Katze um Katze, Zahn um Zahn

Ein Interview mit Prof. Dr. Alexander Reiter

Tierärztin Tanja Warter

Mindestens zwei Drittel aller Katzen bekommen im Lauf ihres Lebens Zahnprobleme. Häufig macht ihnen die gefürchtete Zahnresorption zu schaffen; warum, ist unklar, aber es gibt einen Verdächtigen. Ein Gespräch mit dem Österreicher Alexander Reiter von der School of Veterinary Medicine an der University of Pennsylvania in Philadelphia (USA).

Warum werden Katzen bei Ihnen hauptsächlich vorgestellt?

Auf Platz eins steht tatsächlich die Zahnresorption. Das Zweite ist die Stomatitis, eine Entzündung der oralen Schleimhaut im Großteil der Maulhöhle. Und dann, an dritter Stelle, Tumoren wie das Plattenepithelkarzinom, das bei der älteren Katze recht häufig auftaucht.

Bleiben wir gleich bei Platz eins...

Sehr gern, denn ich bin genau deswegen 1996 im Rahmen meiner Dissertation von Österreich in die USA gegangen. Damals wusste man kaum etwas darüber, man dachte zum Beispiel, dass die Resorptionen immer am Hals oder an der Krone der Zähne auftreten – heute wissen wir, dass es vor allem in der Wurzel beginnt, sich dann ausbreitet und in die Krone hineinzieht. Es gibt zwei Arten von Resorptionen: Das eine ist die entzündliche Resorption, sie findet vor allem im Zahnhalsbereich statt. Dort kommt es zum Kontakt mit oralen Bakterien, was die Entzündung weiter befeuert. Sie stimuliert die klastischen Zellen – Odontoklasten –, Zahnhartsubstanz abzubauen. Bei dieser entzündlichen Resorption kommt es primär nicht zu einem Ersatz des Zahnmaterials mit neuem Knochen, und der Alveolarknochen neben der Zahnresorption wird auch resorbiert.

Aber sieht man das nicht viel öfter - dass Zahnmaterial durch Knochen ersetzt wird?

Ja, die entzündliche Resorption ist weniger häufig an­zutreffen als die zweite Form, die nicht entzündliche ­Resorption. Diese beginnt mit einer dentoalveolären Anky­lose, einer Verbindung zwischen Knochen und Zahn. Der Parodontalspalt verschwindet langsam. Er füllt sich mit Hartgewebe auf, indem zu viel Zement und zu viel Knochen angelagert wird. Irgendwann kommt es zur Fusion zwischen Knochen und Zahn. Der Knochen ist in ständigem Umbau und „denkt sich“ gewissermaßen beim Kontakt: „Huch, dieses Zahngewebe schaut so aus wie ich, ich werde es in meinen Umbau miteinbeziehen!“ So geht die nicht entzündliche Resorption des Zahns vor sich. Zahnhart­substanz, die verloren gegangen ist, wird sofort mit neuem Knochen ersetzt. Diese sogenannte Wurzelersatzresorption tritt fast bei allen Katzen irgendwann im Alter einmal auf, sie kann viele bis alle Zähne befallen. Natürlich kann sie auch mit einer entzündlichen Resorption einhergehen; vor allem, wenn sich der Prozess wieder in die Krone hineinzieht und den Bakterien ausgesetzt wird.

Bei wirklich fast jeder Katze...?

So ist es. Meistens beginnt es im Alter von vier bis sechs Jahren und zieht sich dann bis ins hohe Alter hinein. Häufig sind die dritten Prämolaren im Unterkiefer als Erstes betroffen. Wir wissen aber nicht, warum das so ist. Und noch etwas ist interessant: Wir sehen neuerdings immer öfter ein ähnliches Erscheinungsbild auch beim Hund, ­allerdings ist die Prävalenz nicht ganz so hoch wie bei 
der Katze.

Die Zahnresorption ist mitunter enorm schmerzhaft und die betroffenen Tiere leiden sehr. Weiß man inzwischen Näheres über die Ursache, sodass Prophylaxe möglich wäre?

Die Ursache ist nicht bekannt, aber ich habe eine meiner Ansicht nach sehr plausible Hypothese. Wir konnten feststellen, dass Katzen mit Zahnresorption verglichen mit Katzen ohne Zahnresorption signifikant höhere Vitamin-D-Werte im Serum aufwiesen. Nun sind Katzen nicht fähig, das Provitamin D in der Haut in Vitamin D umzuwandeln – die einzige Möglichkeit für erhöhte Vitamin-D-Werte im Serum besteht in einer erhöhten Aufnahme über das Futter. Und wir wissen, dass etwa ein Drittel aller im Handel erhältlichen Futtermittel Vitamin-D-Werte haben, die höher sind, als es die Richtlinien erlauben.

Wie kann das denn sein?

Der Maximalwert in den 1990er-Jahren lag bei 10.000 IE Vitamin D pro Kilogramm Trockenmasse im Katzen­futter. Dieser Wert war laut mehreren Studien in über einem ­Drittel der Futterproben überhöht. Wir wissen nicht, warum er überhaupt so hoch war, denn beim Hund betrug der Maximalwert nur 5000 IE. Inzwischen wurde er auch bei der Katze auf 5000 IE gesenkt. Vielleicht haben die Hersteller einfach nur gedacht: Hauptsache, keine Unterversorgung! Aber da muss man sich wahrscheinlich wenig Sorgen machen. Ein Kollege in Kalifornien hat sich bei Jungkatzen angeschaut, was passiert, wenn Vitamin D nur mit 250 IE im Futter enthalten ist; er konnte keine Rachitis nachweisen, alles war normal. Dann ging er weiter runter auf 125 IE pro Kilogramm Trockenmasse Katzenfutter – auch dann keine Rachitis feststellbar. Vielleicht füttern wir einfach zu viel Vitamin D.

Aber es wäre doch einfach, den Vitamin-D-Gehalt im Katzenfutter vorsichtshalber deutlich zu reduzieren. 

Eben nicht. Das Vitamin D ist nicht supplementiert. Meistens gelangt es wohl wegen des enthaltenen Fischmehls ins Katzenfutter. Auch wenn auf der Packung steht, dass die Geschmacksrichtung Huhn ist, könnte Fischmehl der Hauptanteil sein. Vor allem Makrelen und andere Meeresfische haben sehr hohe Vitamin-D-Werte in der Haut, im Knochen und im Fett – und das steckt dann im Katzenfutter. Diese Bestandteile zu ersetzen wäre schon eine riesige Herausforderung für die Industrie. Aber Vorsicht: Wir sprechen nicht von einer Vitamin-D-Toxikose bei Katzen mit Zahnresorption, sondern über eine schleichende, chronische Aufnahme von zu viel Vitamin D über viele ­Jahre. Das manifestiert sich womöglich in einem ­er­höhten Aufbau von Zement, Osteoid und vor allem in Geweben, die mechanisch beansprucht werden.

Und es gibt bislang keine Studien in diese Richtung?

Es wäre natürlich super, wenn jemand, der vielleicht ­jünger ist als ich, diesen Drive hat und entsprechende Studien macht. Man müsste in der Pathologie Katzen mit histologisch nachweisbarer Zahnresorption finden und sich bei diesen Tieren auch andere Organe anschauen: Leber, Niere, Magenwände, die Wände der größeren Gefäße, Pfotenballen, die Schleimhaut des harten Gaumens. All diese Gewebe, die mechanisch mehr beansprucht werden, müssten untersucht werden – darauf, ob es bei den Katzen mit Zahnresorption zu größeren Weichteil­mineralisationen kommt oder nicht.

Aber um es schlussendlich beweisen zu können, bräuchte man doch Fütterungsstudien...

Die haben wir nicht, weil sie sehr lang dauern und sehr, sehr teuer sind. Wenn es vier bis sechs Jahre dauert, um das durchzuziehen, kostet das Millionen.

Und die Therapie der Zahnresorption besteht nur im Ziehen der Zähne?

Ja, die einzige Therapie ist die Extraktion. Die Defekte zu füllen ist sinnlos, weil die Resorption ja in der Wurzel statt­findet. Das ergibt überhaupt keinen Sinn.