichkeit war das Berufsrecht gar nicht so sehr die Herausforderung, weil das mehr oder weniger in sich vorgegeben war – was wir uns vom Gesundheitsministerium gewünscht haben, war, dass wir die Tierärzt*innen als Gesundheitsberuf etablieren konnten. Das ist EU-weit ein Unikum; wobei wir EU-rechtlich auch immer die vorgegebene Dienstleistungsrichtlinie zu berücksichtigen hatten.

In dem Bereich konnten wir uns mit dem EU-Beitritt jedenfalls nicht die Souveränität bewahren. Für Österreich ist der Tierarzt bzw. die Tierärztin auf jeden Fall ein Gesundheits­beruf – dies führt dazu, dass Tierärzte und Tierärztinnen auch sehr viele Verpflichtungen im Bereich der öffent­lichen Gesundheit haben. Ein Gesundheitsberuf ist schließlich mit einem besonderen Vertrauen und einer entsprechenden Verantwortung ausgestattet. 

Viele Tierärzt*innen klagen darüber, dass der Beruf überreguliert sei – was sagen Sie dazu?

Ich sehe das nicht so. Alle Regulierungen über den tierärztlichen Beruf, die aktuell im Tierärztegesetz stehen, dienen letztendlich dem Berufsstand und der Erhaltung des Tierärztevorbehalts, wobei die EU eigentlich einen wesentlich liberaleren Zugang vorsieht. 

Inhaltlich ist es klar, dass sich ein Tierarzt bzw. eine Tierärztin an die Vorgaben der veterinärmedizinischen Wissenschaft halten muss. Viele andere Vorgaben, die Tierärzt*innen betreffen, kommen nicht aus dem Berufsrecht selbst, sondern aus einem anderen Bereich – in der Landwirtschaft beispielsweise aus dem Lebensmittelrecht, das wiederum eine Querschnittsmaterie ist. 

Die empfundene Überbürokratisierung in der Arznei­mittelanwendung beziehungsweise die Dokumentation sind Regularien, die von der EU zur Erhaltung der Lebensmittelsicherheit oder im Sinne von „One Health“ auch als Maßnahme zur Hintanhaltung von Antibiotikaresistenzen vorgegeben sind. 

Die Tierarzneimittelverordnung der EU, die seit ein paar Jahren in Kraft ist, ist auch wieder unmittelbar anwendbares Recht. Da sind aus meiner Sicht gar nicht so viele Neuigkeiten drin, jedenfalls keine, die nicht zumindest im Ansatz ohnehin bereits im Arzneimittelgesetz geregelt waren.

In der Gesamtheit sind die Bestimmungen nicht bürokratischer, als sie nicht ohnehin schon waren. Jetzt müssen die Dinge in einer anderen Art und Weise eingemeldet werden, aber da können wir wirklich wenig dagegen tun.
 

Viele Tierärzt*innen eröffnen direkt nach ihrem Studienabschluss eine Tierarztpraxis – was raten Sie diesen?

Es ist schwierig, denn Tierärzt*innen müssen während ihrer Ausbildung nicht notwendigerweise mit der Juristerei in Kontakt gekommen sein, können aber wiederum sofort, wenn sie die Uni verlassen und sich in die Tierärzteliste der Tierärztekammer eingetragen haben, eine Praxis eröffnen. Und dann sind sie plötzlich mit Rechtsgebieten befasst, von denen sie noch nie etwas gehört haben. Das ist zum Teil problematisch; das wäre ein Punkt, wo man in der Ausbildung ansetzen müsste. Es gibt zwar die Gerichtsmedizin für Tierärzt*innen, wo ihre Rolle beim Kauf von Tieren und ihre Haftungen darlegt werden, und es wird auch das Tierarzneimittelrecht gelehrt – und im Bereich Tierschutz- und Veterinärrecht gibt es an der Uni ein sehr gut ausgestattetes Institut. Aber die engeren Bestimmungen, also zur Tierseuchenbekämpfung, Tiergesundheitsüberwachung, Biosicherheit und auch zum Zusammenspiel des Ganzen, werden nicht abgedeckt. Dennoch wird erwartet, dass die Tierärzt*innen alle betreffenden Bestimmungen kennen und einhalten. Dies ist auf der Universität für Bodenkultur anders: Dort gibt es ein Institut für Rechtswissenschaften, wo Verfassungs- und Verwaltungsrecht gelehrt werden und man daher Wissen über den gesamten Rechtsrahmen, in dem man sich bewegt, bekommt.

In letzter Zeit wurde immer wieder versucht, den Tierärztevorbehalt aufzuweichen – was erwartet uns in Zukunft?

Dazu muss ich sagen, dass wir im Vergleich zu anderen Ländern mit dem weit gefassten Tierärztevorbehalt ziemlich einsam auf weiter Flur sind: In Deutschland beispielsweise gibt es Tierheilpraktiker*innen, und in anderen EU-Staaten dürfen auch alle möglichen anderen Berufe weitgehend in der Branche mitmischen. Mit der letzten Novellierung des Tierärztegesetzes haben wir versucht, der Tierärztekammer die Möglichkeit zu eröffnen, selbst zu definieren, welche Voraussetzungen zum Beispiel für Hilfspersonen erfüllt sein müssen, um von Tierärzt*innen hinzugezogen werden zu können.   

Weiters macht es auch aus rechtlicher Sicht keinen Sinn, Mini-Berufsgruppen mit z.  B. jährlich zehn neuen Physiotherapeuten von Grund auf neu zu etablieren; daher blieben solche sogenannten Berufsgruppen nach wie vor im Hilfsbereich. Andernfalls müsste man über ein akade­misches Ausbildungsprogramm ähnlich dem Human­bereich sprechen, das wir derzeit in Österreich nicht haben. 

Die tierärztliche Hausapotheke ist ein Privileg, das es so nur in Österreich gibt – wie stark steht hier die Einschränkung des tierärztlichen Dispensierrechts zur Diskussion?

Eigentlich nicht. Aber Österreich ist innerhalb der EU auch wiederum einzigartig – und natürlich entstehen für den tierärztlichen Beruf wiederum apothekenrechtliche Anforderungen und damit weitere Regulierungen. Die Welt hat sich auch verändert, und offenbar neigen öffentliche Apotheken inzwischen dazu, ihr Repertoire zu erweitern. Ein weiteres Thema ist auch die ländliche Versorgung: Mit abnehmender Tierärzt*innendichte können manche Betriebe nicht mehr ausreichend betreut werden und die Landwirt*innen müssen sich anders zu helfen wissen, Stichwort Fernabsatz. 

Eigentlich ist das primäre Ziel des Arzneimittelrechts, den Arzneimitteleinsatz zurückzunehmen und den Antibiotika­einsatz zu regulieren und zu drosseln. Wenn allerdings jemand glaubt, dass der Verkauf von Arzneimitteln Teil seines Einkommens ist, wird die Bereitschaft, dies zu reduzieren, nicht unbedingt groß sein. Daher ist der tierärztliche Berufsstand gut beraten, sich wieder auf sein Know-how und seine Leistung zu besinnen und sich nicht primär in der Rolle als Arzneimittelhändler*in zu sehen.  

Sie waren lange Zeit Vorsitzende der ­Wahlkommission in der Österreichischen ­Tierärztekammer – wie haben Sie diese ­Funktion persönlich empfunden?

Die Funktion in der Wahlkommission war schön und ­interessant, am Wahltag selbst zwar anstrengend, aber eigentlich eine durchaus angenehme Tätigkeit. Zudem waren auch die Tierärzt*innen, die sich hier engagiert haben, immer sehr aufgeschlossen. 

Was wünschen Sie sich für Ihre Zukunft – und was haben Sie in der Pension noch alles vor?

Ich muss erst in einen neuen Rhythmus hineinfinden. Ich werde zwischen Niederösterreich und Wien pendeln, gewiss meine Tochter und mein dreijähriges Enkelkind besuchen, das lasse ich mir nicht entgehen. Und außerdem möchte ich ein bisschen mit dem Zug durch Österreich reisen. Zusätzlich habe ich auch noch ein paar Vorträge, die ich halten werde, beispielsweise bei der Mondsee-Tagung. Aber ehrlich gesagt merke ich schon jetzt, dass Pensionist*innen an permanentem Zeitmangel leiden, denn ich bin schon bis in den Oktober verplant!

Wir danken für das Gespräch!

Die Österreichische Tierärztekammer dankt für die langjährige Zusammenarbeit und wünscht für die Zukunft viel Tatkraft, Freude und Gesundheit! 


Ministerialrätin Dr. Christine Oberleitner-Tschan war bis vor Kurzem leitende Mitarbeiterin im österreichischen Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz. Sie zeichnete für die Leitung der Abteilung III/B/16 verantwortlich, die sich mit den Rechtsangelegenheiten im Bereich des tierärztlichen Berufsrechts, des Tiergesundheits- und Tierschutzrechts sowie weiteren rechtlichen Angelegenheiten im Veterinärwesen befasst. Zu dieser Aufgabe gehörte auch insbesondere die Aufsicht über die Österreichische Tierärztekammer sowie die Legistik und der Vollzug im Veterinärrecht, Tierarznei­mittelrecht und im Tierschutzrecht einschließlich der Zoonosenüberwachung.
Darüber hinaus war Dr. Oberleitner-Tschan auch in Fragen der EU-Koordination für den Bereich Verbrauchergesundheit zuständig.