Manuelle Therapie beim Pferd –

Kann man Pferde mit den Händen heilen?

Dr. med. vet. Andrea Wüstenhagen
Zusatzbezeichnung Physikalische Medizin und Physiotherapie für Pferde, Traditionelle Chinesische Akupunktur

Manuelle Therapien, manuelle Medizin, von PferdebesitzerInnen auch gerne als „Healing Hands“ bezeichnet – das sind all jene Behandlungsmethoden, die nur mit den Händen ausgeführt werden. Doch können Pferde wirklich durch manuelle Techniken – durch „bloße Berührung“ – geheilt werden?

Ziele der manuellen Therapie

Das Ziel jeder manuellen Behandlung ist die Beseitigung von Bewegungseinschränkungen. Blockierte Strukturen bewegen sich nicht oder zu wenig, was sich als -verminderte Beweglichkeit und Gleitfähigkeit im Bewegungsapparat zeigt, in einer gestörten Funktion des Nervensystems und in einer Behinderung im freien Fluss der Körperflüssigkeiten (Blut, Lymphe, Gehirnflüssigkeit).  

Blockierungen und Blockaden beim Pferd führen nicht nur zu Problemen im Bewegungsablauf, sondern auch zu Schmerzen, zu stressinduzierenden Schwierigkeiten mit der Balance, zu einer Einschränkung in Organfunktionen oder Veränderungen im Verhalten. Mittels manueller Therapie kann die ursprüngliche Beweglichkeit wiederhergestellt werden, was auch zu einem für den Therapieerfolg oftmals entscheidenden Senken propriozeptiver Reize führt.

Welche Methoden umfasst die manuelle Medizin?

Manuelle Therapien umfassen Methoden aus der Physiotherapie, der Osteopathie, der Chiropraktik, aber auch aus der Kinesiologie, der Traditionellen Chinesischen Medizin oder speziellen Anwendungen aus der Energiearbeit.

Jede Berührung hat eine Wirkung auf das Pferd. Jedem Pferdetierarzt und jeder Pferdetierärztin ist aufgrund von Erfahrung aus dem Praxisalltag bewusst, dass gerade das Pferd als reflexgesteuertes Fluchttier sehr rasch auf die Art und Weise reagiert, mit der es berührt wird – sei es für eine Untersuchung, das Setzen einer Injektion oder für eine manuelle Behandlung.

Die Chiropraktik oder auch die strukturelle -Osteopathie arbeiten mit mobilisierenden und manipulierenden Techniken, um mechanische -Bewegungseinschränkungen, sogenannte Blockierungen, zu lösen. Blockierte und verspannte Strukturen (z. B. Gelenke, Muskeln, Bänder) werden dabei eingerichtet und entspannt. Das Einrichten entspricht dabei einer Rückführung zum physiologischen Gleichgewicht oder einer biomechanischen Justierung. Chiropraktik und strukturelle Osteopathie unterscheiden sich durch die angewandte Technik der Manipulation, meist auch durch die verwendeten Hebel, mit denen „eingerichtet“ wird; beide Therapien wirken direkt am Gelenk und dürfen daher in Österreich nur durch (speziell ausgebildete) Tierärztinnen und Tierärzte ausgeübt werden.

Neben der strukturellen Osteopathie gibt es noch die fasziale, die viszerale und die craniosacrale Osteopathie, die Techniken zum Lösen von Faszien, Organen sowie zur Harmonisierung des craniosakralen Rhythmus kennen.

Die Physiotherapie umfasst eine Vielzahl von mobilisierenden Techniken, angefangen von verschiedensten Formen der Massage über unspezifische Techniken wie Traktionen oder Schüttelungen bis hin zu spezifischen Dehnungen, Bewegungsübungen und Mobilisationstechniken. Die manuelle Behandlung kann am stehenden Pferd oder in Form einer Bewegungstherapie durchgeführt werden. Die Wirkung einer Physiotherapie ist immer eine Förderung von Durchblutung und Stoffwechsel im behandelten Areal, was zur Entspannung und Schmerzlinderung führt. Mehr Durchblutung bedeutet mehr Sauer-stoff und mehr Nährstoffe für das Gewebe sowie schnelleren Abtransport von Schlacken. Die Stoffwechsellage verbessert sich damit. Der geschädigte Bereich kann sich regenerieren – und heilen. Dass die Physiotherapie geeignet ist, Schmerzen beim Pferd zu lindern, erklärt sich einerseits durch den Abtransport von Schmerzmediatoren aus dem behandelten Gebiet. Weniger Schmerzen heißt weniger Stress fürs Pferd, was unter anderem zu einer sichtbaren psychischen Entspannung und einem Nachlassen eines Hypertonus in der Muskulatur führt. Außerdem führen die manuellen Methoden der Physiotherapie über den Gate-Control-Mechanismus zu einer verminderten Schmerzwahrnehmung, was die gewünschte psychische wie körperliche Entspannung unterstützt. Diese Entspannung ist notwendig, damit Wundheilungsprozesse ungestört ablaufen können. 

Der Einsatz der Physiotherapie ist oft das Mittel der Wahl beim Lösen von Verklebungen, welche häufig an Faszien, Sehnenscheiden oder in Form von Narbengewebe vorliegen und die Beweglichkeit, Lymph- und Nervenversorgung des Gewebes maßgeblich behindern. Durch die Wiederherstellung von Belastbarkeit und Beweglichkeit der einzelnen Strukturen kann das Bewegungspotenzial des Pferdes normalisiert werden. 

Speziell zur Behandlung von Lymphödemen, zur Aktivierung des Lymphsystems und somit zur Verbesserung der Stoffwechsellage und Förderung der Wundheilung kann die manuelle Lymphdrainage eingesetzt werden.

Die genannten mobilisierenden Methoden der -manuellen Medizin erfordern viel Fingerspitzengefühl, geschulte Hände und ein Gefühl für Timing, wann beispielsweise bei einer Manipulation der nötige Impuls effektiv gesetzt werden soll. Die Traditionelle Chinesische Medizin kennt neben dem Einsatz von Nadeln (Akupunktur), -Wärme (Moxibustion) oder Kräutern auch manuelle Methoden; etwa das Arbeiten am Meridiansystems des Pferdes. Die manuelle Behandlung spezieller Akupressurpunkte bringt den Energiefluss im  Körper wieder zum Laufen, das System kann sich danach selbst regulieren, Heilung wird eingeleitet. Die Akupressur ist eine sehr sanfte Möglichkeit der manuellen Behandlung und wird vom Pferd gut toleriert.

 
Wann hilft die manuelle Medizin dem Pferd?

Kleine Verletzungen, Koppelunfälle, unpassende Ausrüstung und Fehler in der Reitweise führen rasch zu Verspannungen beim Pferd. Jeder Schmerz führt zum Einnehmen einer Schonhaltung, welche wiederum zum Auftreten weiterer Verspannungen und Blockierungen führt. JEDES unwillige Pferd hat entweder Schmerzen oder weist zumindest eine Bewegungseinschränkung auf. Die -geforderte Lektion kann dann vom Pferd nicht umgesetzt werden. Lassen sich diese Probleme nicht durch eine Anpassung im Training lösen, kann der entsprechend ausgebildete Tierarzt mittels manueller Techniken erfolgreich therapieren.

Aufgrund der Vielzahl unterschiedlichster Techniken und der zugehörigen diagnostischen Verfahren in der manuellen Medizin sind auch die möglichen Einsatzgebiete der „Healing Hands“ sehr breit gefächert. Die manuellen Therapien können sowohl bei reiterlichen Auffälligkeiten – wie Taktfehlern, mangelnder Losgelassenheit, schwacher Hinterhandaktion, Widersetzlichkeit, Problemen mit der Versammlung, Problemen mit der Gerade-richtung u.v.m. – helfen als auch bei Erkrankungen des Pferdes sinnvoll sein. Besonders oft werden Manualmediziner zu Fällen mit unklaren Lahmheiten, wiederkehrenden Rücken-problemen, häufigen Koliken, Rosseproblemen oder in der Rekonvaleszenz zum Wiederaufbau nach Unfällen oder Verletzungen hinzugezogen. Die manuelle Medizin orientiert sich an den fühlbaren Strukturen, erkennt Bewegungseinschränkungen in mehreren Ebenen und weiß diese ohne Einsatz von Geräten oder Medikamenten zu beheben. Dieser Ansatz einer veterinärmedizinischen Behandlung erfordert spezielle Ausbildungen, ist allerdings in der Durchführung, abgesehen von der eingesetzten Zeit und dem nötigen Wissen, wenig aufwendig und wird vom Pferdebesitzer oft als schonende Heilmethode geschätzt.


Conclusio

Abschließend darf somit festgehalten werden, dass – versteht man unter Heilung alle Prozesse, die zur Wiederherstellung der vollen Funktions- und Leistungsfähigkeit des Tieres beitragen, die zum Überwinden einer Krankheit
führen, die zur Beseitigung von Leiden geeignet sind sowie zur Wiedererlangung von Gesundheit eingesetzt werden können – Pferde nur mit den Händen mittels -manueller Behandlungsmethoden geheilt werden können.