Klauen

ein Thema für den Tierarzt (Teil 1)

Dr. Franz Kritzinger

Klauenkrankheiten sind in vielen Betrieben ein Problem und haben weitreichende gesundheitliche, wirtschaftliche und tierschutzrelevante Folgen.

In der Vergangenheit erledigte die Klauenbehandlung der Klauenpfleger, doch viele Tiere wurden in weiterer Folge zum Schlachthof transportiert, da die Therapiemöglichkeiten des Klauenpflegers mehr oder weniger beschränkt sind. So verursacht der frühzeitige Abgang natürlich entsprechende wirtschaftliche Verluste. Andererseits wird der Transport lahmer Kühe zu den Schlachthöfen mittlerweile als Tierschutzvergehen geahndet, sodass diese Alternative in vielen Fällen in der Zukunft nicht mehr möglich sein wird. Dies kommt dann im Falle einer Merzung einem Totalverlust des Tiers gleich.

Das tierärztliche Interesse an Klauenbehandlungen und Klauenoperationen ist jedoch in vielen Praxen aus unterschiedlichen Gründen (u. a. Zeitfaktor) sehr beschränkt. Ein vereinbarter Termin, an dem das Tier am Klauenstand liegen soll, ist so ein wesentlicher Punkt. In weiterer Folge sollen einige Punkte als Voraussetzung für eine erfolgreiche Intervention besprochen werden.

Tierärztliche Klauenpflege

Klauendefekte werden natürlich selten an geschnittenen Klauen vorgestellt, sondern der behandelnde Tierarzt muss im Rahmen seiner Intervention sowohl das Klauenleiden behandeln als auch die normale Klauenkorrektur durchführen. Das notwendige Instrumentarium beschränkt sich in der Praxis auf eine Flex und ein Rinn­messer. Sämtliche chirurgischen Interventionen an der Klaue können mit einem guten Rinnmesser besser und sicherer als mit dem Skalpell durchgeführt werden.

Beim Klauenschnitt ist die funktionelle Klauenpflege das oberste Ziel. Als Erklärung für Landwirte, die gelegentlich Klauen schneiden, und für Tierärzte, die dies auch oft nur unprofessionell tun, reicht eine einfache Definition der Vorgehensweise: „Klauenpflege an der Hinterextremität ist die maximale Reduktion der Außenklaue bis zur leichten Eindrückbarkeit des vorderen Sohlen­bereichs“! Am Vorderfuß gilt dies für die Innenklaue. An der Innenklaue (Hinterextremität) bzw. an der Außenklaue (Vorderextremität) wird nur ein kosmetischer Schnitt ohne nennenswerte Klauenreduktion durchgeführt. Ziel ist die gleiche Hornlänge mit einem übereinstimmenden Sohlenniveau an beiden Klauen. (Die zu lange Außenklaue an der am meisten betroffenen Hinterextremität ist einer der häufigsten Fehler der Klauenpflege und gleichzeitig Ursache für viele Klauendefekte – z. B. Geschwür, ­White Line Disease.) Die Umsetzung dieser Empfehlung ist eine der effektivsten Prophylaxemaßnahmen im Rahmen der Klauenpflege. Viele Wanddefekte (White Line ­Disease) und Sohlengeschwüre können so vermieden werden. Dies führt oft zu einer ausgesprochenen Dankbarkeit von Landwirten, da Klauenprobleme eine nicht zu unterschätzende Belastung für alle Beteiligten darstellen.

Anästhesie und Blutleere des Operationsbereichs

Im Falle einer tierärztlichen Konsultation handelt es sich meistens um tief greifende oder umfangreiche Läsionen an der Klaue, die ohne entsprechende Anästhesie nicht zu behandeln sind. Dazu wird eine Stauung (Expander) angelegt, eine Zehenvene punktiert und 10–20 ml eines Lokalanästhetikums werden intravenös injiziert. Während der Operation bleibt die Stauung erhalten, damit im Operationsfeld eine Blutleere entsteht und eine übersichtliche Operation möglich ist. Bei tieferen Eingriffen ist zur Blutstillung am Ende der Operation ein Druckverband nötig, und erst dann wird die Stauung gelöst.

Klauen –

ein Thema für den Tierarzt (Teil 2)

Welche Problemstellen im Bereich der Klauen zu den Hauptgründen für eine tierärztliche Konsultation gehören, lesen Sie im vorliegenden Bericht.

Die Arbeit professioneller Klauenpfleger geht teilweise fließend in tierärztliche Aufgabenbereiche über. Um die Grenzen aufzuzeigen und tierärztliches Metier in Bezug auf tierschutzgerechtes Vorgehen (Anästhesie) und chi­rurgische Intervention – als ureigenes tierärztliches Aufgabengebiet – zu definieren, ist es notwendig, sich unter anderem mit folgenden Punkten auseinanderzusetzen:

1. physiologische Wundheilung an der Klaue,

2. Probleme der Wundheilung in Form der Hypergranulation („wildes Fleisch“) und

3. White Line Disease mit den Komplikationen tiefer Abszess und Kronsaumphlegmone.

Die genannten Problembereiche gehören zu den Hauptgründen für eine tierärztliche Konsultation. Häufige Ursache dieser Probleme ist eine oft schon vor längerer Zeit unsachgemäß durchgeführte Klauenkorrektur mit einer zu langen Außenklaue an der Hinterextremität oder einem unzureichenden Ausschnitt eines Defekts. Die Aufgabe des Tierarztes ist einerseits der normale Korrekturschnitt am gesunden Klauenhorn sowie die anschließende Durchführung chirurgischer Maßnahmen an der betroffenen Klaue unter Berücksichtigung jener Faktoren, die als Voraussetzung für eine physiologische Wundheilung dienen und damit die Wiederherstellung der Funktionalität der Klaue gewährleisten.

 

Physiologische Wundheilung

Wie jede Wundheilung verläuft auch die Regeneration von Defekten am Klauenhorn und an der Klauenmatrix in drei Phasen:

1. Entzündungs- und Exsudationsphase: Ausgetretenes Blut verklebt oberflächlich und bildet den ersten Schutz (Wundschorf). In weiterer Folge ist diese Phase der Wundheilung gekennzeichnet durch zelluläre Migration und den Antransport von Nährstoffen. Letztlich kommt es unter Beteiligung von amöboiden Leukozyten (Phagozytose) zu einer histologischen Wundreinigung. Dauer: ein bis zehn Tage.

2. Granulations- und Proliferationsphase: Eine erste Reparatur erfolgt durch das Eindringen von Fibroblasten, die auch Kollagen produzieren, und Kapillaren in die Wunde. Das gebildete Granulationsgewebe mit typisch körniger Oberfläche weist eine sehr hohe Mitoserate auf. Das dadurch generierte schnelle Wachstum dieser Zellen wird beim Anschluss an die in der ersten Phase der Wundheilung gereinigten Wundränder durch gesunde Wundrandzellen gestoppt. Diese hemmen die Mitose. In Zusammenhang mit der Heilung von Klauendefekten ist dieser Vorgang von ganz besonderer Bedeutung! Dauer: 14–20 Tage.

3. Reparationsphase: Diese Phase ist charakterisiert durch Schrumpfung und Epithelisation. Die Kollagen­fasern verkürzen sich und ziehen die Wundränder zusammen (Wundkontraktion). Von den Wundrändern aus überzieht Epithel die Wunde.

Probleme der Wundheilung: Hypergranulation („wildes Fleisch“)

Wie schon bei der physiologischen Wundheilung angedeutet, spielt an der Klaue die Blockade der weiteren Bildung von Granulationsgewebe durch gesunde Wundrandzellen, die die Mitose dieser Zellen stoppen, eine ganz besondere Rolle. Fehlen die gesunden Nachbar-zellen am Wundrand, geht das überschießende Wachstum der Fibroblasten und Kapillaren ungebremst weiter und es kommt zur Hypergranulation („wildes Fleisch“). Bei normalen Hautwunden wird verändertes Wundrandgewebe in der ersten Phase der Wundheilung durch die Aktivität von Leukozyten und Makrophagen beseitigt – nur gesundes Gewebe bleibt am Wundrand.

Bei Klauendefekten findet man praktisch immer verändertes und eitrig infiziertes Gewebe nicht nur an der freigelegten Wundoberfläche, sondern an den Rändern bis unter das ungeschnittene, die Wunde begrenzende Wundrandhorn. Hier besteht der große Unterschied zur normalen Wundheilung, da die Wundreinigung in den kleinen Spalten unter dem Klauenhorn nicht funktioniert und das veränderte Gewebe nicht beseitigt wird. In weiterer Folge kann das gebildete Granulationsgewebe in der zweiten Wundheilungsphase nicht an gesunde Wundrandzellen anschließen. Die scheinbar überschießende Bildung von Granulationsgewebe ist durch die fehlende Blockade der Mitose durch gesunde Wundrandzellen zu erklären. „Wildes Fleisch“ (Hypergranulation) entsteht, weil Granulationsgewebe nicht an einen gesunden Wundrand andocken kann. Voraussetzung für eine komplikationslose Abheilung ist der „gesunde“ Übergang zum unveränderten Wundrand mit einer großzügigen Entfernung von verändertem Gewebe, das in kleinen Spalten unter das Wundrandhorn reicht, sowie die Schaffung eines schrägen Übergangs von der Wunde auf das Klauenhorn, um den Wundrand zu entlasten.

Im Rahmen der Klauenpflege werden viele Klauendefekte von Klauenpflegern oder Landwirten versorgt. Dabei kommt es immer wieder vor, dass die Wundreinigungsschnitte oft aus einer gewissen Scheu oder aus Tierschutzgründen (keine Anästhesie) unzureichend sind und verändertes Gewebe übrig bleibt. Gestörte Heilung mit der Bildung einer Hypergranulation ist die unvermeidliche Folge. Oft fehlt auch das nötige Wissen um die Zusammenhänge der Entstehung von „wildem Fleisch“. Wesentlich ist, in diesem Zusammenhang immer wieder auf tierschutzrechtliche Aspekte derartiger Interventionen ohne jede Anästhesie hinzuweisen. Viele Klauenpfleger fordern daher auch die Freigabe derartiger Mittel. Als Resümee muss festgehalten werden, dass viele dieser Eingriffe tierschutzrelevant sind und von einem Tierarzt durchzuführen sind. Voraussetzung dafür ist die Bereitschaft der Tierärzte, sich mit diesem Thema fachlich auseinanderzusetzen!

Komplikationen der White Line Disease: Tiefer Abszess und Kronsaumphlegmone

Die White Line Disease oder Krankheit der Weißen Linie ist eine Zusammenhangstrennung zwischen Sohlen- und Wandhorn im Bereich der weißen Linie und wird auch als Wanddefekt benannt. In der Praxis kommt diese Krankheit meist an der Außenwand der äußeren Hinterklaue vor. Die Folgen reichen von einem dünnen, oft nur schwer erkennbaren Eiterkanal von ventral nach dorsal mit teilweisem Austritt von Eiter am Kronsaum bis zur Loslösung ganzer Hornwandbestandteile (lose Wand). Ursächlich dürften mehrere Faktoren von Bedeutung sein – in der Praxis scheint eine fehlerhafte Klauenpflege mit unzureichender Reduktion der Außenklaue eine der Hauptrollen zu spielen. Durch die sich daraus ergebenden Druck- und Scherkräfte wird das wesentlich weichere Horn der weißen Linie gelöst.

Lose Wanddefekte ohne tiefer greifende Infektion werden vom Klauenpfleger versorgt. Immer wieder steigen jedoch Infektionen besonders in dünnen Eiterkanälen auf. Der entstehende Eiter kann nur nach dorsal oder in die Tiefe ausweichen. Geht der Kanal nach dorsal, kann Eiter am Kronsaum abfließen und sich der Druck abbauen. Geht er in die Tiefe, kann die durch den Druck bedingte Ausbreitung des Eiters zwei weitreichende Komplikationen verursachen.

1. Tiefer Abszess: Auf halber Höhe der Klauenwand geht die Infektion in die Tiefe und es kommt es zum Befall tieferer Strukturen mit eitriger Einschmelzung der entsprechenden Gewebe. Die Diagnose ergibt sich während des chirurgischen Eingriffs, wenn der Eiterkanal in die Tiefe geht und sich plötzlich unter Druck stehender Eiter aus dem eröffneten Kanal entleert. Immer wieder kommt es vor, dass sogar die Beugesehne von ihrem Ansatz losgelöst wird. Durch den Druck des eingeschlossenen Eiters kommt es zu hochgradigen Lahmheitserscheinungen. Im Lauf der Therapie werden die Wanddefekte beseitigt, der Ausgang des eröffneten Abszesses wird vergrößert und die Abszesshöhle mit H2O2 (drei Prozent) gespült. Die lose Beugesehne wird in der Praxis nicht reseziert, nur mitanhaftende Knochenreste von der Ansatzstelle der Sehne werden entfernt. Wichtig ist eine längere Nachsorge mit Spülung des Abszesses. Nach dem Abfließen des Eiters und dem damit verbundenen Druckabbau ist die Lahmheit zu einem Großteil unverzüglich verschwunden.

2. Kronsaumphlegmone: Die Ursache für eine Kronsaumphlegmone kann auch eine White Line Disease sein, wenn aufsteigender Eiter sich nicht am Kronsaum nach außen entleert, sondern in die Tiefe gepresst wird. Die Diagnose ergibt sich einerseits durch die hochgradige Schwellung am Kronsaum und andererseits durch die während der Resektion der veränderten Gewebeteile eröffneten multiplen Eiterherde. Die Infektion breitet sich im Gewebe aus und führt teilweise zu eitrig thrombotischem Befall der lokalen Venen mit abfließendem Eiter aus dem Lumen dieser Venen. Antibiotische Wirkspiegel können in diesen Herden weder aufgebaut noch zur Beseitigung des Eiters führen, womit weder eine lokale noch systemische Antibiotikatherapie Aussicht auf Erfolg hat. Verändertes Gewebe muss chirurgisch entfernt werden.

Zeigt sich im Verlauf der Therapie, dass auch das Klauengelenk in die eitrigen Prozesse miteinbezogen ist, können die betroffenen Tiere nur durch eine Klauenamputation erhalten werden. In der Praxis zeigt sich, dass diese Tiere sogar meistens wieder im Laufstall gehalten werden können.