Eine der wichtigsten Schlussfolgerungen der Richtlinien ist, dass Schmerzmanagement nicht als ein bloßer „Anhang“ der Veterinärmedizin zu sehen ist, sondern als ein zentraler Bestandteil. Die Linderung von Schmerzen ist nicht nur eine Verpflichtung des Berufsstandes, sondern ein essenzieller Beitrag zum erfolgreichen Abschluss von klinischen Fällen. Die Zeiten, in denen behauptet wurde, dass Tiere kein Schmerzempfinden haben, sind definitiv vorbei.
Viele Krankheiten und medizinische Eingriffe, die bei Kleintieren wie Hund und Katze vorkommen bzw. vorgenommen werden, verursachen Schmerzen. TierärztInnen und ihre Teams müssen für ihre Patienten eintreten und den Schmerz erkennen, einschätzen, wenn möglich verhindern und auf jeden Fall behandeln.
Dabei sind eine individuelle Einschätzung, adäquates Timing, die Wahl der Schmerzmittel und ein multimodaler Ansatz von größter Wichtigkeit.
Pain Management
Das oberste Ziel jedes Analgesieprotokolls bei geplanten Eingriffen sollte sein, Schmerz zu verhindern, bevor er entsteht – also präemptive Analgesie bereitzustellen.
Aber auch bei Traumata ist das richtige Timing sehr wichtig – je früher posttraumatischer Schmerz therapiert wird, desto besser verläuft die Heilungsphase, weil weniger Zeit für Sensibilisierung der Schmerzbahnen und das daraus resultierende „Wind-up-Phänomen“ bleibt.
Ein multimodaler Ansatz ist heute der Goldstandard in der Schmerztherapie. Darunter versteht man den Einsatz unterschiedlicher Klassen von Analgetika, die auf verschiedenen Ebenen der Schmerzbahnen eingreifen und durch den synergistischen Effekt zu breit gestreuter Analgesie führen.
Durch die dadurch mögliche Dosisreduktion der Einzelsubstanzen wird auch das Nebenwirkungsrisiko jedes einzelnen Medikaments verringert. Ziel ist es, den Schmerz so weit wie möglich zu reduzieren bzw. auszuschalten und dabei die negativen Auswirkungen der eingesetzten Medikamente auf den Patienten so gering wie möglich zu halten.
Drei Hauptklassen von Schmerzmedikamenten werden in der Veterinärmedizin eingesetzt: Opioide, nicht steroidale Antiphlogistika (NSAIDs) und Lokalanästhetika.
Zusätzlich gibt es sogenannte Adjuvantien, d. h. Substanzen, die primär andere Indikationen haben als Schmerzbekämpfung, aber analgetische Wirkung haben. Dazu zählen z. B. NMDA-Rezeptor-Antagonisten (Ketamin, Tiletamin), Alpha-2-Agonisten (Medetomidin, Dexmedetomidin, Xylazin …), Gabapentin/Pregabalin und Tramadol.
Opioide
sind ein Eckpfeiler der effektiven Schmerztherapie und im Moment die stärksten erhältlichen Analgetika. Sie unterscheiden sich in Rezeptorspezifität und -affinität sowie in der Potenz, wodurch sie verschiedenartige klinische Wirkung (Wirkstärke, Wirkungseintritt, Wirkdauer und Nebenwirkungen) zeigen. Opioide werden allgemein in vier Gruppen unterteilt – reine Agonisten (Morphin, Methadon, Fentanyl …), partielle Agonisten (Buprenorphin), Agonisten/Antagonisten (Butorphanol, Nalbuphin) und Antagonisten (Naloxon, Naltrexon …).
Nicht steroidale Antiphlogistika (NSAIDs)
sind Substanzen, die entzündungshemmende, antipyretische und analgetische Wirkung zeigen, indem sie die Bildung von Arachidonsäurederivaten im Körper beeinflussen. Dabei geht es hauptsächlich um die Hemmung der Prostaglandinsynthese, die durch das Enzym Cyclooxygenase (COX) katalysiert wird. Es gibt zwei Isoenzyme der COX (1 und 2), die beide konstitutiv vorkommen, aber durch Entzündungsvorgänge in höheren Konzentrationen bereitgestellt werden. COX 2-Selektivität kann zwar potenziell Nebenwirkungen reduzieren, jedoch sind beide Formen für die normalen Körperfunktionen notwendig.
Abhängig von der jeweils eingesetzten Substanz sind NSAIDs wirksam gegen als „mild“ eingestufte Schmerzen. Nach Empfehlung der WHO-„Schmerzleiter“ – ursprünglich für Krebspatienten in der Humanmedizin entwickelt und mittlerweile als Richtlinie für jegliche Art von Schmerztherapie herangezogen – ist ein NSAID als Monotherapeutikum für jede Art nicht starken Schmerzes geeignet. Für jede weitere „Stufe“ – moderat bis höchstgradig schmerzhaft – müssen NSAIDs mit anderen, stärkeren Klassen von Analgetika kombiniert werden.