Medikamentöse Schmerztherapie

bei Kleintieren

Mag. med. vet. Birgit Sist
Lead Medical Advisor, Richter Pharma AG
Obfrau des AVAN (Austrian Veterinary Analgesia Network)

Sowohl die AAHA (American Animal Hospital Association), in Zusammenarbeit mit der AAFP (American Association of Feline Practitioners), als auch die WSAVA (World Small Animal Veterinary Association) haben im Jahr 2015 ihre Richtlinien zum Schmerzmanagement bei Tieren überarbeitet bzw. neu herausgebracht, um der raschen Entwicklung auf diesem Gebiet gerecht zu werden.

Eine der wichtigsten Schlussfolgerungen der Richt­linien ist, dass Schmerzmanagement nicht als ein bloßer „Anhang“ der Veterinärmedizin zu sehen ist, sondern als ein zentraler Bestandteil. Die Linderung von Schmerzen ist nicht nur eine Verpflichtung des Berufsstandes, sondern ein essenzieller Beitrag zum erfolgreichen Abschluss von klinischen Fällen. Die Zeiten, in denen behauptet wurde, dass Tiere kein Schmerzempfinden haben, sind definitiv vorbei.

Viele Krankheiten und medizinische Eingriffe, die bei Kleintieren wie Hund und Katze vorkommen bzw. vorgenommen werden, verursachen Schmerzen. TierärztInnen und ihre Teams müssen für ihre Patienten eintreten und den Schmerz erkennen, einschätzen, wenn möglich verhindern und auf jeden Fall behandeln.

Dabei sind eine individuelle Einschätzung, adäquates Timing, die Wahl der Schmerzmittel und ein multimodaler Ansatz von größter Wichtigkeit.

Pain Management

Das oberste Ziel jedes Analgesieprotokolls bei geplanten Eingriffen sollte sein, Schmerz zu verhindern, bevor er entsteht – also präemptive Analgesie bereitzustellen.

Aber auch bei Traumata ist das richtige Timing sehr wichtig – je früher posttraumatischer Schmerz therapiert wird, desto besser verläuft die Heilungsphase, weil weniger Zeit für Sensibilisierung der Schmerzbahnen und das daraus resultierende „Wind-up-Phänomen“ bleibt.

Ein multimodaler Ansatz ist heute der Goldstandard in der Schmerztherapie. Darunter versteht man den Einsatz unterschiedlicher Klassen von Analgetika, die auf verschiedenen Ebenen der Schmerzbahnen eingreifen und durch den synergistischen Effekt zu breit gestreuter Analgesie führen.

Durch die dadurch mögliche Dosisreduktion der Einzelsubstanzen wird auch das Nebenwirkungsrisiko jedes einzelnen Medikaments verringert. Ziel ist es, den Schmerz so weit wie möglich zu reduzieren bzw. auszuschalten und dabei die negativen Auswirkungen der eingesetzten Medikamente auf den Patienten so gering wie möglich zu halten.

Drei Hauptklassen von Schmerzmedikamenten werden in der Veterinärmedizin eingesetzt: Opioide, nicht steroidale Antiphlogistika (NSAIDs) und Lokalanästhetika.

Zusätzlich gibt es sogenannte Adjuvantien, d. h. Substanzen, die primär andere Indikationen haben als Schmerzbekämpfung, aber analgetische Wirkung haben. Dazu zählen z. B. NMDA-Rezeptor-Antagonisten (Ketamin, Tile­tamin), Alpha-2-Agonisten (Medetomidin, Dexmedetomidin, Xylazin …), Gabapentin/Pregabalin und Tramadol.

Opioide

sind ein Eckpfeiler der effektiven Schmerztherapie und im Moment die stärksten erhältlichen Analgetika. Sie unterscheiden sich in Rezeptorspezifität und -affinität sowie in der Potenz, wodurch sie verschiedenartige klinische Wirkung (Wirkstärke, Wirkungseintritt, Wirkdauer und Nebenwirkungen) zeigen. Opioide werden allgemein in vier Gruppen unterteilt – reine Agonisten (Morphin, Methadon, Fentanyl …), partielle Agonisten (Buprenorphin), Agonisten/Antagonisten (Butorphanol, Nalbuphin) und Antagonisten (Naloxon, Naltrexon …).

Nicht steroidale Antiphlogistika (NSAIDs)

sind Substanzen, die entzündungshemmende, antipyretische und analgetische Wirkung zeigen, indem sie die Bildung von Arachidonsäurederivaten im Körper beeinflussen. Dabei geht es hauptsächlich um die Hemmung der Prostaglandinsynthese, die durch das Enzym Cyclooxygenase (COX) katalysiert wird. Es gibt zwei Isoenzyme der COX (1 und 2), die beide konstitutiv vorkommen, aber durch Entzündungsvorgänge in höheren Konzentrationen bereitgestellt werden. COX 2-Selektivität kann zwar potenziell Nebenwirkungen reduzieren, jedoch sind beide Formen für die normalen Körperfunktionen notwendig.

Abhängig von der jeweils eingesetzten Substanz sind NSAIDs wirksam gegen als „mild“ eingestufte Schmerzen. Nach Empfehlung der WHO-„Schmerzleiter“ – ursprünglich für Krebspatienten in der Humanmedizin entwickelt und mittlerweile als Richtlinie für jegliche Art von Schmerztherapie herangezogen – ist ein NSAID als Monotherapeutikum für jede Art nicht starken Schmerzes geeignet. Für jede weitere „Stufe“ – moderat bis höchstgradig schmerzhaft – müssen NSAIDs mit anderen, stärkeren Klassen von Analgetika kombiniert werden.

 
Lokalanästhetika

sind die einzige Medikamentenklasse, die eine komplette Analgesie garantieren, indem sie an die Na+-Kanäle der Nervenzellen binden und dadurch die Reizweiterleitung entlang der Nervenfasern blockieren. Zusätzlich werden ihnen antimikrobielle und immunmodulatorische Eigenschaften zugeschrieben, ebenso wie die Verminderung von postoperativen maladaptiven Schmerzzuständen. Lokal­anästhetika können entweder direkt an einer Inzisionsstelle appliziert werden, oder an einen spezifischen Nerv, um Analgesie für eine größere Region zu erhalten.

Adjuvantien

sind Medikamente, deren primäres Anwendungsgebiet nicht in der Schmerztherapie liegt, die aber analgetisch wirksam sind. Sie werden üblicherweise in Kombination mit den klassischen Analgetika eingesetzt.

Ketamin wird als dissoziatives Anästhetikum weitläufig eingesetzt. Mittlerweile ist bekannt, dass es über An­­tagonismus an den N-Methyl-D-Aspartat-Rezeptoren schmerzmodifizierende Wirkung entfaltet. Ketamin-Dauer­tropfinfusionen in subanästhetischen Dosen verhindern Schmerz und haben anti-hyperalgetische und anti-allodynische Effekte. Die Guidelines empfehlen den Einsatz von Ketamin als Teil eines multimodalen Konzeptes bei großen Operationen, bei Traumapatienten oder als Desensibilisierungstherapie bei Patienten mit chronischen Schmerzen.

Alpha-2-Agonisten sind Substanzen, die Sedierung, Hypnose, Analgesie und Muskelrelaxation bewirken. Sie sind stark synergistisch mit Opioiden, da Alpha-2-Rezeptoren mit Opioid-Rezeptoren gemeinsam lokalisiert sind. Sie werden weitläufig zur Sedierung für nicht invasive Eingriffe und als Teil von Protokollen zur balancierten Anästhesie angewandt und bei einer Reihe von Indikationen als „analgetische Adjuvantien“ eingesetzt, die die Schmerzstillung verstärken und Stress reduzieren. Ihre analgetische Wirkung dauert jedoch kürzer an als der sedierende Effekt. Alpha-2 Agonisten unterscheiden sich in der Rezeptorspezifität und Potenz (Xylazine<Romifidine<(Dex)medetomidine) und haben breitgefächerte Dosierungsprofile.

Gabapentin und Pregabalin wurden als Antikonvulsiva entwickelt und zeigen analgetische Eigenschaften, die vermutlich hauptsächlich auf der Down-Regulation von Calcium-Kanälen beruhen. Bisher erhältliche Daten und klinische Berichte unterstützen die Empfehlung für die Verwendung von Gabapentin/Pregabalin bei Katzen und Hunden mit neuropathischen oder anderen maladaptiven Schmerzzuständen.

Tramadol: Anders als Menschen und Katzen können Hunde den μ-agonistischen M1-Metaboliten von Tramadol nicht bilden. Potenziell analgetische Effekte können aber durch die Hemmung des Serotonin Re-Uptakes zustande kommen. In pharmakodynamischen Studien zeigte parenterales Tramadol anästhesiesparende und schmerzmodifizierende Wirkung. Beim Hund gibt es bis dato keinen Nachweis für diese Effekte bei oraler Verabreichung von Tramadol, obwohl es in der Praxis weitläufig eingesetzt wird. 

Das Wissen um die negativen Konsequenzen der Stress­antwort eines Organismus auf Schmerzen für Lebensqualität und Wohlbefinden hat Schmerzmanagement zu einem wichtigen Bestandteil der modernen Veterinär­medizin werden lassen. Verschiedene Veranstaltungen, u. a. der Schmerztag am 30. Juni 2017 in Wien (organisiert von der Richter Pharma AG), der darauffolgende Vienna Pain Day an der Vetmeduni Vienna und der Themenblock Schmerz auf dem WSAVA-Kongress im September 2017 in Kopenhagen, versuchen engagiert mit Beiträgen zum Thema Schmerzmanagement den Stellenwert dieses Themas hoch zu halten.

 
 
Literatur  

AAHA/AAFP Pain Management Guidelines for Dogs and Cats;
J Am Anim Hosp Assoc 2015; 51 (2): 67–84
Grimm/Tranquilli/Lamont: Essentials of Small Animal Anesthesia and Analgesia; 2nd edition; Wiley 2011 Seymour/Duke-Novakovski: BSAVA Manual of Cani