Kraftwerk Nieren:

Nierenerkrankungen bei Hund und Katze

Bettina Kristof

Nierenerkrankungen bei Hund und Katze: PD Dr. med. vet. Roswitha Dorsch von der LMU München über neue Ansatzpunkte in der Therapie.

Bei Katzen gehört eine beeinträchtigte Nierenfunktion zu den häufigsten gesundheitlichen Problemen. Auch Hunde sind von Erkrankungen der Nieren stark betroffen. PD Dr. med. vet. Roswitha Dorsch von der Abteilung für Innere Medizin an der Medizinischen Kleintierklinik der LMU München spezialisierte sich auf Krankheiten des Harntraktes und gab dem Vetjournal ein Interview über ihre neuesten Erkenntnisse.

Frau Dr. Dorsch, Niereninsuffizienz ist vor allem bei Katzen eine häufige Erkrankung. Was sind die typischen Ursachen?
Das ist eine Frage, die nicht ganz leicht zu beantworten ist, denn in vielen Fällen können wir die auslösende Ursache nicht feststellen. Es ist bekannt, dass bei ungefähr 70 Prozent der Katzen das histologische Bild einer interstitiellen ­Nephritis vorliegt. Hier hat man zwar ein histologisches Bild, aber dennoch kennt man die Ätiologie nicht. Neuere Studien haben gezeigt, dass Katzen mit einer schlechten Zahngesundheit und Katzen, die jährlich geimpft werden, ein höheres Risiko haben, eine chronische Nierenerkrankung zu entwickeln. Auch eine Fütterung mit sehr hohem Phosphatgehalt oder stark ansäuernde kaliumarme Futtermittel können langfristig zu Nierenerkrankungen führen. In letzter Zeit wird auch die Beteiligung verschiedener Infektionserreger diskutiert, zu nennen wären Leptospiren. Die Untersuchung der Beteiligung verschiedener Infektionserreger – Leptospiren, Morbilliviren, Feline Foamy Virus – ist auch Inhalt einer aktuellen Studie an unserer Klinik. Auch hereditäre Nephropathien, wie etwa die polyzystische Nierenerkrankung PKD bei Perserkatzen oder British-Kurzhaar-Katzen oder die Amyloidose bei Abessinierkatzen, sind immer wieder festzustellen. Da die genetische Basis der PKD bei Perserkatzen festgestellt werden konnte, existiert seit vielen Jahren ein Gentest, mit dem betroffene Tiere bereits im jungen Alter identifiziert werden können. Vorher wurden Zuchttiere schon im jungen Alter geschallt, um Merkmalsträger zu identifizieren und von der Zucht auszuschließen. Durch diese Maßnahme ist die PKD deutlich seltener geworden.

Und welche Ursachen kann eine Nierenproblematik bei Hunden haben?
Bei Hunden ist der Anteil der Tiere mit hereditärer ­Nephropathie deutlich größer als bei Katzen. ­Deswegen sind es zum einen die ganz jungen Hunde, bei denen eine Nierenerkrankung festgestellt wird, und dann häufen sich die Nephropathien wie bei den Katzen besonders bei ­älteren Tieren. Hunde haben deutlich häufiger als ­Katzen Glomerulopathien. Diese äußern sich initial nur durch eine Proteinurie. Unbehandelt kommt es aber in der ­Folge auch zum Untergang von Nephronen und zur ­Azotämie. Wird eine Glomerulopathie diagnostiziert, können die Ursachen wiederum vielfältig sein. In jedem Fall sollte bei Hunden, die sich in endemischen geografischen Regionen aufgehalten haben, nach chronisch persistiernden Infektionen – zum Beispiel Leishmaniose, Ehrlichiose, Dirofilariose – gefahndet werden.

Was das akute Nierenversagen angeht, sind Hunde häufiger betroffen als Katzen. Die Leptospirose ist nach wie vor eine wichtige Ursache dafür, aber auch Toxine wie Ethylenglykol, Weintrauben und Rosinen oder Malonylsäure, die in manchen Entkalkungsmitteln enthalten ist. Ein Szenario für eine Vergiftung mit Malonylsäure, das wir in vergleichbarer Form bereits mehrfach gesehen haben, ist: Ein Familienmitglied entkalkt den Wasserkocher und vergisst, das Wasser mit dem Entkalker wegzuschütten. Ein zweites Familien­mitglied füttert die Hunde und mischt zu dem Futter besagtes Wasser aus dem Wasserkocher. Die Folge: Alle Hunde erleiden ein akutes Nierenversagen, das so gravierend ist, dass eine Dialyse notwendig ist. Die zwei größeren Hunde ­überleben, beim kleineren war die aufgenommene Toxindosis zu hoch und er muss schließlich eingeschläfert werden – für alle Beteiligten eine Katastrophe.

Für Katzen dagegen sind andere Toxine problematischer. Die Aufnahme von Lilien, die ein bisher nicht identifiziertes Nephrotoxin in Blüten, Blättern und Stängeln haben, führt unbehandelt zu einer Tubulusnekrose, einem anurischen Nierenversagen, und endet leider häufig tödlich.

Welche Faktoren können eine Nierenerkrankung beeinflussen?
Medizinisch gesehen muss man einmal zwischen einer ­akuten Nierenschädigung und einer chronischen Nierenerkrankung unterscheiden. Allerdings kann jede akute Schädigung der Nieren eine chronische Nephropathie nach sich ziehen, wenn sich ein Tier nicht ganz von dem akuten Insult erholt. Zum anderen ist eine chronisch kranke Niere viel empfindlicher für die verschiedensten ­akuten Insulte. Diese können toxischer Natur sein, aber auch durch eine Ischämie, etwa durch eine anästhesie­bedingte Hypotension, bedingt sein. Es wird auch diskutiert, ob die chronische Nierenerkrankung nicht einfach die Folge vieler kleiner akuter Insulte ist. In vielen Fällen von chronischen Nephropathien können wir die auslösende Ursache einfach nicht mehr feststellen.

Was sind die ersten Anzeichen einer chronischen Niereninsuffizienz?
Zu Beginn einer chronischen Nierenerkrankung sind Hunde und Katzen klinisch nicht symptomatisch. ­Daher ist es auch sinnvoll, bei beiden Spezies ab einem bestimmten Alter jährliche Gesundheitschecks, die Blut- und Urinuntersuchungen einschließen, durchzuführen. Empfohlen wird dies ab einem Alter von über sechs Jahren. Jährliche Untersuchungen erlauben eine Beobachtung der Kreatinin-Entwicklung. Ein Anstieg des Kreatinins bei gleichbleibendem Körpergewicht ist ein Indikator für eine abfallende glomeruläre Filtrationsrate. Seit einigen Jahren ist auch SDMA als Frühparameter einer Nephropathie verfügbar. Bei den klinischen Symptomen ist oft als Erstes eine Veränderung im Trinkverhalten zu mehr Wasseraufnahme zu beobachten. Für die Besitzer ist dies aber meist nicht negativ. Bei weiterer Abnahme der GFR kommt es schließlich auch zu urämischen Begleiterscheinungen, und Hunde und Katzen zeigen gastrointestinale Symptome, Gewichtsverlust, struppiges Fell oder sogar urämischen Foetor ex ore. Unabhängig vom Schweregrad der Erkrankung kann mit einer Nephropathie eine systemische Hypertension einhergehen, und bei manchen Katzen ist eine durch Hypertension bedingte Blindheit die erste Auffälligkeit für den Tierbesitzer. Die Einteilung in die verschiedenen Stadien gemäß der International Renal Interest Society (IRIS, Anm.) erfolgt nach der Höhe des Kreatinin- und des SDMA-Wertes. Die Guidelines für das Staging wurden erst vor Kurzem aktualisiert und sind online unter www.iris-kidney.com verfügbar. Auf dieser Website finden sich auch stadiumspezifische Therapierichtlinien.

Wie wird eine Niereninsuffizienz generell behandelt?
Die wichtigste Therapiemaßnahme bei einer chronischen Nierenerkrankung im frühen Stadium (ab Stadium 2) ist die Fütterung eine Nierendiät. Ganz wichtig ist es, bei jedem Tier mit einer chronischen Nierenerkrankung den Blutdruck zu messen und das UPC zu bestimmen, um zu sehen, wieviel Protein der Patient über die Niere verliert. Denn bei 40 % der Katzen mit chronischen Nierenerkrankungen und bei 85 % der Hunde liegt eine Hypertension vor, die unbedingt behandelt werden muss. Unbehandelter Bluthochdruck kann am Auge z. B. zu Netzhautblutungen führen, am Herzen zu einer Herzmuskelverdickung, kann im Gehirn zu Blutungen führen und schädigt die Niere weiter. Bei Hunden und Katzen mit chronischen Nierenerkrankungen in fortgeschrittenen Stadien, sind symptomatische Therapien für urämische Begleiterscheinungen notwendig: z. B. Infusionstherapie, gastrointestinale Phosphatbinder, Antiemetika, Darbepoetin.

Wenn man bei einer Katze eine Nierenerkrankung im IRIS-Stage 1 diagnostiziert, sollte man diese direkt auf eine Nierendiät umstellen?
Gemäß der IRIS-Guidelines ist eine Umstellung auf Nierendiät erst ab dem Stadium 2 sinnvoll. Wir empfehlen aber auch im IRIS-Stage 1, ein Futter mit einem moderaten Phosphatanteil zu wählen. Außerdem muss man mit potenziell nephrotoxischen Medikamenten vorsichtig sein. Generell ist es wichtig, bei der Gabe von Medikamenten immer die Nierenproblematik im Hinterkopf zu haben. Im Falle einer notwendigen Anästhesie ist ein ­gutes Narkose­monitoring mit Blutdruckkontrolle vorteilhaft. Wir ­würden bei diesen Katzen regelmäßige Kontrollen der Nierenparameter empfehlen.

Welche Entwicklungen zeichnen sich in der Behandlung von Nierenerkrankungen bei Hunden und Katzen ab?
Eine chronische Nierenerkrankung ist nicht reversibel und generell ein fortschreitender Prozess. Allerdings bleiben viele Katzen sogar über Jahre stabil, bei anderen dagegen schreitet die Progression sehr schnell voran. Wir kennen einige prognostische Parameter – Proteinurie, Phosphatkonzentration, Hämatokrit –, aber vermutlich ist auch die unterschiedliche Ätiologie ein Grund für die sehr unterschiedlichen Verläufe. Deshalb ist es uns ein Anliegen, mehr über die Ätiologie zu erfahren, damit wir dann gezielter behandeln können. Im Moment ist das meistens nicht möglich.

Gibt es neue Therapiemethoden?
Bei Nierenerkrankungen sammeln sich urämische Toxine im Blut an. Das sind Stoffwechselprodukte, die normalerweise über die Nieren ausgeschieden werden. Wenn die Filtrationsleistung der Nieren abnimmt, funktioniert das aber nicht. Eines dieser urämischen Toxine ist Indoxylsulfat. In den letzten Jahren gab es einige Publikationen, die gezeigt haben, dass Indoxylsulfat selbst schädigenden Effekt auf die Nieren hat und zudem ein prognostischer Parameter für die Progression der Nierenerkrankung ist. Ein wiederentdeckter Ansatzpunkt ist jetzt, durch die Gabe eines selektiven Adsorbers für urämische Toxine Vorstufen des Indoxylsulfates im Darm zu binden. Dieser Adsorber bindet zum Beispiel Indol und Kresol im Darm – dadurch werden diese nicht resorbiert und nicht zu schädlichen urämischen Toxinen umgewandelt. Das ist gerade Inhalt einer klinischen Studie, die hoffentlich innerhalb des nächsten Jahres abgeschlossen sein wird.

 

Haben Sie eine Empfehlung für die Tierärzte in der Praxis, worauf sie bei Nierenpatienten besonders achten sollen?
Es gibt ein paar spezielle Punkte, die vielleicht nicht so bekannt sind. Zur Behandlung einer renal bedingten Anämie kann man bei Hund und Katze Erythropoetin einsetzen. Dieses wird normalerweise in der Niere gebildet, aber in späteren Stadien einer chronischen Nierenerkrankung und auch bei akutem Nierenversagen nicht in ausreichendem Maße. Bis vor wenigen Jahren hat man hier rekombinantes humanes Erythropoetin eingesetzt. Es war etwas umständlich, da es dreimal wöchentlich injiziert werden musste.

Jetzt würde man Darbepoetin, einen Wirkstoff mit längerer Halbwertszeit, den man nur einmal wöchentlich injizieren muss, verwenden. Es hat die gleiche Wirkung und ist vermutlich weniger antigen. Das spielt insofern eine ­Rolle, als beim rekombinanten humanen Erythropoetin circa 30  Prozent der Hunde und Katzen innerhalb der ersten Monate Antikörper gegen das fremde Protein entwickeln und nicht mehr darauf ansprechen. Das scheint beim ­Darbepoetin weniger problematisch zu sein.

Empfohlen wird der Einsatz bei Hämatokritwerten unter 20 Prozent oder auch bereits bei höheren Werten, wenn das Tier aufgrund einer Anämie klinische Symptome zeigt. Generell empfehle ich, bei Hunden und Katzen mit einer Nierenerkrankung neben den labordiagnostischen Untersuchungen von Blut und Urin immer zusätzlich ein bildgebendes Verfahren einzusetzen. Vor allem bei Katzen sind obstruktive Prozesse im oberen Harntrakt in den letzten Jahrzehnten viel häufiger geworden. Es wäre schade, derartige Probleme zu übersehen. So kann man die Tierbesitzer rechtzeitig über mögliche Therapiemaßnahmen aufklären.