Lebensmittelsicherheit

kann nicht hineinkontrolliert werden

Mag. Eva Kaiserseder

Sie sind seit 2014 Direktor der EFSA. Was sind deren Hauptaufgaben?
Unsere Hauptaufgabe ist die wissenschaftliche Bewertung von Risiken in der Lebensmittelkette. Diese spezifische Tätigkeit und die Gründung der EFSA waren eine Konsequenz der BSE-Krise Ende der 90er-Jahre. Eine wesentliche Erkenntnis der BSE-Krise war, die Risikobewertung vom Risikomanagement zu trennen. Die Wissenschaft sollte unbeeinflusst von Wirtschaft und Politik ihre Arbeit machen können. Als zweite EFSA-Aufgabe fungiert die objektive und zeitnahe Risikokommunikation. Es geht darum, über Gefahren und deren Eintrittswahrscheinlichkeit in der Lebensmittelkette zu kommunizieren und diese in einen verständlichen Kontext einzubetten. -Unsere Kommunikationspartner sind die EU-Bürger, NGOs, Verbraucherschutzorganisationen sowie Entscheidungsträger in Brüssel und den EU-Staaten. Zwei im Umfang -kleinere, aber nicht weniger wichtige Aufgaben der EFSA sind die Beschäftigung mit „Emerging Risks“, also Risiken, die künftig auf uns zukommen können, und die wissenschaftliche Kooperation. Europäische Zusammenarbeit ist einer unserer Kernwerte, und mit der Gründung der EFSA wurde die Kooperation auf eine neue, höhere Ebene gebracht. Heute arbeiten die europäischen Staaten eng zusammen, um Risiken zu vermindern und im Fall von Krisen die Schäden zu minimieren. 

Wo sieht sich die EFSA in Bezug auf Transparenz? 
Transparenz ist ebenfalls einer unserer Kernwerte; er wurde -bereits in der EFSA-Gründungsverordnung explizit festgeschrieben. Wir wollen das, was wir tun und wie wir es tun, so zugänglich und verständlich wie möglich machen. Wir publizieren alle Dokumente auf unserer Webseite, wir „streamen“ über unsere Homepage wissenschaftliche Treffen und Kongresse, wir sind im regelmäßigen Dialog mit NGOs, Verbraucherschutzorganisationen und anderen Stakeholdern. In unserer Strategie „EFSA 2020“ gehen wir noch einen Schritt weiter: Nicht nur Transparenz soll geschaffen werden, sondern wir wollen die Zivilgesellschaft an unserer Arbeit beteiligen. Das ist unser „Stakeholder Engagement Approach“, bei dem wir uns fragen: Wie können wir nicht nur unsere wissenschaftlichen Gutachten nachvollziehbarer machen, sondern interessierte Menschen in die Prozesse einbinden und damit mehr Vertrauen in unsere Arbeit schaffen? Natürlich ist das nicht ganz so einfach, wie es klingen mag: Zum einen, weil die wissenschaftliche Materie komplex ist, und andererseits, weil es bedingt durch Social Media viele „News“ gibt, die nicht dazu beitragen, das Vertrauen in unsere Lebensmittel zu stärken. Wir versuchen, auch mit sozialen Medien, den Bürgern unsere Arbeit und die Funktion des europäischen Systems der Lebensmittelsicherheit näherzubringen. 

Mit welchen Tools wird seit Gründung der EFSA in der Lebensmittelsicherheit gearbeitet? 
Eines vorweg: Die BSE-Krise hat eine tief greifende Zäsur für das Vertrauen in die Lebensmittelsicherheit bedeutet. Die gesamte Architektur des europäischen Lebensmittelsicherheitssystems wurde neu konzipiert und im allgemeinen Lebensmittelrecht im Jahr 2002 kodifiziert. Einer der wesentlichen Grundsätze ist seither, dass -Futtermittel- und Lebensmittelhersteller für sichere Lebensmittel verantwortlich sind. Der Schwerpunkt wurde von der erst nachträglich erfolgenden Kontrolle in die Produktion -sicherer Lebensmittel gelegt. Das neue Lebensmittelrecht hat Verfahren festgelegt, wie dieses Prinzip sichergestellt wird, wie Rückverfolgbarkeit in der Lebensmittelkette garantiert werden kann und welche Aufgaben die Behörden haben. Im Rahmen dieser Verordnung wurde auch die EFSA gegründet, wobei, wie schon gesagt, die wissenschaftliche Risikobewertung von Politik und Wirtschaft getrennt -wurde. Hier war Europa sehr konsequent, konsequenter als andere Länder. In den USA sieht das anders aus. 

Wie läuft das dort ab?
Natürlich ist es schwer zu vergleichen, weil die Systeme völlig anders sind, aber die FDA (Food and Drug Administration, Anm. d. Red.) hat beide Aufgaben inne, dort gibt es diese Trennung in der Form nicht. Insgesamt hat Europa durch BSE einen sehr hohen Preis bezahlt, aber – ohne zynisch klingen zu wollen – dadurch auch gezwungenermaßen viel lernen können. 

Sie selbst sind Tierarzt und kommen aus der Milch-hygiene. Was kann man den Kollegen draußen mit auf den Weg geben in Sachen Lebensmittelsicherheit? 
Ich kann hier nur auf einer allgemeinen Ebene antworten und würde sagen, ein ganz wichtiger Punkt, den man sich immer wieder ins Bewusstsein rufen muss, ist: Lebensmittelsicherheit kann nicht in Produkte hineinkontrolliert werden, sie muss erzeugt werden. Die Kontrolle stellt nur sicher, dass sich jeder an die Spielregeln gehalten hat und seiner Verantwortung für sichere Lebensmittel nachgekommen ist. Hier haben auch unsere Kollegen eine Riesen-verantwortung: nämlich beizutragen, dass hochwertige Lebensmittel vom Anfang der Kette an erzeugt werden und nicht erst nachher durch die Kontrollen das Gute vom weniger Guten getrennt wird. In diesem gesamtheitlichen Ansatz geht es um Tierschutz, Tiergesundheit und Tierarzneimittel, und hier insbesondere um den restriktiven Einsatz von Antibiotika. Antibiotikaresistenzen stellen eine der größten Herausforderungen für die öffentliche Gesundheit in Europa und auch global dar. Die Bewusstseinsschaffung für diesen Themenkomplex bei allen Akteuren halte ich für extrem wichtig. 

Was tut sich aktuell bei den Antibiotikaresistenzen?
Die gemeinsamen Berichte der EFSA, der Europäischen Arzneimittelagentur in London und des Zentrums für -Seuchenprävention in Stockholm belegen, dass die Resistenzsituation in Europa nach wie vor ein Problem darstellt, wobei ein starkes Nord-Süd-Gefälle besteht. Die nordischen Staaten haben seit vielen Jahren Systeme entwickelt und Anreize geschaffen, um die Anwendung von Antibiotika in der Tierproduktion zu verringern. Es sind in -Europa noch viele Anstrengungen und konkrete Maßnahmen erforderlich, um, wie wir in der EFSA sagen, ein „Reduce – -Replace – Rethink“ im Antibiotikaeinsatz zu erzielen.

In Österreich gibt es seit Anfang 2014 die Antibiotika-Mengenstromverordnung, wie sieht es da in anderen EU-Staaten aus?
Dank des Einsatzes von BMG, AGES und den TGDs hat Österreich in den letzten Jahren viele Fortschritte erzielt. Vorbildlich in der Mengenerfassung sind auch hier die nordischen Staaten. Ein wesentlicher Aspekt ist die Bewusstseinsbildung rund um die Wichtigkeit des Themas. 

Stichwort Verbraucherschutz: Wo sind die EU-Bürger aktuell am meisten verunsichert? 
Die Wahrnehmung der Risiken ist laut Euro-Barometer in den verschiedenen Staaten recht unterschiedlich. Im Allgemeinen haben Verbraucher Angst vor Chemie in -Lebensmitteln, also Rückständen von -Pflanzenschutzmitteln oder Arzneimitteln in tierischen Erzeugnissen. Auch Lebensmittelzusatzstoffe und gentechnisch veränderte Organismen geben Anlass zur Sorge.

Wie wird die Risikolandkarte von Experten gesehen?
Wir sehen andere Problematiken. Weit oben stehen nach wie vor lebensmittelbedingte Infektionskrankheiten, Zoonosen, die vom Tier auf den Menschen übertragen werden können. Bei den lebensmittelbedingten Infektionskrankheiten sind es alte Bekannte wie Campylobacter, Salmonellen oder Listerien, welche die „Hitliste“ anführen. Virale Erreger erlangen zusehends größere Bedeutung, wohl auch aufgrund besserer Nachweistechniken. Mykotoxine – Giftstoffe, die von Pilzen erzeugt werden – nehmen ebenfalls einen wichtigen Platz in der Risikolandkarte ein. Auf dem Gebiet der Tierseuchen haben die nordosteuropäischen Länder mit der afrikanischen Schweinepest bei Wild- und Hausschweinen zu kämpfen. Österreich ist frei davon, jedoch sind im Juni 2017 in Tschechien, nur rund 80 Kilometer von Österreich entfernt, Fälle aufgetreten. Im südosteuropäischen Raum grassiert die Lumpy Skin Disease, eine seit langer Zeit in Afrika endemische Krankheit der Wiederkäuer. Die Infektion breitete sich in den 2000er--Jahren im Nahen Osten aus und wurde durch kriegsbedingte Fluchtbewegungen in die Türkei und von dort in die EU eingeschleppt. Über Griechenland gelangte die Krankheit auf den Balkan. Eine massive Impfaktion in den Balkan-staaten hat die Ausbrüche zwischen 2016 und 2017 um 95 Prozent reduziert. Der H5N8-Typ der Vogel-grippe ist in den Jahren 2016 und 2017 in 29 europäischen Ländern, darunter auch in Österreich, nachgewiesen worden. Nachdem sich die epidemiologische Situation in Österreich im Frühjahr 2017 wesentlich verbessert hatte, konnten die Biosicherheitsmaßnahmen mit Ende Mai 2017 aufgehoben werden. Ausbrüche in Ländern der EU sind auch im Jahr 2018 auf der Tagesordnung – UK, Schweden, Niederlande, Italien, Irland, Dänemark, Bulgarien.

Wie kann man den Erkrankungen bei Menschen begegnen?
Lebensmittelbedingte Infektionskrankheiten werden nach wie vor unterschätzt. Auch bei diesem Thema kommt die Verantwortung aller Akteure in der Lebensmittelkette wieder zum Tragen: Tierärzte spielen eine große Rolle für gesunde Tierbestände und hygienische Schlacht- und Verarbeitungsbedingungen; Lebensmittelverarbeiter und -handel für die Einhaltung von HACCP-Prinzipien – und auch die Verbraucher: für die Beachtung der Grund-regeln der Küchenhygiene. Eine weitere Reduzierung der -lebensmittelbedingten Infektionskrankheiten ist durchaus -möglich.