Wenn die Katze

kahl wird

Dr. med. vet. Elisabeth Reinbacher

Die Feline Selbstinduzierte Alopezie (FSA), umgangs­sprachlich auch „Leckalopezie“ genannt, ist ein sehr häufiges kutanes Reaktionsmuster, hervorgerufen durch verschiedenste mögliche Ursachen.

Die Katze wird kahl – doch wie kann man herausfinden, ob sie sich die Haare durch übermäßiges Lecken ausreißt (selbstinduzierte Alopezie) oder die Haare von selbst ­ausgefallen sind (spontane Alopezie)? Katzen sind keine kleinen ­Hunde, und das zeigt sich auch bei diesem ­kutanen ­Reaktionsmuster: Sie verstecken sich nämlich sehr gerne, den Besitzern fällt erst gar nicht auf, dass sich die ­Katzen häufig an den jeweilig betroffenen Stellen lecken. In solchen Fällen kann man als Tierarzt/Tierärztin aber in die Trickkiste greifen; der Unterschied ist einfach unter dem Mikroskop mittels Trichogramm feststellbar: Sind die Haarspitzen abgebrochen, ist dies ein deutlicher Hinweis für eine FSA.

Katzen, die eine Leckalopezie entwickeln, ­präsentieren sich mit einer nicht entzündlichen, bilateral symmetrischen Alopezie, die am Abdomen, an den Flanken, ­den medialen Oberschenkeln oder Vorderextremitäten auftreten kann. Wird so ein Patient in der Praxis vorstellig, beginnt die diagnostische Challenge und Abklärung der vielen möglichen Ursachen. Der übermäßigen Fellpflege liegen am häufigsten Juckreiz, Schmerzen, eine Hyperthyreose oder auch Stress zugrunde. Nachdem TierärztInnen den Nachteil haben, keine direkte Antwort von ihren Patienten auf die Frage, ob sie Schmerzen, Juckreiz oder Stress haben, zu bekommen, müssen sie in der Diagnostik Schritt für Schritt weitergehen.

Eine genaue dermatologische Anamnese ­inklusive Fragen bezüglich des Verhaltens und möglicher ­Stresssituationen sowie eine detaillierte dermatologische und vor allem klinische Untersuchung mit Fokus auf Schmerzhaftigkeit und (vor allem bei älteren Tieren) Hinweisen bezüglich einer Hyperthyreose sind die ersten diagnostischen Maßnahmen. Bei jüngeren und mittelalten Katzen ist Juckreiz die häufigere Ursache. Tritt die FSA am Bauch auf, sollten schmerzhafte Prozesse im Bauchraum wie eine ­Zystitis oder Pankreatitis mittels klinischer Untersuchung, Bauchultraschall und Blut-/Harnuntersuchung abgeklärt werden. Bei Katzen, welche beim Erstauftreten der Symp­tome bereits älteren Semesters waren, ist es sinnvoll, ­bereits am Anfang der Diagnostik eine möglicherweise vorhandene Hyperthyreose (mittels Hormonbestimmung)zu überprüfen.

Gibt es keine Hinweise auf schmerzhafte Prozesse oder eine Hyperthyreose, bleiben noch pruritische Erkrankungen und psychische Ursachen auf der Differenzialdiagnoseliste. Da Juckreiz verursachende Parasiten wie Cheyletiellen und Flöhe sowie eine Hypersensitivität auf Flohspeichel, salopp gesagt eine Flohallergie, mit recht hoher Frequenz vorkommen, sollte eine diagnostische Therapie mit Antiparasitika bei In- und ­Outdoorkatzen gemacht werden, auch wenn keine Parasiten mittels Flohkamm und Tesa-Abklatsch gefunden werden. Weiters kann die Milbe Demodex gatoi (im Gegensatz zu anderen ­Demodex-Milben) primären Juckreiz hervorrufen. ­Wichtig ist, dass man beim Ausschluss der Parasiten auch alle Kontakttiere in passendem Zeitrahmen mitbehandelt. Empfohlene Wirkstoffe sind Selamectin oder Moxidectin, dreimal im Abstand von 14 Tagen, sowie auch Isoxazoline, welche je nach Produkt monatlich oder alle drei Monate appliziert werden.

Besteht der Juckreiz trotz der durchgeführten antiparasitären Therapie weiterhin, bleiben noch eine Futtermittel­allergie, Umweltallergie (atopische Allergie) oder psychische Ursachen abzuklären, der vermutlich schwierigste Schritt der ganzen Abklärung. Wenn die Katze zusätzlich zur Leckalopezie auch weitere kutane Muster (eosino­philes Granulom, miliare Dermatitis und/oder Kopf-Hals-Juckreiz) zeigt, kann eine psychische Erkrankung ausgeschlossen werden. Hinweise auf eine psychische Komponente kann eine sehr detaillierte Anamnese bezüglich des Verhaltens und möglicher Stresssituationen – zu wenige Beschäftigungsmöglichkeiten, ein Wechsel der Wohnumgebung, fremde Personen oder Tiere im Haushalt, dominante Partnertiere, Verlust eines Partnertiers oder Besitzers – geben.

Anhaltspunkt Ernährung

Katzen mit einer Futtermittelallergie zeigen manchmal zusätzlich gastrointestinale Symptome, während atopische Katzen auch respiratorische Symptome haben können. Da sich die Futtermittelallergie und die nicht saisonale atopische Dermatitis bei Katzen klinisch meist nicht unterscheiden lassen, ist der nächste Schritt in der Abklärung eine Eliminationsdiät. Eine Protein- und Kohlenhydratquelle, mit der die Katze zuvor noch nie Kontakt hatte, oder eine hydrolisierte Diät steht für mindestens acht Wochen ausschließlich auf dem Speiseplan. Idealerweise wird selbst gekocht, um mögliche Kontaminationen mit nicht deklarierten Bestandteilen, die in mehreren Studien nachgewiesen werden konnten, ausschließen zu können.

Ist dies nicht möglich, sollte auf jeden Fall auf eine qualitativ hochwertige hypoallergene oder hydrolysierte Veterinärdiät zurückgegriffen werden. Doch nicht nur die Wahl des passenden Futters kann die Aussagekraft einer Eliminationsdiät beeinflussen, auch der Patient selbst kann Compliance-Defizite zeigen. Oft wird das Futter nicht akzeptiert, bei Nahrungskarenz sind Katzen aber dem Risiko einer Hepatischen Lipidose ausgesetzt, Outdoorkatzen wiederum können auch Zugang zu anderem Futter haben. Jedoch empfiehlt es sich immer, es mit Geduld zu versuchen. Kleine Mengen, vermischt mit dem gewohnten Futter in steigendem Mischungsverhältnis, fördern die Akzeptanz, Outdoorkatzen sollten für die Zeit der Diät indoor gehalten werden. Kommt es unter der Eliminationsdiät zu einer Besserung der Symptome, ist eine Provokation mit dem alten Futter nötig – führt diese zum Wiederauftreten der Symptome, gilt eine Futtermittelunverträglichkeit als bestätigt. Bringt eine Eliminationsdiät keine Verbesserung, ist die nächste Verdachtsdiagnose eine atopische Allergie; hier stehen Hausstaub- und Vorratsmilben, Pollen und Pilzsporen im Verdacht. Allergietests können dabei helfen, auslösende Allergene zu identifizieren und eine Hyposensibilisierung (allergenspezifische Immuntherapie) durchführen zu können.

Die allergenspezifische Immuntherapie ist die einzige kausale Therapie einer Umweltallergie, sie kann zu einer immunologischen Toleranz gegenüber den auslösenden Allergenen führen und sollte bei Erfolg lebenslang weitergeführt werden. Eine symptomatische Therapie mit Glukokortikoiden, Ciclosporin oder Oclacitinib kann den Juckreiz ebenso unterbinden, ist allerdings, wie der Name schon sagt, ausschließlich gegen die Symptome und nicht gegen die Grundursache gerichtet.

Sind nun schmerzhafte und parasitäre Ursachen ausgeschlossen und ist eine Allergie unwahrscheinlich, werden im letzten Abklärungsschritt Stress und psychische Ursachen in Betracht gezogen. Katzen, die Stresssituationen ausgesetzt sind, können Stereotypien entwickeln. Gesteigertes Putzverhalten ist eine mögliche Reaktion von Katzen auf Stress; Endorphine werden freigesetzt, welche einen beruhigenden Effekt haben. Die Diagnose einer psychogenen Störung kann allerdings nur mittels genauer Anamnese und Ausschluss aller anderen Differenzialdiagnosen gestellt werden. Laut einer Studie konnte nur bei zehn Prozent der Katzen mit symmetrischer Alopezie keine andere zugrunde liegende Erkrankung festgestellt werden, bei den meisten Tieren wurde eine allergische Grundursache diagnostiziert. Die psychogene Alopezie bei der Katze scheint somit stark überdiagnostiziert zu sein, wobei orientalische Katzenrassen wie die Siamkatze prädisponiert sind. Die Therapie der psychogen bedingten Leckalopezie besteht aus der Vermeidung des auslösenden Stressfaktors, Verbesserung der Haltungssituation und Beschäftigungstherapie.

Zusätzlich gibt es auch antidepressive Medikamente, vor allem Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (beispielsweise Clomipramin), welche erfolgreich bei obsessiv-kompulsatorischen Erkrankungen eingesetzt werden. Auch Glukokortikoide können aufgrund ihrer Effekte auf das Verhalten zu einer Besserung der Symptome führen, doch meist ist das Ansprechen auf Steroide ein Hinweis auf eine -zugrunde liegende pruritische Erkrankung.

Die symmetrische Alopezie der Katze kann viele Ursachen haben, die sich klinisch gleich präsentieren, was eine genaue Aufarbeitung der Patienten erfordert, um der Grundursache auf die Spur zu kommen. Psychogene Erkrankungen können eine übermäßige Fellpflege verursachen, sind aber selten und sollten nur unter Ausschluss der anderen möglichen Grunderkrankungen diagnostiziert werden.