Gefahr im Anmarsch:

Vorkehrungen für die Lumpy Skin Disease (LSD) sind getroffen

Mag. Simon Stockreiter
Bundesministerium für Gesundheit und Frauen

Österreich ist ein schönes, kleines Land im Herzen Europas. Der Tierbestand ist mit etwa zwei Millionen Rindern (und circa 60.000 Rinderhaltern) vergleichsweise klein, der Großteil der Betriebe betreibt extensive Landwirtschaft.

Ein überwiegender Teil der Rinder genießt den Luxus der Freilandhaltung, insbesondere im alpinen Raum verbringen die meisten Tiere die Sommermonate auf den Weiden in den Bergen. Nichtsdestotrotz stellt der landwirtschaftliche Sektor in Österreich eine tragende Säule der Wirtschaft dar, lebende Tiere und deren Produkte werden in großem Ausmaß international gehandelt und in und außerhalb der Republik hoch geschätzt. Gottlob blieb unser Land seit mittlerweile Dekaden von großen Ausbrüchen hochkontagiöser Tierseuchen weitgehend verschont, doch nun nähert sich eine Tierseuche, die das Potenzial besitzt, diese Säule grundlegend zu erschüttern: die Lumpy Skin Disease (LSD). 

Der folgende Artikel möchte einen Überblick darüber geben, wie sich die Veterinärdienste, deren Zentralverwaltung im Zuständigkeitsbereich im Bundesministerium für Gesundheit und Frauen verortet ist, mit dieser sich nähernden Gefahr auseinandergesetzt haben. Die Ausführungen verstehen sich dabei nicht als Guideline und erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Noch viel weniger würden wir uns erlauben, die geschilderte Vorgehensweise als Empfehlung zu bezeichnen: eine praktische Evaluierung der getroffenen Maßnahmen ist ausständig, da noch kein grenznaher Fall von Lumpy Skin Disease in Österreich aufgetreten ist. (Und wir hoffen inständig, dass diese „praktische Evaluierung“ auch nicht erfolgen wird!) Vielmehr möchte dieser Artikel die grundsätzliche Herangehensweise darstellen, die hierorts gewählt wurde, und kann gegebenenfalls von Veterinärverwaltungen anderer Länder als „food for thoughts“ herangezogen werden. 

Hintergrundinformationen

Die LSD ist eine klassische zyklische Pockenkrankheit, die vom Capripox-Virus (Capripox bovis nodularis) hervorgerufen wird. Sie führt bei Rindern (auch bei ­Büffeln, Giraffen, Impalas) zu Hautausschlägen am ganzen ­Körper. Symptome sind Fieber, vermehrter Tränenfluss und Nasenausfluss. Es treten schmerzhafte, feste ­Schwellungen und Hautknoten auf, die sich bis zur darunter liegenden Muskulatur erstrecken können und bis über sechs Wochen bestehen bleiben. Sie wird sowohl durch direkten Kontakt als auch durch blutsaugende Insekten übertragen. Ein wesentlicher Faktor bei der Ausbreitung und bei der Bekämpfung spielt die lange Inkubationszeit von 28 Tagen (gem. OIE Terrestrial Code).

Vor 2012 war die LSD vor allem im südlichen Afrika verbreitet, seitdem kam es zu einer großräumigen Ausbreitung über den Mittleren Osten über die Türkei in Richtung Westen. Mit dem Auftreten der ersten Fälle in Thrakien und in weiterer Folge in Griechenland sind nunmehr seit 2015 auch der europäische Kontinent und EU-Mitgliedsstaaten betroffen. 

 
Aktualität ist Wichtig

Eine essenzielle Grundlage für die Veterinärverwaltung, um sich zielführend mit der Maßnahmenplanung aus­einandersetzen zu können, ist, ständig bestmöglich über die aktuelle Sachlage informiert zu sein. Als Mitglied der Europäischen Union hat Österreich den Vorteil, rasch auf verschiedene bestehende Informationskanäle zugreifen zu können. Die ADNS-­Datenbank (Animal Disease Notification System) ermöglicht es, ständig einen Überblick über die Seuchensituation in den betroffenen ­Ländern zu bekommen. Die grafische Darstellung der Lage und die bildliche Aufarbeitung der Entwicklung sind ein überaus hilfreiches Werkzeug, gilt es ja nicht nur, Experten zu informieren, sondern auch weitere Personenkreise (Medien, Politik, Stakeholder etc.) von der ­Brisanz der Lage in Kenntnis zu setzen. Um die verfügbaren Informationen bestmöglich nutzbar zu machen, wurde von der Österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) eine Visualisierung der aktuellen Seuchenlage auf Basis der ANDS-Notifications programmiert. Dieser Bericht wird seit Beginn der Ausbreitung der LSD in Südosteuropa wöchentlich aktualisiert und auf der Kommunikationsplattform Verbrauchergesundheit (www.verbrauchergesundheit.gv.at) veröffentlicht. Neben der Nutzung der Datenbank ist der regelmäßige internationale Informationsaustausch über die Seuchenlage und die getroffenen Maßnahmen ein wesentliches Element, um die aktuellen Entwicklungen im Überblick zu behalten. Den EU-Mitgliedsstaaten wird dieser Austausch auf mehreren Ebenen ermöglicht: Neben den ständigen Veterinärausschüssen in Brüssel finden regelmäßig Treffen der Chief Veterinary Officers (CVOs) sowie der Referenzlaboratorien und der nationalen Fach­experten auf EU-Level statt. Zu erwähnen ist hier auch das GF-TADs (Global Framework for the progressive control of Transboundary Animal Diseases) der FAO/OIE, das seit Beginn der Ausbreitung der LSD eine wertvolle Informationsplattform darstellt. Selbstverständlich sind in diese Informationsnetzwerke auch die diversen wissenschaftlichen Institutionen und Forschungseinrichtungen eingebunden, auf deren laufenden Erkenntnissen die zu treffenden Maßnahmen beruhen; hervorzuheben sind hier die überaus hilfreichen Risikoeinschätzungen der EFSA (European Food Safety Authority).   

Auch national wurde den nachgelagerten ­österreichischen Veterinärabteilungen von Anfang an ein umfassender Überblick über die Situation ermöglicht. Mithilfe von Webinaren wurden die Amtstierärztinnen und Amtstierärzte, die über ihre tägliche Arbeit in der Lage sind, frühzeitig Awareness bei den Tierhaltern zu schaffen, über die internationale Seuchen­situation und die Rechtsgrundlagen informiert. Diese Maßnahme wurde von den Kolleginnen und Kollegen dankbar angenommen und als sehr gut beurteilt.

Enge internationale Kooperationen helfen

Die Epidemiologie der LSD und die Darstellung der Ausbreitung machen rasch offensichtlich, dass kleinräumige, einzelstaatliche Maßnahmensetzungen nicht zielführend sind, um dieser Krankheit effektiv entgegenzutreten. Seit mehreren Jahren besteht eine enge Zusammenarbeit Österreichs auf Ebene der „Central European CVOs“, einer Kooperationsplattform, in der die Veterinärverwaltungen der Länder Bulgarien, Kroatien, Slowenien, Slowakei, Tschechien, Ungarn, Rumänien und Österreich vertreten sind. In einem Treffen im Juni 2016 wurden die diversen Problemkreise betreffend LSD analysiert und ein akuter Handlungsbedarf gesehen. Ein gemeinsamer Standpunkt an den EU-Kommissar Vytenis ­Andriukaitis wurde formuliert und die EK von den zuständigen Ministern der teilnehmenden Länder dringend ersucht, eine führende koordinative Rolle zu übernehmen. Den zu diesem Zeitpunkt bereits betroffenen Mitgliedsstaaten, aber auch den angrenzenden Balkanstaaten sollten zudem finanzielle Mittel zur Bekämpfung der Tierseuche aus dem EU-Budget zur Verfügung gestellt werden. Neben der nach Ansicht Österreichs moralischen Verpflichtung, den betroffenen Staaten ausreichende Unterstützung zukommen zu lassen, waren und sind wir der Überzeugung, dass jeder Euro, der für Bekämpfungsmaßnahmen in bereits betroffenen Gebieten investiert wird, das Risiko einer ­fortschreitenden Ausbreitung in Richtung Zentraleuropa vermindert. (Die Bereitstellung zusätzlicher finanzieller Mittel ist daher nicht als ausschließlich altruistischer Akt zu werten.) Ein weiteres, sehr dringliches Anliegen, mit dem sich die Gruppe gemeinsam an den Kommissar gewendet hat, war die dringende Notwendigkeit zur ­Überarbeitung der EU-Rechtsgrundlagen betreffend Lumpy Skin Disease. Die relevante – nach wie vor gültige – Richtlinie stammt aus dem Jahr 1992. Die darin vorgesehenen Maßnahmen wurden als nicht in der Lage angesehen, der Krankheit effektiv entgegenzutreten, so war beispielsweise eine prophylaktische Impfung in gefährdeten Gebieten verboten. Die Forderungen zur Überarbeitung wurden auf mehreren politischen Ebenen eingebracht, in weiterer Folge wurden von der EK ergänzende Durchführungsbeschlüsse zur Richtlinie verabschiedet. Die akkordierte Vorgehensweise und die gemeinsame Erarbeitung von Vorschlägen unter Berücksichtigung der Erfahrungen bereits betroffener Länder haben so zu einer verbesserten Praxistauglichkeit der Rechtsgrundlagen beigetragen, wenngleich immer noch Änderungsbedarf gesehen wird.      

Breiter Schulterschluss

Bereits recht früh, als sich im Frühjahr 2016 abzeichnete, dass der Versuch der Eindämmung der LSD durch Impfmaßnahmen in Griechenland nicht erfolgreich war, hat die Veterinärverwaltung in Österreich aktiv den Kontakt mit verschiedenen Institutionen und Sektoren in Österreich gesucht. Wie eingangs erwähnt, war Österreich lange von Ausbrüchen hochkontagiöser Tierseuchen verschont, weshalb das Problembewußtsein, welche weitreichenden Implikationen eine derartige Situation mit sich bringen würde, nicht zufriedenstellend gegeben ist. Die ­Konsequenzen eines LSD-Ausbruchs und die damit verbundenen Bekämpfungsmaßnahmen würden umfangreiche, direkte Konsequenzen in verschiedensten Bereichen auch außerhalb des direkten Wirkungsbereiches des Veterinärwesens mit sich bringen. Daher suchte das BMGF aktiv und frühzeitig den Kontakt zum Finanz-, Wirtschafts- und Außenressort sowie dem Kanzleramt und erläuterte, unterstützt durch die oben erwähnten Lageberichte, die Implikationen, die mit einem Seuchenzug verbunden wären. Es wurde eingeräumt, dass das Risiko eines Ausbruchs von LSD in Österreich als wahrscheinlich einzustufen ist, und dass gravierende volkswirtschaftliche Auswirkungen zu erwarten sind. Auch den verschiedenen Stakeholdern wurde im Rahmen zahlreicher Meetings die besorgniserregende Situation dargelegt. Von diesen (Milch und Fleisch verarbeitende Betriebe, Einzelhandel, Besamungsstationen) wurde zudem eine Analyse eingefordert, welche Auswirkungen ein Ausbruch und die damit verbundenen Handelsrestriktionen auf die einzelnen Sektoren haben würden. 

Während die in den letzten Jahren in Österreich aufgetretenen Tierseuchen praktisch ausschließlich zwischen der Veterinärverwaltung und speziellen Teilen des Landwirtschaftssektors zu koordinieren waren, war die Intention, von Anfang an darzulegen, dass diese Tierkrankheit keine Thematik ist, die einzig in die Verantwortung der Veterinärverwaltung fallen kann, und dass ein breiter Schulterschluss der verschiedenen betroffenen Sektoren erforderlich sein wird.  

Ausbruchsszenarios sowie eine Risikobewertung für Österreich wurden von der AGES erstellt, in diesen wird auf Basis der Erfahrungen der bereits betroffenen Staaten die Situation in Österreich abgebildet. Tierdichten und Handelsströme und die daraus resultierenden Risiken wurden abgebildet und Überlegungen zur weiteren ­Vorgehensweise angestellt. Ein Programm zur Früh­erkennung der LSD wurde erarbeitet. Sobald die LSD sich bis auf 100 Kilometer an die österreichische Staatsgrenze annähert, wird ein Überwachungsprogramm gestartet, mit dem Ziel, allfällige Ausbrüche in Österreich noch während der Inkubationszeit zu erkennen. Dazu wird auf Basis der geografischen Referenzeinheiten, die für das Bluetongue-Überwachungsprogramm herangezogen wurden, ein monatliches virologisches Monitoring gestartet, welches eine Detektion einer fünfprozentigen Prävalenz der LSD mit 95-prozentiger Sicherheit gewährleistet. Sobald sich die Krankheit auf 50 Kilometer an die Staatsgrenze annähert, wird die Frequenz des Monitorings auf zweimal monatlich erhöht. 

Probenahmesets wurden vom nationalen ­Referenzlabor vorbereitet und an alle lokalen Veterinärbehörden ­gesendet. So soll gewährleistet werden, dass bei einem ­allfälligen klinischen Verdacht sofort und unter Berücksichtigung der Biosicherheit die richtigen Proben entnommen werden können.

Ein Beschaffungsprozess für Impfstoffe wurde eingeleitet. Dem Bundesministerium für Gesundheit und Frauen steht zur Beratung ein Expertengremium (Tierseuchenexperten) zur Verfügung; in diesem wurde die Empfehlung formuliert, dass bei einem Ausbruch der LSD in Österreich die gesamte Rinder­population Schutzimpfungen unterzogen werden sollte. Da die flächendeckende Impfung nach der derzeitigen Risikoeinschätzung in drei aufeinanderfolgenden Jahren durchgeführt werden soll, wurde ein Ausschreibungsverfahren über 6,9 Millionen Impfdosen gestartet, um die ausreichende Verfügbarkeit des Impfstoffes zu gewährleisten. Eine Teilmenge des Impfstoffes (500.000 Dosen) soll dabei in Österreich bevorratet werden, um erforderlichenfalls sofort mit Impfungen beginnen zu können.  

Ein Impfprogramm zur Vorlage bei der Europäischen Kommission wurde vorbereitet. Bei der Durchführung der Impfung wird mit unterschiedlichen Prioritäten vorgegangen, um die vorhandenen Ressourcen effizient zu nutzen. Vorgesehen ist, sofort nach einem Ausbruch in der „infected zone“ (20 Kilometer Umkreis um den Ausbruchsbetrieb) mit der Impfung zu beginnen und sukzessive das Impfgebiet auf Basis der geografischen Einheiten zu erweitern, bis die gesamte Rinderpopulation in Österreich geimpft ist. Ein ungelöstes Problem stellt die laut derzeitiger EU-Regelung vorgesehene Impfverpflichtung der nachgeborenen Kälber dar; dies wird mit vertretbarem Aufwand in Österreich nicht durchführbar sein. Hier ist man bestrebt, nachgeborene Kälber gemeinsam mit den Revakzinierungen der älteren Tiere jährlich durchzuführen – eine Risikobewertung dieser Vorgehensweise wurde beauftragt. Die nationale Datenbank (VIS), die zur Dokumentation der Impfungen und der Seuchenbekämpfungsmaßnahmen genutzt werden soll, wurde im Hinblick auf einen LSD-­Seuchenzug umfassend adaptiert. Hintergrund der Änderung ist die Notwendigkeit, den Seuchentierärzten – es wird davon ausgegangen, dass bei der Bekämpfung von LSD auf zusätzliches Personal zurückgegriffen werden muss – einen beschränkten Zugriff auf diese Datenbank zu ermöglichen. Dieser Zugriff war bis dato nur den behördlichen Tierärzten möglich. 

Zu guter Letzt gilt es derzeit, die Krisenpläne der zentralen und lokalen Veterinärbehörden zu aktualisieren bzw. für die LSD anzupassen. Viele Detailfragen sind in diesem Bereich noch zu klären: Welche Biosicherheitsmaßnahmen für Seuchentierärzte sind erforderlich? In welchem Ausmaß sind Proben zu entnehmen? Wie erfolgt die Entsorgung von Futtermitteln und täglich anfallenden Milchmengen? Wie erfolgt die Rekrutierung von ausreichend Personal? Die Arbeiten hierzu sind noch voll im Gang und noch nicht abgeschlossen. Auch die Arbeitsabläufe und Verantwortungsbereiche auf Ebene des nationalen ­Krisenzentrums unterliegen derzeit noch einer Überarbeitung, hier ist man bestrebt, bereits im Vorfeld der Krise möglichst klare Strukturen festzulegen, um einen stringenten Ablauf zu ermöglichen.   

Hausaufgaben gemacht

Es wäre im Angesicht einer Katastrophe – und als nichts anderes wäre ein Ausbruch von LSD zu bezeichnen – ­vermessen, zu glauben, sich auf alle Eventualitäten gut vorbereitet zu haben. Es wird, falls wir von dieser Tierseuche nicht verschont bleiben, zweifelsohne zahllose Problemstellungen geben, die im Vorfeld nicht berücksichtigt wurden, die nicht absehbar waren oder schlicht gänzlich anders als geplant eingetreten sind. 

Es wird einer Vielzahl von „Ad-hoc“-Lösungen ­bedürfen. Für andere Problemkreise besteht Hoffnung, dass im Ernstfall einige vor diesem Zeitpunkt als „unmöglich“ verworfene Lösungsansätze plötzlich doch annehmbar sind, insbesondere gilt dies auch für die Bereitstellung ausreichender finanzieller und personeller Ressourcen. Nichtsdestotrotz versuchen die österreichischen Veterinärbehörden, sich bestmöglich auf dieses – in vielen Bereichen unplanbare – Szenario vorzubereiten. Viele Hausaufgaben wurden gemacht, viele weitere ­stehen uns bevor. Ob es auch für die anstehende Prüfung reichen wird, wird sich herausstellen, wobei uns gestattet sein soll, abschließend noch einmal den frommen Wunsch zu äußern: Lass diesen Kelch an uns vorübergehen! 

Der Artikel ist eine Übersetzung eines Beitrages, den das BMGF der FAO zur Verfügung gestellt hat.