Leitfaden für die Tierbehandlung am Biobetrieb –

neue Auflage

DDI Sylvia Maria Schindecker, Dr. Elisabeth Stöger
Landwirtschaftskammer Österreich

Dass Pferde nicht zum Tragen eines Reiters geboren sind, ist hinlänglich bekannt. Erst gezieltes Training macht den Pferderücken so weit tragfähig, dass er durch das Reitergewicht keinen Schaden nimmt. Doch auch das beste Training hat Grenzen.

In Österreich wurden im Jahr 2018 23.474 landwirtschaftliche Betriebe mit einer Fläche von 643.600 ha biologisch bewirtschaftet. Der Anteil der Biobetriebe an den gesamten landwirtschaftlichen Betrieben beläuft sich demnach bereits auf 21,3 Prozent, wobei 25 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Flächen biologisch bewirtschaftet werden. Der Großteil der Biobetriebe hat auch Tiere (rund 19.000 Betriebe), deshalb sind Kenntnisse in den biologischen Richtlinien zu diversen Fragestellungen – Wartezeiten, Behandlungshäufigkeit etc. – auch für TierärztInnen von großer Bedeutung. Deshalb hat man sich entschlossen, den Leitfaden für die Tierbehandlung am Biobetrieb zu überarbeiten und neu aufzulegen, um den BiolandwirtInnen und TierärztInnen die aktuellsten Informationen zur Verfügung zu stellen. In den nächsten Absätzen werden ein paar wichtige Auszüge aus diesem Leitfaden vorgestellt.
 

Rechtliche Grundlagen 

Seit dem Beitritt zur Europäischen Union 1995 werden die Produktion, die Verarbeitung, die Kontrolle und der Import von Bioprodukten durch die EU-Bio-Verordnungen geregelt. Um als landwirtschaftlicher Betrieb innerhalb der Europäischen Union als bio­logisch wirtschaftend zu gelten, müssen die EU-Bio-Verordnungen 834/2007 und 889/2008 (gültig seit 1. 1. 2009) eingehalten werden. In einzelnen Teilbereichen, die von der EU-Bio-Verordnung noch nicht geregelt sind, bzw. bis zum Ablauf einiger Übergangsfristen gilt die Richtlinie des Beirates für die biologische Produktion. Für Biobetriebe, die Mitglied in einem Bioverband sind, gelten darüber hinaus die jeweiligen Verbandsrichtlinien (zum Beispiel Bio Austria, Erde und Saat). Zusätzlich gibt es noch privatwirtschaftliche Vereinbarungen zwischen den Biohandelsmarken und den an verschiedenen Projekten teilnehmenden BiolandwirtInnen („Ja!Natürlich“, „Zurück zum Ursprung“ etc.). Die wichtigsten Vorgaben zur tierärztlichen Behandlung stammen aus der EU-Bio-Verordnung, die anderen rechtlichen Vorgaben spielen in diesem Bereich nur eine untergeordnete Rolle.

Arzneimittelanwendung am Biobetrieb

Grundsätzlich ist bei allen arzneimittelrechtlichen Angelegenheiten die nationale Gesetzgebung – also das Tierarzneimittelkontrollgesetz mit den dazugehörigen Verordnungen – bindend. Von der EU-Bio-Verordnung her gibt es keine Einschränkung in der Auswahl der Arznei­mittel, daher dürfen vom Tierarzt am Biobetrieb alle Tierarzneimittel, die auch am konventionellen Betrieb erlaubt sind, eingesetzt werden. Ausdrücklich verboten sind am Biobetrieb die Verwendung von wachstums- oder leistungsfördernden Substanzen (z. B. Kexxtone), der vorbeugende Einsatz von Antibiotika und chemisch-synthetischen Tierarzneimitteln sowie der systematische Einsatz von Hormonen zur Kontrolle der Fortpflanzung (z. B. Embryotransfer oder Brunstsynchronisation). Die therapeutische Verwendung von Hormonen bei Einzeltieren ist erlaubt.

Bevorzugt soll die Krankheitsbehandlung am Biobetrieb mit phytotherapeutischen (pflanzlichen) und homöopathischen Präparaten sowie mit Spurenelementen erfolgen. Unterschiede zum konventionellen Betrieb gibt es bei der Wartezeit, der Anzahl der erlaubten Behandlungen und bei den Behandlungsaufzeichnungen zu beachten.

Bio-Wartezeiten

Grundsätzlich ist zwischen der gesetzlichen Wartezeit (= allgemein gültig) und der für Biotiere erforderlichen – meist längeren – Wartezeit zu unterscheiden. Innerhalb der gesetzlichen Wartezeit dürfen Tiere grundsätzlich nicht zur Gewinnung von Lebensmitteln herangezogen werden. Die gesetzliche Wartezeit beginnt am ersten Tag nach Abschluss der Behandlung und muss immer eingehalten werden. Damit ein tierisches Produkt als Bioprodukt vermarktet werden darf, ist die gesetzliche Wartezeit bei chemisch-synthetischen Arzneimitteln zu verdoppeln.

Beispiel: Eine Kuh mit Mastitis wird vier Tage lang mit einem antibiotischen Euterinjektor behandelt, der eine gesetzliche Wartezeit auf Milch von fünf Tagen hat. Der Tag nach der letzten Behandlung gilt als erster Tag der fünf­tägigen Wartezeit. Nach Ablauf der gesetzlichen Wartezeit darf die Milch wieder konventionell vermarktet werden. Die doppelte Wartezeit für Bio beträgt in diesem Fall zehn Tage, somit darf die Milch erst nach weiteren fünf Tagen wieder als Biomilch vermarktet werden. Eine Verdoppelung der Wartezeit ist nur für chemisch-synthetische Arzneimittel notwendig. Phytotherapeutika und Homöopathika sind von der Verdopplung der Wartezeit ausgenommen (Bevorzugung von phytotherapeutischen und homöopathischen Präparaten, VO (EG) 889/2008, Art.24), die Behandlung ist auf jeden Fall aufzuzeichnen.

Immer wieder zu Diskussionen über die Wartezeiten­regelung für Biobetriebe führt die Tatsache, dass auch dann eine Bio-Wartezeit einzuhalten ist, wenn die gesetzliche Wartezeit null Tage beträgt. Die EU-Bio-Verordnung verlangt nach der Anwendung von chemisch-­synthetischen Arzneimitteln eine Mindestwartezeit von 48 Stunden für Milch, Fleisch und Eier. Werden jedoch Homöopathika oder pflanzliche Arzneimittel wie Stullmisan oder Colosan mit einer Wartezeit von null Tagen eingesetzt, beträgt die Wartezeit auch für Biotiere null Tage.

Anzahl der erlaubten Behandlungen

Die Anzahl der Behandlungen mit chemisch-synthetischen Tierarzneimitteln ist gemäß EU-Bio-Verordnung beschränkt: Erlaubt sind maximal drei Behandlungen innerhalb von zwölf Monaten; bei Tieren wie Mastschweinen, deren produktiver Lebenszyklus weniger als ein Jahr beträgt, ist maximal eine Behandlung zulässig.

Ausgenommen hiervon sind Impfungen, Parasitenbehandlungen und obligatorische Tilgungsmaßnahmen (z. B. Rauschbrandimpfung, Dasselbekämpfung etc.) sowie die Behandlung mit homöopathischen und phytotherapeutischen Arzneimitteln. Weiters trifft diese Ausnahme auf die Anwendung von betäubenden/schmerzstillenden Mitteln wie z. B. im Zuge von Kastration und Enthornung zu. Unter „Behandlung“ ist dabei nicht die einmalige Verabreichung eines Arzneimittels zu verstehen, sondern die Behandlung einer Krankheit vom Beginn bis zu ihrer Ausheilung. Somit kann eine Behandlung die wiederholte Verabreichung eines oder mehrerer Arzneimittel umfassen und sich über mehrere Tage erstrecken. Es kann auch ein Wechsel von Arzneimitteln erforderlich sein. Das erneute Auftreten dieser Krankheit zu einem späteren Zeitpunkt gehört dann jedoch nicht mehr zu dieser Behandlung.

Beispiel: MMA bei einer Muttersau nach dem Abferkeln: Die dreitägige Gabe eines Antibiotikums bis zur Ausheilung entspricht einer Behandlung.

Wird die Anzahl der erlaubten Behandlungen überschritten, so müssen das Tier bzw. dessen Produkte konventionell vermarktet werden oder eine erneute Umstellungszeit durchlaufen. In diesem Fall muss sich der Landwirt mit seiner Bio-Kontrollstelle in Verbindung setzen. 

Behandlungsaufzeichnungen

Für die Tierärztin/den Tierarzt sind grundsätzlich die Aufzeichnungen nach dem Tierarzneimittelkontrollgesetz verpflichtend (Datum, Name und Anschrift des Tierhalters, Anzahl der behandelten Tiere, Diagnose, verschriebene Tierarzneimittel, Dosis, Behandlungsdauer, gesetzliche Wartezeit …). Im Sinne der Kundenfreundlichkeit wird empfohlen, auch die Verdopplung der Wartezeit bzw. die Einhaltung einer Mindestwartezeit auf dem Behandlungs- und Abgabebeleg zu vermerken. Wenn der Tierarzt diese Verdoppelung auf dem für die Arzneimittel­anwendung vorgesehenen Beleg nicht vermerkt, muss dies durch den Landwirt erfolgen, da er für diese Dokumentation verantwortlich ist. Falls es darüber hinaus seitens einzelner Handelspartner zusätzliche Auflagen gibt, ­sollen diese vom Landwirt betriebsintern dementsprechend ­dokumentiert werden. Tierärzte sollten bedenken, dass eine unzureichende Dokumentation für den Biolandwirt Sanktionen bei der Bio-Kontrolle nach sich ziehen kann.

Impfungen

Impfungen werden in der EU-Bio-Verordnung hinsichtlich der Behandlungshäufigkeit mit Parasitenbehandlungen und obligatorischen Tilgungsplänen gleichgestellt. Demnach kann ein Tier auch mehrmals pro Jahr geimpft werden, ohne von der biologischen Vermarktung ausgeschlossen zu werden. 

Die meisten Impfstoffe dürfen ohne Einhaltung einer Wartezeit angewendet werden. In diesem Fall müssen auch Biobetriebe keine Wartezeit einhalten. Bei der Anwendung von Impfstoffen mit Wartezeit kommt es auch am Biobetrieb zu keiner Verdoppelung der Wartezeit. Auch Impfungen müssen aufgezeichnet werden.

Anwendung homöopathischer Arzneimittel

Bei homöopathischen Potenzen ab D4 bzw. C2 (also D4, D5, D6 sowie C2, C3, C4 und höhere Potenzen) ist laut Verordnung (EU) Nr. 37/2010 grundsätzlich keine Wartezeit erforderlich. Dies gilt auch für die Anwendung im Biobetrieb und für alle zur Lebensmittelerzeugung ­genutzten Tiere. Die Verdoppelung der Wartezeit für Biobetriebe bzw. die Einhaltung einer Mindestwartezeit gilt somit nicht für homöopathische Arzneimittel. 

Die Anwendung homöopathischer Arzneimittel ist nach den gleichen Vorgaben wie die Verabreichung von ­chemisch-synthetischen allopathischen Arzneimitteln zu dokumentieren.

Arznei- oder Futtermittel

Eine häufige Beanstandung bei der Bio-Kontrolle sind am Biobetrieb vorgefundene und vom Tierarzt abgegebene (Ergänzungs-)Futtermittel, die nicht biokonform sind. Laut EU-Bio-Verordnung dürfen an Wiederkäuer nur Futtermittel verfüttert werden, die zu 100 Prozent aus biologischer Landwirtschaft stammen. In der Fütterung von Schweinen und Geflügel darf derzeit der Anteil von konventionellen Eiweißfuttermitteln fünf Prozent ­betragen.

Futtermittel können – im Gegensatz zu Arzneimitteln – vom Tierarzt zwar abgegeben, aber nicht verschrieben werden. Somit kann ein Pulver zur Stoffwechselunterstützung, eine Elektrolyttränke oder eine orale Vitaminmischung für den Biolandwirt zu einer Sanktion bei der Bio-Kontrolle führen, sofern es sich bei den abgegebenen Präparaten um keine Arzneimittel oder biotaugliche Futter­mittel handelt. Es ist daher wichtig, dass der Tierarzt seine Kunden darüber aufklärt, ob es sich bei dem abgegebenen Produkt um ein Arzneimittel oder ein Futter­mittel handelt. Dasselbe gilt auch für Pflegemittel (z. B. Pflegecreme) oder Schädlingsbekämpfungsmittel (z. B. Waschlösungen), die nicht dem Arzneimittelgesetz unterliegen. Auch hier soll der Kunde darauf hingewiesen werden, dass es sich nicht um Arzneimittel handelt. Biobetriebe können jederzeit Einsicht in den (jährlich neu herausgegebenen) Betriebsmittelkatalog des Vereins ­infoXgen (www.infoxgen.com) nehmen, der jene Betriebsmittel (u. a. Ergänzungsfuttermittel, erlaubte Wirkstoffe zur Schädlingsbekämpfung) auflistet, die den biologischen Vorgaben entsprechen. 

Die Praxiserfahrung zeigt, dass sich manche Fragen erst am Betrieb oder im Rahmen der Bio-Kontrolle zeigen. Weitere Informationen können Sie dem Leitfaden zur Tierbehandlung am Biobetrieb entnehmen, der online unter folgenden Links verfügbar ist: 

www.lko.at/bio

www.infoxgen.com/richtlinien-downloads.html

www.bio-austria.at/download/leitfaden-fuer-die-tierbehandlung-am-bio-betrieb

Fragen zur Tierbehandlung im Biobetrieb werden gern von den Autoren des Leitfadens beantwortet: den TierärztInnen Dr. Elisabeth Stöger, Dr. Werner ­Hagmüller, Dr. Doris Gansinger (für den Bereich Phytotherapie und Futtermittel). Fragen zur Homöopathie richten Sie bitte an die Österreichische Gesellschaft für Veterinärmedizinische Homöopathie: Dr. Petra Weiermayer und Dr. Michael Ridler.